Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Comeback des Geflechts

Stühle mit geflochten­en Sitzfläche­n und Kommoden mit durchsicht­igen Rattantüre­n sind ein neuer Möbeltrend

- Von Simone Andrea Mayer

LANDSBERG/BERLIN (dpa) - Wer mit dem Begriff Wiener Geflecht nichts anfangen kann, könnte erst mal auf ein Hefeteilch­en spekuliere­n. Oder einen leckeren Nusszopf. Tatsächlic­h handelt es sich um ein Flechtwerk aus Holz, das gerne im Möbelbau eingesetzt wird. Allen voran am typischen Kaffeehaus­stuhl mit dem Geflecht als Sitzfläche. Eigentlich liegt die Hochzeit des Wiener Geflechts schon viele Jahre zurück. Nun aber ist dieses Designelem­ent zurück – mit sehr großem Erfolg.

Und der liegt ausgerechn­et in seiner Geschichte begründet, sagt Trendanaly­stin Gabriela Kaiser aus Landsberg (Bayern). Denn das Wiener Geflecht ist ein Klassiker – „und danach sehnen sich viele Menschen gerade, nach den traditione­llen Werten genauer gesagt“, erläutert Kaiser. „Das Wiener Geflecht strahlt eine gewisse Wertigkeit aus. Man hat beim Kauf das Gefühl, man kann damit nichts falsch machen.“

Ursula Geismann, Trendexper­tin des Verbands der deutschen Möbelindus­trie, sagt sogar: „Solche Möbel wirken vertraut wie ein guter alter Freund.“Bei dem bekannten abgerundet­en Holzstuhl mit einer Sitzfläche aus dem Geflecht handelt es sich im Original um den Stuhl 214 von Michael Thonet aus dem Jahr 1859. Allein bis 1930 wurde das Möbel 50 Millionen Mal verkauft, von den vielen Kopien gar nicht zu sprechen. Die Gründe dafür sind im 21. Jahrhunder­t aktueller denn je.

Neben seiner Wertigkeit ist es die Schlichthe­it: Der Stuhl wie auch an

Auch Stoffgefle­chte zieren aktuell Möbel: Der Stuhl Betty TK1 für die Firma & tradition hat eine Sitzfläche aus Leinen. dere Möbel mit Geflecht aus Stoff oder Holzfasern passen zu jedem denkbaren Wohnstil, erklärt Möbelexper­tin Geismann. Dazu wirken die Möbel meist nicht wuchtig.

Gestalteri­scher Trick

Denn die leichte Transparen­z eines Geflechts lässt zum Beispiel an einem Schrank etwas von seinem Inhalt erahnen, ohne ihn wirklich preiszugeb­en. Diesen gestalteri­schen Trick verwenden Designer wie Mathieu Gustafsson. Er setzte das Wiener Geflecht eigenen Angaben zufolge für seine Kollektion AIR für Design House Stockholm wie „einen Filter oder einen Schleier“ein, um zudem optisch etwas Leichtigke­it in eine größere Fläche zu bringen. Das Designduo Thau & Kallio schätzt hingegen die tatsächlic­he Leichtigke­it von geflochten­en Elementen – was etwa Stühle auch leichter macht als mit einer massiven Holzplatte.

Und sie ließen sich besser stapeln, erklärte Designer Sami Kallio bei der Präsentati­on ihres Stuhls Betty TK1 mit einer Sitzfläche aus Leinengefl­echt für die Firma &tradition. Die Folge: Die Transportk­osten sind geringer als bei manch anderen Möbeln. „Das ist ganz im Sinne der Nachhaltig­keit – darauf achten derzeit viele“, analysiert Geismann. Daher wundert es auch nicht, dass viele Einrichter aktuell Möbel mit Flechtwerk aus Textilien oder anderen Materialie­n auflegen.

Nachhaltig­keit als Vorteil Übrigens: Das Vertriebsk­onzept für den Original-Kaffeehaus­stuhl 214 von Thonet im 19. Jahrhunder­t war hiervon nicht weit entfernt. Der Stuhl besteht lediglich aus sechs Bauteilen, zehn Schrauben und zwei Muttern. Zerlegt konnte er in einer Kiste von nur einem Kubikmeter weltweit verschickt werden. Er ist nun vom Designduo Besau Marguerre für eine Jubiläumse­dition überarbeit­et worden und in Schwarz, Weiß, Samtrot und Salbei erhältlich.

Nachhaltig ist das Wiener Geflecht noch auf andere Weise: Es besteht meist aus Rattan und Peddigrohr – natürliche­n, vergleichs­weise rasch nachwachse­nden Materialie­n. „Es wundert daher nicht, dass vor drei, vier Jahren das Wiener Geflecht kaum jemandem ein Begriff war, es jetzt aber großen Erfolg feiert“, betont Geismann.

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FOTO: DESIGN HOUSE STOCKHOLM Das Wiener Geflecht lässt Möbel leichter wirken. Auch Designer Mathieu Gustafsson nutzte es statt massiver Türen an der Kommode der Kollektion AIR für Design House Stockholm.
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FOTO: FRANZISKA GABBERT Der Kaffeehaus­stuhl 214 von Thonet wurde für eine Jubiläumse­dition überarbeit­et und ist in Schwarz, Weiß, Samtrot und Salbei erhältlich.
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FOTO: DESIGN HOUSE STOCKHOLM In Kommoden wirkt das Wiener Geflecht wie ein Schleier, der den Inhalt erahnen lässt, ohne ihn preiszugeb­en.
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FOTO: & TRADITION

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