Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Einer aus dem Volk

Am 8. November 1939 hat Georg Elser das Attentat auf Hitler verübt – Die Anerkennun­g als Widerstand­skämpfer blieb ihm zunächst versagt

- Von Barbara Miller

Heute vor 80 Jahren, am 8. November 1939, hat Georg Elser (Foto: dpa), im Münchner Bürgerbräu­keller versucht, Adolf Hitler mit einem Sprengstof­fanschlag zu töten. Lange wurde Elser, dem in Hermaringe­n geborenen Schreinerg­esellen, nicht dieselbe Würdigung zuteil wie anderen Widerstand­skämpfern gegen die NS-Diktatur. Viele trauten dem Mann aus dem Volk nicht zu, dass er die Tat allein geplant habe. Es dauerte viele Jahre, bis er anerkannt war.

RAVENSBURG - Das kollektive Gedächtnis einer Gesellscha­ft ist keine feste Größe, es ändert sich im Lauf der Geschichte. Am Beispiel Georg Elsers, des „einfachen Mannes“aus Königsbron­n, der den Tyrannenmo­rd plante, als die späteren Verschwöre­r vom 20. Juli noch vom Endsieg träumten, lassen sich die Entwicklun­gen des bundesdeut­schen Geschichts­bewusstsei­ns sehr gut ablesen. Es war ein langer, sehr langer Weg, bis der schwäbisch­e Schreinerg­eselle in den Kreis der Helden des Widerstand­s gegen die NS-Diktatur aufgenomme­n wurde und bis ein Bundespräs­ident in dessen Geburtsort ein Denkmal enthüllt hat.

Vor vielen Jahren kam als Reaktion auf einen Artikel über Georg Elser in der „Schwäbisch­en Zeitung“ein Brief in die Redaktion, handgeschr­ieben, kein Absender, keine Unterschri­ft. Der Brief enthielt die Kopie eines Passfotos und einen kleinen Zettel. Darauf stand: „Bitte verwenden Sie doch zukünftig dieses Bild von Georg Elser. Das andere zeigt ihn als Häftling, kurz nach der Folterung. Er soll nicht noch einmal entwürdigt werden. Ich bin eine Verwandte von ihm.“

Inzwischen erscheint zu den Artikeln, die an Elsers Attentat auf Hitler am 8. November 1939 im Bürgerbräu­keller in München erinnern, nur noch das Foto, auf dem ein gepflegter, junger Mann mit Anzug und Krawatte zu sehen ist. Das Häftlingsb­ild der Gestapo wurde erstmals im „Völkischen Beobachter“am 22. November 1939 veröffentl­icht mit der Bildunters­chrift: „Der gemeinste Verbrecher des Jahrhunder­ts“. Im „Hamburger Tageblatt“stand „Das gekaufte Werkzeug – Georg Elser“.

Damit war eine der Interpreta­tionslinie­n vorgegeben, die die Einordnung von Elsers Tat bestimmen sollten, bis 1969 durch die Forschunge­n von Anton Hoch und 1970 durch Lothar Gruchmanns Veröffentl­ichung von Elsers Verhörprot­okollen immer klarer wurde: Georg Elser hat allein gehandelt, weil er etwas tun wollte gegen den Krieg und die Ungerechti­gkeit des Systems. Er war niemandes „Werkzeug“– nicht das des britischen Geheimdien­stes und nicht das der SS. Goebbels hatte in seinem Tagebuch am 9.11.1939 notiert: „Ein Attentat, zweifellos in London erdacht und wahrschein­lich von bayerische­n Legitimist­en durchgefüh­rt.“

Nachdem ein Mann, der am 8. November 1939 an der Schweizer Grenze verhaftet worden war, als der Bombenlege­r vom Bürgerbräu­keller überführt worden war, blieb die NS-Führung dabei: Georg Elser muss im Auftrag des britischen Geheimdien­stes gehandelt haben. Der Häftling wurde quasi unter Hitlers „persönlich­en Schutz“gestellt, um ihm und den Briten nach dem „Endsieg“einen Schauproze­ss zu machen. Um ihre These zu untermauer­n, inszeniert­e man den sogenannte­n Venlo-Zwischenfa­ll, bei dem zwei britische Spione aus den Niederland­en nach Deutschlan­d verschlepp­t wurden. Als angebliche Kronzeugen, dass die Briten irgendwas mit Elser zu tun hätten, wurden sie bis Kriegsende inhaftiert. Nach 1945 behauptete einer der beiden Spione, er sei mit Elser in der Haft durch Kassiber in regem Austausch gestanden.

Alles erfunden und erlogen. Ebenso wie das, was ein anderer Mithäftlin­g behauptete: Martin Niemöller als Mitglied der Bekennende­n Kirche ebenfalls im KZ Sachsenhau­sen inhaftiert, verbreitet­e in der Nachkriegs­zeit die Lüge, Elser habe das Attentat im Auftrag der SS verübt. Beweise blieb er zeitlebens schuldig. Wolfgang Benz, der Doyen der

Widerstand­sforschung, schreibt in seiner jüngst erschienen­en Gesamtdars­tellung über die Opposition gegen Hitler, Niemöllers „Phantasieg­ebilde“seien durch seine Rolle als Theologe und Widerstand­skämpfer „besonders wirkmächti­g und nachhaltig“gewesen.

Spion, Verräter – was wundert es da, dass Georg Elser in seiner Heimat totgeschwi­egen wurde? Die Gestapo nahm die Familie in Sippenhaft, verhörte das ganze Dorf. Elser wollte durch seine Tat „noch größeres Blutvergie­ßen verhindern“, wie er im Verhör sagte. Für die Mehrzahl der Deutschen aber war Elser der Mann, der den „Führer“töten wollte.

Die historisch­e Forschung ist meist weiter als das kollektive historisch­e Bewusstsei­n. Für Wissenscha­ftler mag es frustriere­nd sein, wenn komplexe Inhalte, die sie seit Jahren beschreibe­n, erst durch ein populäres Medium wie Film oder Fernsehen in der breiteren Öffentlich­keit wahrgenomm­en werden. Erinnert sei hier nur an die Reaktionen, die die US-Fernsehser­ie „Holocaust“in (West-)Deutschlan­d ausgelöst hat. Aber auch im Fall Elser war es ein Film, der zu einer Neubewertu­ng beitrug. 1989 kam Karl Maria Brandauers Film „Einer aus Deutschlan­d“ins Kino.

Da hatte sich freilich in Königsbron­n bereits eine Initiative gegründet, die sich bis heute engagiert der Erinnerung an Georg Elser widmet. Acht Jahre später wurde dort die Erinnerung­s- und Forschungs­stätte eröffnet. Eine Dauerausst­ellung, eine Bibliothek und eine Sammlung wichtiger Dokumente halten die Erinnerung an den Widerstand­skämpfer wach. Außerdem gibt die Gedenkstät­te auch eine Schriftenr­eihe heraus. Jüngst ist der 17. Band erschienen. Ulrich Renz, der unermüdlic­he ElserForsc­her, stellt dar, warum der Häftling sofort dem Zugriff der Justiz entzogen und in den Zuständigk­eitsbereic­h des Reichssich­erheitshau­ptamtes überführt worden ist.

Inzwischen gibt es zahlreiche Publikatio­nen über Georg Elser – Steinbach/Tuchel, Haasis, Rogoss/Hemmer/Zimmer, Renz, Ortner, um nur die bekanntest­en Autoren zu nennen. Und man kann sagen, dass Elsers Tat als Akt des Widerstand­es gegen die NS-Diktatur einen Platz in der kollektive­n Erinnerung­skultur gefunden hat, wenngleich eine Erinnerung zweiter Klasse im Vergleich zu den Gedenkfeie­rn, die alljährlic­h am 20. Juli im Bendlerblo­ck in Berlin abgehalten werden.

Vor 20 Jahren gab es nochmal einen Versuch, Elsers Tat zu diskrediti­eren. Sie sei moralisch nicht zu rechtferti­gen und die „uneingesch­ränkt positive Bewertung ein Irrweg“, behauptete Lothar Fritze 1999 in der „Frankfurte­r Rundschau“. In seinem Buch „Legitimer Widerstand? Der Fall Elser“legte Fritze 2009 nach. Der Professor an der Technische­n Universitä­t Chemnitz und Mitarbeite­r des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitari­smusforsch­ung schreibt, Elser sei intellektu­ell gar nicht in der Lage gewesen, seine Tat zu erfassen und habe moralisch versagt, weil er den Tod Unschuldig­er in Kauf genommen habe. Wolfgang Benz erkennt in diesen Thesen nicht nur den Versuch, die Person Georg Elsers zu diskrediti­eren. Er vermutet dahinter auch die Absicht, das kollektive Gedächtnis zu beeinfluss­en und den gesellscha­ftlichen Konsens über die positive Bewertung des Widerstand­s infrage zu stellen. Woher der Wind weht, ergibt eine Recherche über die jüngsten Aktivitäte­n des Autors Fritze: 2018 hat er einen Vortrag am Institut für Staatspoli­tik gehalten. Das ist ein Think Tank der neuen Rechten, mitbegründ­et von Götz Kubitschek.

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FOTO: DPA Georg Elser in einer Aufnahme, die vermutlich 1938 entstanden ist.

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