Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Bayer ändert seine Glyphosat-Strategie
Wie der Dax-Konzern die bedrohliche Prozesslawine vom Tisch kriegen will
FRANKFURT - Bayer will sein Glyphosat-Problem offenbar zügig in den Griff bekommen. Das Unternehmen hat dafür einen eigenen Ausschuss im Aufsichtsrat ins Leben gerufen. Auch ein externer Top-Anwalt ist engagiert, um den Konzern bei den Tausenden aufgelaufenen Klagen zu helfen, die in den USA gegen Bayer wegen des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat anhängig sind. „Der Aufsichtsrat sieht die negativen Auswirkungen, die von der Unsicherheit im Zusammenhang mit den Gerichtsverfahren auf den Aktienkurs und die Wahrnehmung der Stakeholder ausgehen“, teilte Bayer nach einer Sitzung des Aufsichtsrates am Mittwochabend mit. Das Kontrollgremium werde den Konzern dabei unterstützen, den Themenkomplex „entschlossen und mit Umsicht voranzubringen“.
Der neu gegründete Ausschuss soll den Bayer-Vorstand beraten und Vorschläge für eine Prozessstrategie in den USA machen. Dort sieht sich Bayer nach der Übernahme von Monsanto mit mindestens 13 400 Klagen von Menschen konfrontiert, die das Herbizid Glyphosat eingesetzt haben. Das Mittel steht im Verdacht, Krebs zu verursachen, die Klägerinnen und Kläger machen deswegen Bayer beziehungsweise deren Tochter Monsanto für ihre Krebsleiden verantwortlich. Das pikante daran: Bislang haben die zuständigen Richter gegen Bayer geurteilt. Es drohen bereits nach den ersten Urteilen Strafen und Schadenersatzansprüche in Milliardenhöhe.
Insider berichten, dass der Konzern seine Strategie gegen die Klagewelle geändert hat. Bislang hieß es gebetsmühlenartig, Bayer sei sicher, dass Glyphosat bei richtiger Anwendung unbedenklich für die menschliche Gesundheit sei. Folglich würden die Richter in letzter Instanz dem Konzern recht geben. Nun gehe es um die schnellere Suche nach Vergleichen, um die Prozesse vom Tisch zu kriegen. „Es ist überfällig, dass der Aufsichtsrat den Bayer-Vorstand in dieser Sache stärker berät“, sagt Thomas Schießle aus dem unabhängigen Analystenhaus Equi.ts. „Und bisher gab es da zu wenig Expertise und Experten, die sich mit derartigen Klagen vertieft auskennen.“
Mehrere Mitglieder des neuen, achtköpfigen Spezialausschusses im Aufsichtsrat haben nach Angaben von Bayer „umfassende Erfahrung mit komplexen Gerichtsverfahren“. Zudem hat sich Bayer einen anerkannten Spezialisten ins Boot geholt – den US-Rechtsanwalt John Beisner von der Kanzlei Skadden. Beisner ist ein Experte für Produkthaftungsklagen und hat etwa für den US-Pharmakonzern Merck & Co beim Skandal um das Schmerzmittel Vioxx gearbeitet. Er soll an den Sitzungen des neuen Ausschusses teilnehmen. Geleitet wird das Gremium von Aufsichtsratschef Werner Wenning. Der hatte Bayer als Vorstandschef unter anderem durch die Krise und Klagewelle wegen des Cholesterinsenkers Lipobay geführt. Auch das BayerAufsichtsratsmitglied Paul Achleitner ist dabei. Der ist als Aufsichtsratschef der Deutschen Bank allerlei Ärger gewohnt.
An der neuen Strategie lässt sich ablesen, wie sehr Bayer unter Druck steht. Nach der 63 Milliarden USDollar schweren Übernahme des Saatgutriesen Monsanto – aus dessen Haus das umstrittene Glyphosat stammt – ist der Aktienkurs von Bayer in den Keller gerauscht. Ende April ist Bayer-Chef Werner Baumann deswegen als erster amtierender Dax-Chef überhaupt von den Eigentümern auf der Aktionärsversammlung nicht entlastet worden.
Was plant der neue Investor? Passend zur neuen Strategie jedenfalls hat sich der berühmt-berüchtigte Hedgefonds Elliott aus der Deckung gewagt. Elliott sei mit insgesamt rund 1,1 Milliarden US-Dollar, also rund zwei Prozent, an Bayer beteiligt. Der Hedgefonds kommt aus dem Imperium des US-Milliardärs Paul Singer, und Singer ist bekannt dafür, mit aggressiven Methoden seinen Willen in den Unternehmen durchzusetzen, an denen er beteiligt ist. Elliott begrüßte die geplanten Schritte und zeigte sich zuversichtlich, „dass die heutige Erklärung einen grundlegenden Wechsel in Bayers bisherigem Ansatz zur Bewältigung der rechtlichen Herausforderungen“darstelle. Daraus ergäben sich Chancen für einen „zeitnahen Vergleich mit begrenztem finanziellen Aufwand“.
In der Tat wäre es extrem teuer und aufwendig, die vielen Klagen bis zum Ende auszufechten. Zudem ist der Ausgang ungewiss. Deswegen rechnen Experten schon seit Längerem damit, dass Bayer sich um einen Vergleich mit den Klägern bemühe. Auch das würde zwar vermutlich Milliarden kosten, hätte perspektivisch aber die Chance auf ein Ende des gerichtlichen Schreckens statt eines Schreckens ohne Ende.
Vermutlich wäre aber auch dann die Monsanto-Übernahme noch keine Erfolgsgeschichte. „Ich halte den Reputationsschaden durch die Monsanto-Übernahme für viel größer als den mutmaßlich entstehenden finanziellen Schaden“, sagt Thomas Schießle. Denn das Unternehmen arbeite mit der Währung Vertrauen, etwa wenn es Medikamente verkauft. Dieses Vertrauen aber habe durch den Kauf von Monsanto und Glyphosat erheblich gelitten.