Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Grünen-Politiker und Oberleutnant auf Zeit
Ein Grünen-Politiker bei der Bundeswehr: Das wäre noch vor wenigen Jahren ähnlich realistisch gewesen wie heute eine Teilnahme von Donald Trump an einem Kongress für Frauenrechte. Die Zeiten, in denen die Grünen eine radikalpazifistische Anti-Militär-Partei waren, sind aber spätestens seit dem Ja zur deutschen Beteiligung am Kosovokrieg 1999 vorbei. Tobias Lindner ist eine Art lebendes Beispiel für diesen Wandel: Er sitzt für die Grünen-Fraktion im Verteidigungsausschuss des Bundestages, ist Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Nato – und seit wenigen
Tagen Panzerschütze der Reserve und Veteran, zeitweise war Lindner Oberleutnant.
Den Dienstgrad auf Zeit hat der 37-jährige gebürtige Karlsruher bei einer fünftägigen Wehrübung der Bundeswehr für Bundestagsabgeordnete erworben. Er habe sein Bild von der Bundeswehr „von innen komplettieren“wollen, sagte Lindner nun der „Welt“in einem Interview.
Um an der Übung samt Gelöbnis und Schießausbildung teilzunehmen, musste Lindner zunächst seine Kriegsdienstverweigerung zurücknehmen. Er hatte 2001 Zivildienst geleistet – und musste wie jeder Verweigerer Gewissensgründe geltend machen, die ihn am Dienst an der Waffe hinderten. Deshalb habe er, erzählt Lindner im Gespräch mit der „Welt“, dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln schriftlich mitgeteilt, dass ihn „Gewissensgründe nicht mehr daran hindern, in der Bundeswehr zu dienen“.
Lindner ist seit 1998 Grünen-Mitglied, Volkswirt – und seit 2011 Mitglied des Bundestags. Damals rückte er für Ulrike Höfken nach, die ihr Mandat niederlegte. 2013 und 2017 zog er wieder ins Parlament ein – jeweils über die Landesliste Rheinland-Pfalz. Inzwischen lebt er in Wörth am Rhein, an dem Karlsruhe gegenüberliegenden Rheinufer.
Von der Bundeswehr sei er mit Interesse aufgenommen worden, sagte Lindner in der „Welt“– und ergänzte: „Ich habe vielfach die Rückmeldung erhalten: Finden wir gut, dass Sie das hier machen. Dass Grüne Interesse an uns zeigen.“Die Frage, ob CDUPolitiker Friedrich Merz Recht habe mit seiner Befürchtung, dass immer mehr Soldaten sich der AfD zuwenden, verneinte Lindner. Es gebe mittlerweile „immer mehr Soldaten, die Grünen-Anhänger sind oder gar Parteimitglied – die sich allerdings meist nur mir gegenüber outen und noch eine gewisse Scheu haben, das offen in der Truppe zu kommunizieren. Aber glauben Sie mir: Soldat und Grüner, das geht und das gibt's.“