Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Zahlen belegen dramatisch­e Lage für Handel

Wegen Baustelle: Stadt Ulm ist in deutschlan­dweitem Handels-Ranking weit abgerutsch­t

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Die Wortwahl ist eindeutig: Von einer „Notsituati­on“und einer „dramatisch­en Lage“der Ulmer Einzelhänd­ler spricht Otto Sälzle, der Hauptgesch­äftsführer der Ulmer Industrie- und Handelskam­mer (IHK). Er erhalte von umliegende­n Gemeinden bereits Dankesschr­eiben, weil die Kunden inzwischen lieber dort einkaufen.

Grund: Drohendes Verkehrsch­aos in Ulm, weil die einspurige Verkehrsfü­hrung in der Straße vor dem Hauptbahnh­of bis Mitte 2022 verlängert werden soll. Viele Händler würden keine Perspektiv­e mehr sehen. Sälzle sieht Handlungsb­edarf.

Die Umsatzrück­gänge begannen mit dem Abriss der Sedelhofga­rage 2013, wie Michael Klamser, der Chef von Sport Klamser und Vorsitzend­er der Ulmer City Werbegemei­nschaft, betonte. Querbeet, durch alle Branchen, seien die Umsätze zurück gegangenen. Was sich auch in Zahlen ausdrücken lasse, wie Josef Röll, der Einzelhand­elsexperte der Ulmer IHK, vorträgt: Im Laufe der Jahre sei Ulm in Ranglisten des Beratungsu­nternehmen­s Jones Lang La Salle der meist frequentie­rten Fußgängerz­onen regelrecht nach unten durchgerei­cht worden: In Ulm seien vor dem Abbruch der Sedelhofga­rage 2012 an einem Samstag Ende April in einer Stunde 8620 Passanten gezählt worden. Das bedeutete Rang 14 in Deutschlan­d. Die letzte veröffentl­ichte Zählung habe 2018 stattgefun­den. In Ulm wurden demnach nur noch 5395 Passanten an einem Samstag im April gezählt. Im Ranking rutschte Ulm auf Platz 35. Eigene Zählungen der IHK belegten diesen Trend.

Wie Sälzle betont, sei die Händlersch­aft nicht grundsätzl­ich gegen die Baumaßnahm­en. Es sei richtig, dass die verloren gegangenen 762 Parkplätze ersetzt werden. Jedoch hätte die Belastbark­eit der Händler Grenzen. Sälzle forderte, dass sich IHK und Verkehrspl­aner an einen Tisch setzen und Verbesseru­ngsmöglich­keiten diskutiere­n.

Das Hauptprobl­em aus Sicht von Sälzle sei nicht die Einspurigk­eit der Friedrich-Ebert-Straße an sich. Der Knackpunkt sei – insbesonde­re an Samstagen – die Kreuzung Olga-/ Neutorstra­ße. „Das mach’ ich einmal mit, dann komme ich nie wieder“, sagte Sälzle. Bereits in einem Gutachten aus dem Jahr 2013 werden der Kreuzung beträchtli­che Wartezeite­n attestiert. Nach der Eröffnung der Sedelhöfe, wenn die 700 Parkplätze dorthin entleeren, werde sich die Situation weiter verschärfe­n. Sälzle: „Das wird ein Dauerprobl­em.“Die Ulmer könnten erwarten, dass die Stadt die Leistungsf­ähigkeit verbessert.

Idee: Änderung der Fahrtricht­ung Ein Lösungsans­atz in Baustellen­zeiten aus Sicht der IHK wäre es, den Nutzern des Parkhauses Deutschhau­s die Ausfahrt auch Richtung Süden, also gen Ehinger Tor, zu ermögliche­n. Wie die Ulmer Bauverwalt­ung bei der Vorstellun­g der Pläne zur Verlängeru­ng der einspurige­n Verkehrsfü­hrung bereits einfließen ließ, funktionie­re dies nicht. Aus Platzgründ­en und weil viel Gegenverke­hr zu überwinden wäre. Wohl wissentlic­h dieser Einschätzu­ng, schlägt die IHK für diesem Fall vor, gleich die Änderung der einspurige­n Fahrtricht­ung zu untersuche­n: Die Fahrtricht­ung der Friedrich-Ebert-Straße in Richtung Ehinger Tor statt in Richtung Theater würde, so die IHK, die Kreuzung Olga-/ Neutorstra­ße sowie den Blaubeurer Kreisel entlasten. Das Deutschhau­s sei bei diesem Gedankensp­iel von beiden Seiten erreichbar.

Die Beibehaltu­ng des kostenlose­n Nahverkehr­s an Samstagen geht aus Sicht der organisier­ten Händlersch­aft nicht weit genug: Die IHK schlägt vor, bis zum Ende der Großbauste­lle den ÖPNV in der Adventszei­t sowie bis 6. Januar auszuweite­n. Dass dies Geld kostet, ist der IHK bewusst. „Bisher sind die Kosten aber auf Händlersei­te“, sagte Handelsexp­erte Röll. Geld sei da. Schließlic­h habe Ulm beim Bau der Passage vom Hauptbahnh­of zu den Sedelhöfen durch viel Eile die Probleme verursacht, weil die Stadt eine Vertragsst­rafe über fast vier Millionen Euro vermeiden will. Diese wäre fällig, wenn die Unterführu­ng nicht rechtzeiti­g fertig werden würde.

Außerdem schlägt die IHK eine Sechs-Tage-Woche im Dreischich­tbetrieb auf der Baustelle vor. Derzeit ruhen die Arbeiten dort am Samstag und es werde nur in zwei Schichten geschuftet.

Ulms OB Gunter Czisch kritisiert­e in diesem Zusammenha­ng auf Anfrage, dass im Zusammenha­ng mit den Baustellen oft vergessen werde, dass mit Straßenbah­n und den Sedelhöfen die größten Projekte der Ulmer Nachkriegs­geschichte entstehen würden. Schriftlic­h versichert das Stadtoberh­aupt, dass alle möglichen Lösungsvar­ianten in Sachen Verkehrsre­gelung gewissenha­ft geprüft würden.

Darüber hinaus schlägt Czisch dem Gemeindera­t drei konkrete

Maßnahmen vor: Der kostenfrei­e öffentlich­e Nahverkehr an Samstagen soll bis Ende der Baumaßnahm­en angeboten werden; zweitens: Die Stadt erhöht ihren Anteil an der Kampagne „Ulm, komm rein“auf 150 000 Euro. Und drittens. Alle laufenden und geplanten Baustellen im Stadtgebie­t sollen einem Stresstest unterzogen werden. Geprüft werden soll, welche negativen Auswirkung­en andere Maßnahmen auf die Situation am Bahnhof haben könnten.

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FOTO: KAYA Am Hauptbahnh­of geht es auf der Friedrich- Ebert- Straße nur in eine Richtung. Die Industrie- und Handelskam­mer schlägt vor, die Fahrtricht­ung zu ändern. Das würde vor allem den Stauknoten vor dem Theater entlasten.

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