Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Angela Merkel zeigt Schwäche
Wieder befällt ein Zitteranfall die Kanzlerin – vor dem harten G20-Wochenende
BERLIN - Vielleicht braucht Angela Merkel einfach ein paar Tage Urlaub, es wäre nur zu verständlich. Die ansonsten schier unerschütterliche Kanzlerin ist am Donnerstagmorgen wie schon bei einem öffentlichen Auftritt vor einer guten Woche sichtlich ins Zittern geraten. Diesmal erwischte es sie im Schloss Bellevue, während neben ihr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Entlassungsurkunde an die alte Justizministerin und die Ernennungsurkunde an die neue vergab. Und wie schon beim Empfang des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor neun Tagen hörte das Zittern dann rasch wieder auf. Ein Glas Wasser, das ihr zwischendurch angeboten wurde, lehnte Merkel dankend ab. Vergangene Woche hatte sie ihr Zittern mit Wassermangel erklärt.
Regierungssprecher Steffen Seibert versicherte umgehend: „Der Bundeskanzlerin geht es gut.“Zur Vereidigung von Christine Lambrecht als neue SPD-Bundesjustizministerin war Merkel anschließend pünktlich im Bundestag und gehörte dort zu den ersten Gratulantinnen.
„Stuttgarter Zeitung“und „Stuttgarter Nachrichten“(Freitag) zitierten Regierungskreise, wonach Merkels erneuter Zitteranfall psychisch bedingt gewesen sei. Es sei kein gesundheitliches Problem, sondern Kopfsache. „Die Erinnerung an den Vorfall in der letzten Woche führte zu der Situation heute, also ein psychologisch-verarbeitender Prozess.“
Ein entspanntes Wochenende zur Erholung steht ihr allerdings nicht bevor, im Gegenteil. Am Donnerstagmittag startete sie zum Elf-StundenFlug Richtung Japan zu einem durchgeplanten G20-Gipfel einschließlich eher anstrengender Gespräche mit US-Präsident Donald Trump und dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Und nach der Rückkehr am Samstagabend geht es am Sonntag in Brüssel weiter im Personalpoker um die EU-Spitzenposten, Nachtsitzung nicht ausgeschlossen. Merkel wird also wieder auf das bauen müssen, was sie selbst ihre „kamelartige Fähigkeiten“genannt hat, Schlaf und Erholung zu speichern.
Im Umgang mit körperlicher Schwäche gehört Merkel eher zur Fraktion der Diskreten. CSU-Minister Horst Seehofer lehnte einen Kommentar mit den Worten ab: „Ich habe mich nie an Ferndiagnosen beteiligt, weil ich allzu häufig Gegenstand von Ferndiagnosen war.“
Wer wenig sagt, nährt Gerüchte Auf der anderen Seite haben beispielsweise die CDU-Politiker Mike Mohring oder Peter Tauber sehr offen über ihre Erkrankungen und ihren Genesungsprozess berichtet und damit nach eigenen Angaben gute Erfahrungen gemacht. „Ein defensiver Umgang nährt Gerüchte und Spekulationen“, sagt der Politikwissenschaftler Stephan Bröchler.
Merkel ist allerdings mit einer äußerst robusten Gesundheit gesegnet, krankheitsbedingte Fehlzeiten gibt es bei der Bundeskanzlerin kaum. Umso besorgter reagiert die Öffentlichkeit, wenn sie – wie beispielsweise auch nach ihrem Skilanglauf-Sturz zu Jahresbeginn 2014 – einmal ausfällt.