Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein neues Bauhaus im Süden
Wie die Hochschule für Gestaltung in Ulm mit alten Meistern Neues schaffen wollte
ULM - Deutschland lag in Trümmern, auch Ulm. Da plante eine Gruppe um Inge Scholl und Otl Aicher eben dort eine Hochschule, die anders sein sollte als das, was die Nationalsozialisten an Bildungseinrichtungen etabliert hatten. Neben ihren fachlichen Fähigkeiten sollten die Studenten auch demokratisches Miteinander erproben – und erlernen. Der Schweizer Architekt und Designer Max Bill verwob diese Idee mit dem Bauhaus: Dort hatte er Ende der 1920er-Jahre studiert. Als die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) 1953 schließlich gegründet wurde, war es Bill, der die Ideen der Bauhaus-Bewegung an einem deutschen Standort wiederbelebt hat – mit unterschiedlicher Resonanz, wie eine Ausstellung im Archiv der HfG zeigt.
„Eigentlich wusste niemand, wie eine Schule für Design funktioniert“, gibt Martin Mäntele, der Leiter des HfG-Archivs zu bedenken. Zwar gab es Kunstgewerbeschulen, doch die orientierten sich nicht an der Bauhaus-Idee,
Gebrauchsgegenstände in ästhetisch reduzierter
Form und für jeden bezahlbar zu entwerfen. Die
Kenntnis über das von den
Nationalsozialisten 1933 aufgelöste Bauhaus war damals eher gering. Die Gebäude der ehemaligen Hochschule in Dessau glichen einer Ruine. Warum also nicht ein neues Bauhaus in Ulm? Das war es jedenfalls, was Max Bill vorschwebte und wovon er seine Mitgründer Inge Scholl und Otl Aicher überzeugte. Bauhaus-Gründer Walter Gropius hieß die Idee Bills gut. Und so belebte der seine alten Kontakte wieder.
Nach Ulm kamen Walter Peterhans, Josef Albers, Johannes Itten, alle ehemalige Meister am Bauhaus, und die Bauhaus-Künstlerin Helene Nonné-Schmidt, Frau des Meisters Joost Schmidt. Erstere reisten aus dem damals noch sehr fernen Amerika an, Itten aus Zürich und NonnéSchmidt aus Wangen im Allgäu. Im Gepäck hatten die Bauhäusler, die in ihren Sechzigern waren, nicht nur reiche Erfahrung, sondern auch ihren alten Zoff. So beschied Josef Albers, damals Professor an der Yale University, dass er nicht für eine Lehrtätigkeit an der HfG zur Verfügung stehe, wenn Johannes Itten dort unterrichte. Itten, der mit seiner Anhängerschaft der Mazdaznan-Sekte schon in Weimar polarisiert hatte, war deshalb in Ulm ein kurzes Gastspiel von nur einer Woche vergönnt. Seine Farbenlehre allerdings war prägend, auch für den Unterricht an der HfG.
Experimentieren statt lernen
Das wichtigste Erbe des Bauhauses, das die HfG übernahm, waren die Vorkurse, nun Grundlehre genannt. Sie waren Pflicht für jeden, der an der Schule studieren wollte. Alle sollten auf dem gleichen Stand sein, das Fachstudium schloss sich daran an. Auch Mitgründer Otl Aicher, der bereits in München Bildhauerei studiert hatte, belegte den ersten Kurs dieser Art beim Fotografen Peterhans. Die in dieser Grundlehre entstandenen Arbeiten sind es, die Martin Mäntele als Kurator nun präsentiert. Ausgelegt auf Tischen, die an die ursprünglichen Arbeitsplätze erinnern, zeigen sie, worin das Prinzip dieser Grundlehre bestand: Nicht das Lernen, sondern das eigene Experimentieren mit Formen und Farben standen im Vordergrund.
Doch nicht allen war die Geduld und das Sitzfleisch gegeben, sich eine Woche lang mit zwei schwarzen Papierstreifen auf einem Bogen weißen Papiers zu beschäftigen, sodass dieses „durch die Gestaltungsmittel geteilt, geordnet, und trotzdem wieder zu einem Ganzen verbunden“werden sollte – so die Aufgabenstellung in Peterhans’ erstem Kurs der Grundlehre 1953. Christiane Wachsmann vom HfG-Archiv hat Beschreibungen dieser Kurse in einer Dokumentation gesammelt.
In den darauffolgenden Jahren sollte sich der Konflikt zwischen den alten Bauhäuslern um Max Bill und der jungen Generation mit Otl Aicher und dem aus Argentinien angeworbenen Künstler und Designer Tomás Maldonado verschärfen. Die Arbeiten von Maldonados Schülern, die viel stärker auf der Mathematik als auf dem Experimentieren fußen, sind ebenfalls Teil der Ausstellung.
Detailverliebte Form- und Farbenlehre, die mit einer praktischen Umsetzung zunächst wenig zu tun hatte, stand der Idee des Industriedesigns gegenüber, wie Otl Aicher es später für Lufthansa und die Olympischen Spiele in München 1972 erfolgreich entwarf. 1957 verließ Max Bill die HfG. Wenige Jahre später wurde die Grundlehre ganz abgeschafft. Es hatte sich gezeigt, dass die ganzheitliche Pädagogik des Bauhauses, die in Deutschland 20 Jahre lang einen Dornröschenschlaf gehalten hatte, nicht wiederbelebt werden konnte – auch wenn sie wesentliche Impulse für das Schaffen an Deutschlands erster Designschule gegeben hat.