Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Er hat immer sibirischen Winter
Jan Saur bekommt im Boehringer-Tiefkühlzentrum nichts von der Hitze mit
Schwitzen am Arbeitsplatz? Jan Saur und seinen Kollegen passiert das nicht einmal bei diesen tropischen Temperaturen. Sie arbeiten bei Boehringer Ingelheim am Standort Biberach im Tiefkühlzentrum – dem wohl kältesten Ort weit und breit. Bis zu minus 70 Grad herrschen in den Kühlräumen, wo Wirkstoffe für Medikamente lagern. So kalt war es zuletzt 1933 in Sibirien. Der Job im Kalten hat bei diesem BackofenWetter zwar seine Vorzüge, ganz ohne Nachteile geht es aber nicht.
Jan Saur, der seit 2013 bei dem Pharmaunternehmen beschäftigt ist, zieht die Thermohose über. Anschließend schnürt er die dicken Stiefel, wobei er darauf achtet, die Schnürsenkel fest über die Nieten zu ziehen. Er muss einen guten Halt in den Schuhen haben, kann es doch in dem Kühlraum ziemlich rutschig sein. Jacke, Sturmhaube und Handschuhe übergestreift, dann ist er für minus 70 Grad gerüstet. Nur etwa fünf Minuten dauert die ganze Prozedur. Im Schnitt begibt er sich einmal pro Tag in eine der vielen Kältekammern, um Bestände ein- sowie auszulagern, diese zu zählen oder zu kontrollieren.
Begehbarer Gefrierschrank Begleitet wird er von seinem Kollegen Alexander Trost. Er ist ebenfalls warm, aber nicht ganz so dick eingepackt. Seine Aufgabe ist es, im Eingangsbereich der Kältekammer stehen zu bleiben, um eingreifen zu können, falls Jan Saur ausrutschen oder stürzen sollte. Das schreibt der Arbeitsschutz ebenso vor wie die maximale Aufenthaltsdauer in der Kältekammer. „Spätestens nach zehn Minuten muss ich wieder draußen sein“, schildert Jan Saur. Jetzt gilt es für ihn aber erst einmal, den großen Gefrierschrank zu betreten.
Zuerst schreitet er durch einen Gang mit einer Temperatur zwischen minus zwei und acht Grad. Nach der Öffnung der Tür, ähnlich wie bei einem Tresor, kommt eine Schleuse, in der die Temperaturen den zweistelligen Minusbereich erreichen. Dort angekommen ist es schon ziemlich frostig, aber was einen danach erwartet, übertrifft alles. Es ist so eisig, dass alle Gegenstände in der Kammer mit einer Eisschicht überzogen sind und beim Atmen große Wolken entstehen. Wie sich Minus 70 Grad anfühlen, ist schwer zu beschreiben, eigentlich fühlt man gar nichts mehr.
Nur 50 Meter Fußmarsch entfernt, herrscht das komplette Gegenteil. Die Sonne brennt auf den Asphalt, die Temperaturen bewegen sich an diesem Vormittag jenseits der 30-GradMarke. Biberach ist der größte Forschungsund Entwicklungsstandort von Boehringer Ingelheim und zentrale Drehscheibe für Lagerung, Weiterverarbeitung und Distribution biopharmazeutischer Präparate. Vor etwa einem halben Jahr ist ein neues, 1000 Quadratmeter großes Tiefkühlzentrum eingeweiht worden. Rund 17 Millionen Euro investierte das Unternehmen in den Neubau, der innerhalb von 13 Monaten entstanden ist.
Haltbarkeit der Wirkstoffe „Durch die Kühlung gewährleisten wir die Haltbarkeit der biopharmazeutischen Wirkstoffe“, erläutert der Biberacher Logistik-Chef Hubert Wetzel. Die empfindlichen Moleküle können entweder bei minus 20, minus 40 oder minus 70 Grad gelagert werden. In welche Kammer die Wirkstoffe kommen, hängt vom Typ ab. Bis zu fünf Jahre verbringen die Wirkstoffe auf diese Weise dort, bevor sie in die Abfüllung kommen: „Bis sie beim Patienten ankommen, können weitere zwei bis drei Jahre vergehen.“
Wie in vielen anderen Jobs passiert auch bei Saur einiges am PC. Der steht natürlich nicht in einem Raum mit Minustemperaturen. „Hier hat es zwischen 15 und 20 Grad“, sagt er. „Das ist natürlich sehr angenehm, im Gegensatz zu einem unklimatisierten Büro.“Der Nachteil: Sein Arbeitsplatz befindet sich im Keller, Fenster und Tageslicht gibt es nicht: „Hier unten bekommt man vom Wetter draußen nichts mit.“Besonders krass sei der Temperaturunterschied bei dem derzeitigen Backofen-Wetter: „Vor allem, wenn das Auto noch aufgeheizt ist.“Er selbst mag übrigens die Hitze. „Ein mehrwöchiger Urlaub in der Sonne muss schon sein. Aber dann sind meine Wärme-Akkus auch wieder aufgeladen“, scherzt Saur, der mit langärmliger Weste vor dem PC sitzt.
beide Texte von Daniel Häfele
„Spätestens nach zehn Minuten muss ich wieder draußen sein.“Jan Saur