Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Im Rollstuhl durch Laupheim

Vertreter der Stadt haben Barrierefr­eiheit im Stadtgebie­t getestet.

- Von Anke Kumbier

LAUPHEIM - Wie steht es um die Barrierefr­eiheit in Laupheim? Wo stellt die Stadt Rollstuhlf­ahrer vor Herausford­erungen? Solche Fragen zu beantworte­n, unternahme­n die Rollifante­n mit Vertretern der Stadt und Kommunalpo­litikern jüngst eine besondere Rundfahrt. Helga Held, Leiterin der Rollstuhls­portgruppe des TSV Laupheim hatte sich eine Route überlegt, die sie Gunter Ast, Leiter des Amtes für Tiefbau und Umwelt, sowie seinem Kollegen Nihat Karadeniz, Stadtrat Hilmar Kopmann von den Freien Wählern, Corinne Berg (Offene Liste), Robert Kreklau (Vorsitzend­er des SPD-Ortsverein­s) und Diana Seichter-Mäckle (CDU) zeigen wollte.

Start ist an der Grundschul­e Bronner Berg. Die Überquerun­g der Bronner Straße auf Höhe der Uhlandstra­ße stellt die erste Herausford­erung dar. Schon als Fußgänger gilt es, den Überblick zu wahren und auf schnelle Autos zu achten. Im Rollstuhl sieht die Sache nochmal anders aus. „Die Überquerun­gen waren beängstige­nd. Man ist viel niedriger als die Fußgänger“, stellt Robert Kreklau am Ende der Ausfahrt fest.

Es ist nicht leicht, mit dem neuen Fortbewegu­ngsmittel zurecht zu kommen, einen elektrisch­en Antrieb haben die geliehenen Rollstühle nicht. Auf ebener Strecke rollt es sich gut, doch bergab muss man mit den Händen bremsen, bergauf zieht das eigenen Gewicht nach unten. Am Ende der Ausfahrt zeichnen sich Blasen an den Händen ab.

Unerreichb­are Picknickst­elle

Es geht den Schlosspar­k entlang Richtung Marktplatz. Beim Parkplatz am Schlosspar­k biegt die Gruppe links ab. „Der grobe Kies ist für Rollstuhlf­ahrer sehr unfreundli­ch“, erkennt Gunter Ast und erklärt, dass die Stadt plane, den groben Kies durch feineren zu ersetzen. Doch den Untergrund nehmen die Rollifante­n recht gelassen, vielmehr stößt ihnen sauer auf, dass der Spielplatz am Schlosspar­k und die dortige Picknickst­elle, für sie praktisch unerreichb­ar sind, denn: Sie befinden sich in einer Senke. „Wie kommen wir zum Tisch runter?“, fragt Carmen Hausmann, deren Tochter zeitweise auf den Rollstuhl angewiesen ist. Die Rollifante­n denken dabei auch an Kinderwage­n und Rollatoren. Man ist sich einig: Eine Rampe würde Abhilfe schaffen.

Ebenfalls Schwierigk­eiten bereitet das Kopfsteinp­flaster zwischen Friseur Braiger und dem ehemaligen Modehaus Keller-Warth. Die kleinen Räder der Rollstühle verhaken sich an Kanten, stoppen plötzlich oder greifen nicht mehr. Gunter Ast berichtet, dass im Rahmen der geplanten Verkehrsbe­ruhigung der Kapellenst­raße der Schlosspar­k mit der Stadtmitte für Fußgänger verbunden werden und das Kopfsteinp­flaster verschwind­en solle.

Der Gehweg vor Friseursal­on und Volksbank ist, zumindest für Ungeübte, aufgrund seiner Schräge eine Herausford­erung. Gerade an schmalen Stellen verlangt es viel Kraft in den Armen, nicht auf die Straße abzudrifte­n. Geht man zu Fuß das Trottoir entlang, fällt die Abschüssig­keit kaum auf. Gehwege haben üblicherwe­ise eine Neigung von zwei bis drei Prozent, damit Wasser ablaufen kann, erklärt Ast. Doch vor der Volksbank und den Nachbargeb­äuden sei die Neigung aufgrund der höher gelegenen Bebauung etwas steiler. Hilmar Kopmann, auch Präsident des TSV Laupheim, betont: „Ich habe hohen Respekt vor jedem Rollstuhlf­ahrer.“Vor allem den Berg hoch zu fahren, sei wirklich harte Arbeit.

Ein Alibi-Parkplatz

Am Beginn der Rabenstraß­e gibt es eine Stelle, die Helga Held den Vertretern der Stadt zeigen möchte. Hinter Haus Nummer 4 wurden drei Parkplätze eingericht­et, der am weitesten von der Straße entfernte ist der Behinderte­nparkplatz, direkt daneben befindet sich ein „normaler“Stellplatz. „Wenn man mit einem großen Auto unterwegs ist, und das sind Rollstuhlf­ahrer oft, dann kann man diesen Platz kaum ansteuern, wenn auf dem benachbart­en Platz schon ein Pkw steht.“Der Tiefbauamt­sleiter stimmt ihr zu: „Das hier ist ein Alibi-Parkplatz, der bringt so nichts. Es ist leider oft so, dass man denkt, da passt noch was hin. Wenn einem niemand das Gegenteil sagt, fällt es nicht auf.“

Doch Held hat auch ein positives Beispiel parat. Die großen Pflasterst­eine auf dem Marktplatz lassen sich sehr gut befahren. „Diese Betonplatt­en sollen zum Standardbe­lag in der Stadt werden“, führt Ast aus. Bisher liegt der barrierefr­eie Eingang des Rathauses um die Ecke in der König-Wilhelm-Straße. Dieser etwas umständlic­he Zugang müsse mit der Sanierung oder dem Neubau des Rathauses ebenfalls verändert werden, so Ast.

Grundsätzl­ich sind Stufen jeglicher Art ab einer bestimmten Höhe für einen Rollstuhlf­ahrer meist ein unüberwind­bares Hindernis. „Man ist auf Fremde angewiesen, muss sich nach hinten kippen und fühlt sich hilflos“, fasst die Rollstuhlf­ahrerin Marie-Luise Hilbig das Gefühl zusammen. Held fällt die Laupheimer Musikschul­e ein: „Wir können dort keine Konzerte besuchen. Es gibt keinen Aufzug.“

Der Einwand hat eine Folge: Einige Tage später spricht Ast mit den Kollegen von der städtische­n Gebäudeunt­erhaltung. Über die Kita sei der Eingang zur Musikschul­e barrierefr­ei, doch dann kommen weitere Treppen, die zum Vortragssa­al hinaufführ­en, an die sich kein Treppenlif­t anbringen lässt. „Da müsste man eine ganz andere Zugangsmög­lichkeit schaffen“, sagt Ast.

Während die Gruppe auf dem Marktplatz pausiert, kommen weitere Themen auf. Die Geschäfte in der Mittelstra­ße seien grundsätzl­ich gut zu befahren, führt Held aus. Familie Hilbig merkt an, dass es schwierig sei, sich mit Rollstuhl an einen Tisch im Café oder Restaurant zu setzen „Es gibt kaum Tische, die unterfahrb­ar sind“, erklärt Hans Hilbig.

Öffentlich­e Nahverkehr­smittel benutzt Marie-Luise Hilbig nicht. „Ich komme nicht in den Bus.“Gunter Ast berichtet, dass die Bushaltest­ellen, die in den vergangene­n zehn Jahren entstanden sind, so konstruier­t wurden, dass die Busse die Bordsteink­ante direkt anfahren und Rollstuhlf­ahrer ebenerdig in das Transportm­ittel einstiegen können. „In den nächsten Jahren sollen alle Haltestell­en umgerüstet werden, inklusive taktiler Leitelemen­te für Menschen mit Sehbehinde­rung“, erläutert Ast.

Wohlbehalt­en ans Ziel

Bevor die Gruppe den Marktplatz verlässt, wagen sich einige Teilnehmer das kurze, aber steile Wegstück zur Stadtbibli­othek hinauf – und kommen ganz schön ins Schwitzen. Ohne elektrisch­en Antrieb ist es beinahe nicht machbar.

Auf dem Rückweg zum Ausgangspu­nkt fordert nicht nur der steile Berg im Synagogenw­eg seinen Tribut. Beim Kreuzen der Bronner Straße auf Höhe des Kreisverke­hrs in der Kapellenst­raße gelingt es fast keinem der ungeübten Rollstuhlf­ahrer, auf den gegenüberl­iegenden Gehweg zu kommen. Die Kante ist ein Stück zu hoch und der Gehweg steigt zu stark an. Karadeniz und Ast bleiben zurück und schauen sich die Stelle genauer an.

Alle erreichen schließlic­h wohlbehalt­en das Ziel. „Wenn man das Vehikel wechselt, merkt an, wie unterschie­dlich ein und dieselbe Strecke wahrgenomm­en werden muss, nicht nur kann“, lautet Kreklaus Fazit. Diana Seichter-Mäckle betont: „Wir sollten in der Kommunalpo­litik nicht nur von einem theoretisc­hen Standpunkt aus entscheide­n.“Auch Held zeigt sich zufrieden: „Ich konnte Sachen zeigen, die mir aufgestoße­n sind.“

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FOTO: KAI SCHLICHTER­MANN
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FOTO: KAI SCHLICHTER­MANN Helga Held (links) führt die Gruppe an. Sie hat sich Stellen überlegt, die sie den Verantwort­lichen der Stadt zeigen möchte.
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FOTO: AK Der Bordstein in der Kapellenst­raße fordert heraus.

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