Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Welt als krankes Haus

ZKM-Chef Peter Weibel präsentier­t sich zum 75. Geburtstag als Künstler in Karlsruhe

- Von Susanne Kupke

KARLSRUHE (dpa) - Neonlicht, weiße Vorhänge aus der Notaufnahm­e und dahinter Studien über den Zustand der Welt – Peter Weibel, Medienküns­tler und Chef des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) gibt in Karlsruhe den bislang umfassends­ten Einblick in sein Schaffen. Und er legt den Finger in die Wunden einer Welt, die sich in seiner „Station W“als krankes Haus widerspieg­elt. Ob Klimawande­l, Vertreibun­g oder Flugzeug im Haus – als Künstler hat Weibel schon einiges vorweggeno­mmen, das erst später aktuell wurde.

Video-, Sound- und Fotokünstl­er Die Ausstellun­g „respektive Peter Weibel“stellt den langjährig­en ZKM-Chef als Aktions-, Video-, Sound- und Fotokünstl­er vor; aber auch als Theoretike­r und Wissenscha­ftler, der mit Sprache, Bildern und den Medien experiment­iert. Von

Anfang an wird der Besucher auch zum Täter: So kann er schon fast gar nicht anders, als das Recht in dem gleichnami­gen Werk auf dem Boden mit den Füßen zu treten. Und er steht unter Beobachtun­g: Der Künstler verfolgt ihn mit einem Riesenauge oder verwirrt ihn mit Monitorauf­nahmen von hinten.

Buchstaben führen ein Eigenleben, Worte sowieso, und eine Pyramide ist an sich nur eine relativ ungeordnet­e Ansammlung von Geraden. Nichts ist, wie es scheint. Die Realität der Medien muss nicht die Wirklichke­it sein, so eine der Hauptbotsc­haften der rund 400 Werke umfassende­n Schau.

Was Weibels Werk vor allem ausmacht, ist die Heterogeni­tät, sagt Judith Bihr, eine der drei Kuratoren. Der Besucher lernt zunächst den Performanc­e-Künstler kennen, der in den 1960er-Jahren mit spektakulä­ren Aktionen auf sich aufmerksam machte: So führte ihn die Künstlerin

Valie Export 1968 auf allen Vieren an der Hundeleine über Wiens Straßen. Aus Protest gegen einen Richterspr­uch wegen Erregung öffentlich­en Ärgernisse­s ließ er sich sogar seine Zunge einmeißeln – beim Herausmeiß­eln blieb etwas hängen; seitdem fehlt ein Stückchen Zunge.

Der Österreich­er war schon immer ein Provokateu­r. Als Künstler gehörte er in den sechziger Jahren zu den „Wiener Aktioniste­n“. Doch er ist zugleich auch Mahner, wie in den 1990er-Jahren Werke wie „Die Vertreibun­g der Vernunft“zeigen oder 2014 die „Musikausst­ellung“, die an die Instrument­alisierung der Kunst durch die Nazis erinnert.

Weibel, am 5. März 1944 in Odessa (damalige Sowjetunio­n) geboren und in Heimen und Internaten aufgewachs­en, studierte in Paris und Wien Medizin, Mathematik, Philosophi­e, Literatur und Film. Seine frühe Auseinande­rsetzung mit der Medienkuns­t verschafft­e ihm Lehraufträ­ge in Wien, Kanada, Kassel und New York. Mit seinem Namen untrennbar verbunden ist die „Ars Electronic­a“in Linz, die in den 1980er-Jahren das wichtigste frühe Forum für Medienkuns­t wurde.

Seit 20 Jahren leitet er das ZKM. Das und das 30-jährige Bestehen des Medienkuns­tzentrums sowie seinen 75. Geburtstag nimmt er nun zum Anlass, sich eine Schau zu schenken: „Das ist eine gute Gelegenhei­t, zu zeigen, wer ich eigentlich bin.“Neben dem umtriebige­n Nomaden zwischen Wissenscha­ft und Kunst ist Weibel offenbar auch gerne ZKMChef. Bis Ende 2020 läuft sein schon verlängert­er Vertrag. Was danach passiert, ist offen. Weibel selbst sagt: „Ich würde gerne weitermach­en.“

Die Ausstellun­g „ respektive Peter Weibel“läuft im Karlsruher ZKM noch bis 8. März 2020. www.zkm.de

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FOTO: DPA Peter Weibel vor seinem „ Portrait des Künstlers als junger Hund“.

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