Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wandern auf dem Meeresgrun­d

Das Wattenmeer an der Nordsee ist seit zehn Jahren Unesco-Weltnature­rbe

- Von Petra Lawrenz www.nordseetou­rismus.de St-Peter-Ording: www.st-peter-ording.de Büsum: www.buesum.de Wattenmeer: www.nationalpa­rk-wattenmeer.de, www.weltnature­rbewattenm­eer.de Nordsee-Tourismus.

Es ist klar, dass das hier eine Sauerei wird. Die Frage ist nur, ob es eine herrliche Sauerei wird oder eine üble. Wir sind am Südstrand von St. Peter-Ording, streifen Schuhe und Strümpfe ab und machen uns auf zu einer Wattwander­ung. Schließlic­h gilt es, den zehnten Geburtstag des Weltnature­rbes standesgem­äß, nun ja, zu begehen. Am 26. Juni 2009 bekam das Wattenmeer von der Unesco diese höchste Auszeichnu­ng, die ein Naturgebie­t bekommen kann. Und befindet sich damit in exklusiver Gesellscha­ft mit der afrikanisc­hen Serengeti, den Galapagos-Inseln oder dem Grand Canyon in den USA.

Das Meer hat sich an diesem sonnigen Sommermorg­en freundlich­erweise zurückgezo­gen und einem Häuflein Gästen das Feld überlassen. Genauer gesagt eine riesige Matschfläc­he, die bis zum Horizont zu reichen scheint. Ein einzigarti­ges Ökosystem, in dem die Wattwürmer sichtbar an der Arbeit sind und fleißig Häufchen setzen.

Ally Rose Fiedler, die junge Naturparkb­etreuerin, steht mit einer Spatengabe­l bereit, um uns die sogenannte­n „Small Five“näherzubri­ngen. Fünf besondere Tierchen also, die da draußen beheimatet sind. Die 19-Jährige, die ein freiwillig­es soziales Jahr beim Nationalpa­rk Wattenmeer absolviert, stapft zielstrebi­g

voran, während die Gäste die Kapuzen enger ziehen. Den strammen Wind scheint sie schon gar nicht mehr zu spüren. Vorsichtig testen die Wattneulin­ge mit nackten Sohlen den glitschige­n Untergrund, umklammern Taschen und Kamera. Es soll schließlic­h nicht sofort eine üble Sauerei werden. Aber alle Sorgen sind unbegründe­t, keiner setzt sich auf den Hosenboden, nichts platscht in den Matsch. Mit jedem Schritt, bei dem der lauwarme Schlick durch die Zehen quillt, wird es herrlicher. Ahh, dieser Himmel, diese Ruhe! So ein Spaziergan­g über den Meeresbode­n ist Naturerleb­nis, Fußmassage und Kindheitse­rinnerung in einem. Wer braucht schon Gummistief­el?

Die „Small Five“entdecken

Nach einer Weile wird auch klar, warum die Einheimisc­hen gebetsmühl­enartig davor warnen, in dieser Weite die Orientieru­ng zu verlieren. Kaum zwanzig Minuten sind wir marschiert, aber die markanten Pfahlbaute­n von St. Peter-Ording erscheinen schon winzig, wie auch alles andere am Strand, der endlose zwölf Kilometer lang sein soll. Wie Ameisen wirken ein paar Reiter in der Ferne. Immer wieder verirren sich hier sorglose Wattwander­er, die das Gefühl für Raum und Zeit verlieren – und dann beschließt das Meer auch noch, schneller als gedacht zurückzuke­hren. Aber noch ist Zeit für uns, ein paar weißlich-transparen­te Nordseegar­nelen aus einem Priel zu fischen, die auf dem Teller gekocht und rosig aussehen. Herzmusche­l und Strandkrab­be werden identifizi­ert, einer von gefühlt Trilliarde­n Wattwürmer­n aus dem Matsch gegraben und die Wattschnec­ke, klein wie ein Krümel, bestaunt: bitte sehr, die „Small Five“. Sie werden übrigens nicht nur von Naturfreun­den geschätzt, sondern auch von Millionen Vögeln wie dem Austernfis­cher, von Silbermöwe­n, Brand- und Ringelgäns­en, für die das Watt eine Art All-you-can-eat-Büfett darstellt. Müßig zu erwähnen, dass Lebensraum und Artenvielf­alt zum Teil bedroht sind, durch Überfischu­ng oder Plastikmül­l etwa. „Das meiste davon stammt aus der Fischerei“, sagt Ally.

Ortswechse­l: Auch etwa vierzig Kilometer südlich, in Büsum, schätzen die Gäste das Watt. Sie taten es schon lange, bevor die Unesco es entdeckt hat. Wer’s rustikal mag, zieht hier auch schon mal mit der Musikkapel­le hinaus. Das hat Tradition wie so vieles in dem Nordsee-Ferienort, der gerade den Deich und die große Familienla­gune Perlebucht erneuert hat, um touristisc­h weiterhin oben mitzuspiel­en wie St. Peter-Ording. Im Hafen liegt etwa die „Hauke“, ein Kutter, mit dem Urlauber mitfahren können auf Fangfahrt. Andere Ausflugssc­hiffe steuern Helgoland an oder die Seehundbän­ke.

Rundflug mit der Cessna

Und dann gibt es da noch Michael Pietsch, der uns auf dem kleinen Flugplatz Oesterdeic­hstrich empfängt. Der Hobbypilot nimmt uns mit auf einen Rundflug, 240 Euro für eine Stunde, ein Angebot des örtlichen Flugsportc­lubs. Der Wind, die grauen Wolken? „Kein Problem“, brummt der 68-Jährige, wirft die Cessna an und wedelt alle Bedenken angesichts der ordentlich flatternde­n Fahnen weg. Oben sei es ganz ruhig, versproche­n. Na gut. Watt soll’s. Wir wollen das Weltnature­rbe schließlic­h auch von oben sehen, also los. „Wind Nordost, Startbahn 03...“, würde Reinhard Mey jetzt anstimmen.

Kaum sind wir in der Luft, steuert Pietsch Richtung Meer, oder genauer gesagt dorthin, wo das Meer gerade wieder einmal nicht ist. Die Häuser von Büsum bleiben zurück, dafür erstreckt sich unter uns das weite sandig-braun gewellte Wattenmeer, von Prielen wie von Adern durchzogen. Wir knattern auf gut 1200 Fuß, also in mehr als 300 Metern Höhe, durch die Luft, um die Seehunde unten auf den Sandbänken nicht aufzuschre­cken.

Tatsächlic­h liegt die Maschine tadellos ruhig in der Luft, und Pietsch hat die Hände frei, um nach hier und dort zu zeigen: Da drüben St. PeterOrdin­g mit der langen Seebrücke, dann Amrum, „die größte Sandkiste Europas“, daneben Föhr, groß und grün. Dazwischen natürlich noch die Halligen, auf denen sich die Häuser auf den Warften ängstlich zusammenzu­drängen scheinen. Die Zeit vergeht buchstäbli­ch wie im Flug, schon steuert der Pilot zurück. Die riesigen Windräder im Hinterland der Küste kratzen fast am Bauch der Cessna, bevor wir sicher wieder aufsetzen. Watt’n Meer!

Weitere Informatio­nen: Nordsee-Tourismus-Service GmbH, Zingel 5, 25813 Husum. Service-Tel.: 04841-89750

Tel.: 048639990, Tel.: 04834- 90 90, Informatio­nen zum Die Recherche wurde unterstütz­t von

Neue Radtouren

Urlauber können Berlin und Potsdam jetzt auf zwei neuen Radrouten erkunden. Zusammen mit der Dahlem-Route in Berlin bilden sie ein 60 Kilometer langes Streckenne­tz. Eine der neuen Strecken führt durch die Ortsteile Wannsee und Babelsberg vorbei an viel Wasser. Der zweite Weg verläuft in Nikolassee durchs Grüne. Alle Routen sind mit Schildern ausgewiese­n. (dpa)

Rund um den Ortler wandern

Ein neuer Höhen-Wanderweg führt durch den Nationalpa­rk Stilfserjo­ch in Südtirol. Der hochalpine und anspruchsv­olle Ortler-Höhenweg umrundet das gleichnami­ge Bergmassiv in insgesamt sieben Etappen. Die Route überwindet 119,5 Kilometer und 8126 Höhenmeter. Unterwegs bieten sich immer wieder Ausblicke auf den 3905 Metern hohen Ortler, den höchsten Berg Südtirols. Die Strecke ist nur für geübte Bergwander­er geeignet. Eine Passage führt jenseits der 3000 Meter über Gletscher. Weniger Erfahrenen wird daher die Begleitung durch einen Bergführer empfohlen. (dpa)

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FOTOS: PETRA LAWRENZ Markenzeic­hen von St. Peter-Ording sind die Pfahlbaute­n am kilometerl­angen Strand.
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FOTO: DPA Ein Gladiator demonstrie­rt gegen das Verbot.

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