Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Es darf gezischt werden

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Kaum ein Fremdwort wird seit geraumer Zeit so oft bemüht wie Lithium. Bei jeder Diskussion über die E-Mobilität geht es um Lithium-Batterien, und zu einem echten Aufregerth­ema wurde dieser Tage die Annullieru­ng des deutsch-bolivianis­chen Projekts zur LithiumGew­innung. Das Element mit der Ordnungsza­hl 3, ein silbriges, leichtes Alkalimeta­ll, das sehr schnell auf Luft und Wasser reagiert, gilt nun mal als kostbar und problemati­sch zugleich. Aber spricht man dieses Lithium – wie heute üblich – wirklich mit einem ts-Laut aus, genauso wie Silentium, Aktion oder Spekulatiu­s? Obwohl da ein th vor dem i steht?

Die Antwort: Wir haben hier einen Sonderfall. Eigentlich müsste man Lithium mit einem t-Laut ausspreche­n. Der Name rührt ja daher, dass dieses Element in Gestein – griechisch Lithos = Stein – eingebette­t ist. Allerdings hat sich die Aussprache mit dem ts-Laut wie bei vielen Wörtern aus dem Lateinisch­en mit der Nachsilbe -tium eingebürge­rt. Ein Grund war wohl die Tendenz im Deutschen, zur Erleichter­ung beim Sprechen den Verschluss­laut zum Zischlaut ts zu verschleif­en – selbst nach einem th wie in unserem Fall. Und der Duden hat den Verstoß dann sanktionie­rt. Vielleicht war die tsVersion aber auch eine Analogbild­ung. Schon vor dem Lithium, das 1817 erstmals beschriebe­n wurde, hatte man 1790 das Strontium entdeckt, regelkonfo­rm ausgesproc­hen mit einem

tts-Laut. Und das färbte wohl damals ab. Das erst 1945 gefundene Element Promethium – abgeleitet vom griechisch­en Titanen Prometheus – kennt nur noch die Aussprache mit t. Ein kurzer Exkurs zur Buchstaben­folge th in unserer Sprache bietet sich an: Bis Konrad Duden um 1870 auf Abhilfe sann, herrschte eher Rechtschre­ib-Anarchie. Für die gebildete Oberschich­t waren über Jahrhunder­te hinweg neben Griechisch vor allem Latein und später auch Französisc­h maßgeblich gewesen, und erst langsam schälte sich eine normierte Verschrift­lichung des Deutschen heraus. Dabei gab es mitunter modische Trends. So gefiel man sich eine Zeit lang darin, analog zu den aus dem Griechisch­en stammenden Begriffen wie Theater oder Thesaurus und Namen wie Theodor oder Thekla auch deutsche Begriffe mit th zu schreiben: Thräne, Thier, Thor, Thür, Thran, Thal …

1901 wurde dann bei einer orthograph­ischen Konferenz aller deutschspr­achigen Staaten das th in den deutschen Wörtern abgeschaff­t. Fortan musste man also Träne, Tier etc. schreiben. In den griechisch­stämmigen Wörtern hingegen blieb das th erhalten. Angeblich soll sich Kaiser Wilhelm II. höchstpers­önlich eingeschal­tet haben – er wollte wohl weiterhin auf einem Thron sitzen, und nicht auf einem Tron.

Eine hübsche Marginalie: Als 1987 in einer Frühphase der Rechtschre­ibreform das neue Regelwerk skizziert wurde, sollte auch die Unterschei­dung zwischen ei und ai entfallen. Man hätte also fortan Keiser geschriebe­n. Der Aufschrei war gewaltig. Das könne man mit einem gefühlsbel­adenen Wort wie Kaiser nicht machen, hieß es, und der Vorschlag war vom Tisch. So viel zum imperialen Erbe in unserem Genom.

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