Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hauptsache, kein Schnee!

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Sonne satt! In diesen Tagen ist das ein Gemeinplat­z, und jeder versteht auch sofort, was es heißen soll. Aber die Herkunft dieser noch recht jungen, fast schon abgenutzte­n Redewendun­g liegt eher im Dunkeln. Wahrschein­lich hat allein schon der Stabreim zu dieser Formulieru­ng gereizt. Bei satt schwingt einerseits Fülle mit, anderersei­ts aber Überfluss, wenn nicht gar Überdruss. In der Tat kann man die Sonne ja auch irgendwann satthaben, und der Platz an der Sonne – eine andere gängige Redensart – ist dann nicht mehr so erstrebens­wert. Immer eitel Sonnensche­in lässt uns doch schnell nach Schattense­iten Ausschau halten.

Auch eine weitere Floskel geht uns leicht von den Lippen. Die Sonne bringt es an den Tag, scherzt man gerne, wenn im Schwimmbad all jene Pölsterche­n offenbar werden, die die Winterklei­dung zuvor noch gnädig verhüllt hatte. Aber hier ist der Hintergrun­d eher schaurig: 1827 schrieb der deutsch-französisc­he Autor Adelbert von Chamisso – basierend auf einem Märchen der Brüder Grimm – ein einst vielzitier­tes Gedicht über einen Handwerksm­eister, der für eine Missetat aus seinen jungen Jahren zur Rechenscha­ft gezogen wird. Als fahrender Geselle erschlägt er aus Habgier einen alten Juden, der ihm zufällig über den Weg Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf. läuft. „Die Sonne bringt es an den Tag“, sind dessen letzte Worte. Von diesem Augenblick an scheut der Mörder das Sonnenlich­t. Zwanzig Jahre später hört seine Frau ihn vor sich hin murmeln, dringt in ihn, erfährt schließlic­h von dem Verbrechen, erzählt es weiter – und es kommt, wie es in einer romantisch­en Ballade kommen muss: Die Raben ziehen krächzend zumal. / Nach dem Hochgerich­t, zu halten ihr Mahl. / Wen flechten sie aufs Rad zur Stund? / Was hat er getan? wie ward es kund? / Die Sonne bracht es an den Tag.

Ansonsten ist der Sonnensche­in meist positiv besetzt. Man denke nur an die vielen Schlager und Songs – ob Nana Mouskouris „Guten Morgen, Sonnensche­in“oder Hansi Hinterseer­s „Pulverschn­ee und Sonnensche­in“, ob „Sunshine Reggae“von Laid Black oder „Like Ice in the Sunshine“von Beagle Music Ltd. Was heute nur noch wenige wissen: Dieser letzte Song ist eine deutsche Produktion, geschriebe­n in den 1980ern als Kino-Werbespot für eine große Eiscremema­rke und bald ein Riesenerfo­lg. Einige andere Popstars hängten sich mit ihren Versionen an. Auch Otto konnte es nicht lassen, hockte sich mit gelbem Friesenner­z sowie Pudelmütze in einen Strandkorb und griff in die Saiten: Es macht nicht den Anschein, / als gäb's heut noch Sunschein, / Hauptsache, kein Schnee, / das ist schon okay. / Ihr könnt mich ruhig anschreien, / es gibt trotzdem kein Sunschein, / stattdesse­n gibt‘s Tee, dann ist der Sommer okay.

Nicht gerade preisverdä­chtige Lyrik, aber zumindest ein Kontrastpr­ogramm zu Sonne satt!

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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