Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wandern auf dem Meeresgrund
Das Wattenmeer an der Nordsee ist seit zehn Jahren Unesco-Weltnaturerbe
Es ist klar, dass das hier eine Sauerei wird. Die Frage ist nur, ob es eine herrliche Sauerei wird oder eine üble. Wir sind am Südstrand von St. Peter-Ording, streifen Schuhe und Strümpfe ab und machen uns auf zu einer Wattwanderung. Schließlich gilt es, den zehnten Geburtstag des Weltnaturerbes standesgemäß, nun ja, zu begehen. Am 26. Juni 2009 bekam das Wattenmeer von der Unesco diese höchste Auszeichnung, die ein Naturgebiet bekommen kann. Und befindet sich damit in exklusiver Gesellschaft mit der afrikanischen Serengeti, den Galapagos-Inseln oder dem Grand Canyon in den USA.
Das Meer hat sich an diesem sonnigen Sommermorgen freundlicherweise zurückgezogen und einem Häuflein Gästen das Feld überlassen. Genauer gesagt eine riesige Matschfläche, die bis zum Horizont zu reichen scheint. Ein einzigartiges Ökosystem, in dem die Wattwürmer sichtbar an der Arbeit sind und fleißig Häufchen setzen.
Ally Rose Fiedler, die junge Naturparkbetreuerin, steht mit einer Spatengabel bereit, um uns die sogenannten „Small Five“näherzubringen. Fünf besondere Tierchen also, die da draußen beheimatet sind. Die 19-Jährige, die ein freiwilliges soziales Jahr beim Nationalpark Wattenmeer absolviert, stapft zielstrebig
voran, während die Gäste die Kapuzen enger ziehen. Den strammen Wind scheint sie schon gar nicht mehr zu spüren. Vorsichtig testen die Wattneulinge mit nackten Sohlen den glitschigen Untergrund, umklammern Taschen und Kamera. Es soll schließlich nicht sofort eine üble Sauerei werden. Aber alle Sorgen sind unbegründet, keiner setzt sich auf den Hosenboden, nichts platscht in den Matsch. Mit jedem Schritt, bei dem der lauwarme Schlick durch die Zehen quillt, wird es herrlicher. Ahh, dieser Himmel, diese Ruhe! So ein Spaziergang über den Meeresboden ist Naturerlebnis, Fußmassage und Kindheitserinnerung in einem. Wer braucht schon Gummistiefel?
Die „Small Five“entdecken
Nach einer Weile wird auch klar, warum die Einheimischen gebetsmühlenartig davor warnen, in dieser Weite die Orientierung zu verlieren. Kaum zwanzig Minuten sind wir marschiert, aber die markanten Pfahlbauten von St. Peter-Ording erscheinen schon winzig, wie auch alles andere am Strand, der endlose zwölf Kilometer lang sein soll. Wie Ameisen wirken ein paar Reiter in der Ferne. Immer wieder verirren sich hier sorglose Wattwanderer, die das Gefühl für Raum und Zeit verlieren – und dann beschließt das Meer auch noch, schneller als gedacht zurückzukehren. Aber noch ist Zeit für uns, ein paar weißlich-transparente Nordseegarnelen aus einem Priel zu fischen, die auf dem Teller gekocht und rosig aussehen. Herzmuschel und Strandkrabbe werden identifiziert, einer von gefühlt Trilliarden Wattwürmern aus dem Matsch gegraben und die Wattschnecke, klein wie ein Krümel, bestaunt: bitte sehr, die „Small Five“. Sie werden übrigens nicht nur von Naturfreunden geschätzt, sondern auch von Millionen Vögeln wie dem Austernfischer, von Silbermöwen, Brand- und Ringelgänsen, für die das Watt eine Art All-you-can-eat-Büfett darstellt. Müßig zu erwähnen, dass Lebensraum und Artenvielfalt zum Teil bedroht sind, durch Überfischung oder Plastikmüll etwa. „Das meiste davon stammt aus der Fischerei“, sagt Ally.
Ortswechsel: Auch etwa vierzig Kilometer südlich, in Büsum, schätzen die Gäste das Watt. Sie taten es schon lange, bevor die Unesco es entdeckt hat. Wer’s rustikal mag, zieht hier auch schon mal mit der Musikkapelle hinaus. Das hat Tradition wie so vieles in dem Nordsee-Ferienort, der gerade den Deich und die große Familienlagune Perlebucht erneuert hat, um touristisch weiterhin oben mitzuspielen wie St. Peter-Ording. Im Hafen liegt etwa die „Hauke“, ein Kutter, mit dem Urlauber mitfahren können auf Fangfahrt. Andere Ausflugsschiffe steuern Helgoland an oder die Seehundbänke.
Rundflug mit der Cessna
Und dann gibt es da noch Michael Pietsch, der uns auf dem kleinen Flugplatz Oesterdeichstrich empfängt. Der Hobbypilot nimmt uns mit auf einen Rundflug, 240 Euro für eine Stunde, ein Angebot des örtlichen Flugsportclubs. Der Wind, die grauen Wolken? „Kein Problem“, brummt der 68-Jährige, wirft die Cessna an und wedelt alle Bedenken angesichts der ordentlich flatternden Fahnen weg. Oben sei es ganz ruhig, versprochen. Na gut. Watt soll’s. Wir wollen das Weltnaturerbe schließlich auch von oben sehen, also los. „Wind Nordost, Startbahn 03...“, würde Reinhard Mey jetzt anstimmen.
Kaum sind wir in der Luft, steuert Pietsch Richtung Meer, oder genauer gesagt dorthin, wo das Meer gerade wieder einmal nicht ist. Die Häuser von Büsum bleiben zurück, dafür erstreckt sich unter uns das weite sandig-braun gewellte Wattenmeer, von Prielen wie von Adern durchzogen. Wir knattern auf gut 1200 Fuß, also in mehr als 300 Metern Höhe, durch die Luft, um die Seehunde unten auf den Sandbänken nicht aufzuschrecken.
Tatsächlich liegt die Maschine tadellos ruhig in der Luft, und Pietsch hat die Hände frei, um nach hier und dort zu zeigen: Da drüben St. PeterOrding mit der langen Seebrücke, dann Amrum, „die größte Sandkiste Europas“, daneben Föhr, groß und grün. Dazwischen natürlich noch die Halligen, auf denen sich die Häuser auf den Warften ängstlich zusammenzudrängen scheinen. Die Zeit vergeht buchstäblich wie im Flug, schon steuert der Pilot zurück. Die riesigen Windräder im Hinterland der Küste kratzen fast am Bauch der Cessna, bevor wir sicher wieder aufsetzen. Watt’n Meer!
Weitere Informationen: Nordsee-Tourismus-Service GmbH, Zingel 5, 25813 Husum. Service-Tel.: 04841-89750
Tel.: 048639990, Tel.: 04834- 90 90, Informationen zum Die Recherche wurde unterstützt von
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