Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Im Bahnvorstand wird aufgeräumt
Cargochef Doll verliert Rückhalt – Berlins BVG-Chefin soll nun Güterverkehr sanieren
BERLIN - Jetzt ist es amtlich. Die bisherige Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Sigrid Nikutta, wechselt in den Vorstand der Deutschen Bahn und leitet dort ab dem 1. Januar 2020 den Güterverkehr. Das hat der Aufsichtsrat des Konzerns am Donnerstag beschlossen. Bisher verantwortete Alexander Doll dieses Ressort und auch die Finanzen der Bahn. Der frühere Investmentbanker habe den Rückhalt des Verkehrsministers ebenso verloren wie den von Bahnchef und Aufsichtsrat, heißt es aus Konzernkreisen. Ob und wann er seinen Platz im Bahntower räumt, ist derzeit offen. Ein Nachfolger ist noch nicht im Gespräch. Zwischenzeitlich könnte Bahnchef Richard Lutz seinen alten Posten wieder mit übernehmen.
Damit soll in der Chefetage wieder Ruhe einkehren. Zwischen Bahnchef Rüdiger Lutz und Doll gab es zuletzt ein schweres Zerwürfnis, weil sich Doll nicht auf die Sanierung der verlustreichen Gütersparte konzentrieren wollte, wie Lutz es forderte. Auch im Bundesverkehrsministerium hatte der Manager zuletzt keinen Rückhalt mehr. Zu schlecht fällt seine Bilanz als Vorstand aus. Auf rund 300 Millionen Euro Verlust wird das Minus im Güterverkehr in diesem
Jahr wohl anschwellen, nach 190 Millionen Euro im vergangenen Jahr.
An der Sanierung des Güterverkehrs sind schon eine Reihe von Vorständen gescheitert. Nikutta, Jahrgang 1969, war schon vor 2010 bei der Bahn und dort zunächst für das Personal im Güterverkehr, später Produktionsleiterin und zuletzt für Schenker Rail Polska verantwortlich. In den letzten Jahren war die fünffache Mutter mehrmals als Topmanagerin beim Staatskonzern im Gespräch. Vor allem die SPD-Mitglieder des Aufsichtsrats drängten auf ihre Anstellung, jetzt hatten sie damit Erfolg. Nun wird sie neben dem Vorstandsvorsitz der DB Cargo in Mainz auch einen neu geschaffenen Vorstandsposten in der Bahnzentrale besetzen. „Im Güterverkehr gibt es sehr viel zu tun, um die ehrgeizigen Ziele des Unternehmens zu erreichen“, betonte der Aufsichtsratsvorsitzende Michael Odenwald nach der Berufung.
Seit 2010 steht die in den Masuren geborene promovierte Psychologin an der Spitze des größten Nahverkehrsunternehmens Deutschlands. Die BVG steckte bei ihrem Amtsantritt tief in den roten Zahlen. Inzwischen steht ein kleines Plus unter der Bilanz. Mit flotter wie frecher Werbung verlieh sie dem städtischen Betrieb ein modernes Image, auch wenn die Fahrzeugflotte damit nicht Schritt halten kann. Sie gilt als gute Netzwerkerin und Freundin klarer Worte. Die wird sie auch brauchen, wenn sie den Güterverkehr wieder nach vorne bringen will.
Bisher fehlte ein klares Sanierungskonzept in der Sparte, von der die Kunden zu Privatbahnen fliehen, weil die Deutsche Bahn zu unzuverlässig ist. Es fehlt an Lokführern und Kapazitäten. Der Konzern leistet sich noch einen aufwendigen Einzelwagentransport. Die Abhängigkeit von der Stahl- und Autoindustrie ist vergleichsweise hoch. Das macht sich in der aktuell schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in der Automobilindustrie besonders stark in der Bilanz bemerkbar. Auf Nikutta wartet also eine schwierige Aufgabe.
Die Turbulenzen im Vorstand hatten sich in den letzten Wochen zugespitzt. Ursprünglich sollte sich der Aufsichtsrat auf dieser Sondersitzung mit dem Verkauf der britischen Nahverkehrstochter Arriva befassen, den Doll vorbereiten sollte. Den Verkauf blies der Aufsichtsrat nach Kenntnis der Nachrichtenagentur dpa nun ab. Der Erlös aus dem Verkauf der Beteiligung oder dem alternativ vorgesehenen Börsengang hätte weitaus weniger als die erhofften drei bis vier Milliarden Euro eingebracht. Zwar braucht die Bahn dringend Geld für die hohen Investitionen ins rollende Material. Doch eine im Sommer platzierte Anleihe über zwei Milliarden Euro nimmt vorerst den Druck aus dem Kessel.
Beschlossen hat der Aufsichtsrat auch die Anschaffung weiterer ICE. Zu den bereits bestellt 137 Zügen kommen noch 30 hinzu, die vorwiegend für Entlastung zwischen Köln und Frankfurt sowie München und Berlin sorgen sollen. Außerdem gab das Gremium 500 Millionen Euro für den Ausbau der Instandhaltungswerke in Frankfurt Griesheim sowie Cottbus frei.
Gehaltserhöhungen für den Vorstand bei der Deutschen Bahn sind derweil offenbar vorerst vom Tisch. Wie der Hessische Rundfunk und die „Rheinische Post“berichteten, steht eine Anhebung der Vorstandsgehälter um 33 Prozent derzeit nicht mehr zur Debatte. Das Vorhaben hatte in der Öffentlichkeit Empörung ausgelöst.