Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Zehn Jahre nach der Tragödie
Am 10. November 2009 nahm sich Torhüter Robert Enke das Leben: Wie der Sport mit Depressionen umgeht
HANNOVER (SID/dpa/sz) - Das Haus wird voll, Teresa Enke ist am zehnten Todestag ihres Mannes nicht allein. „Meine Familie kommt, Roberts Mama kommt“, sagt die 43-Jährige, sie werden ans Grab von Robert Enke fahren. „Es kommen Freunde, auch aus Barcelona, die Robbi geliebt und geschätzt haben. Das ist für mich toll zu sehen, dass er so in den Herzen drin ist. Ich werde in mich gehen, aber wir werden keine Trübsal blasen. Wir werden die schönen Geschichten erzählen und nicht an den Erkrankten denken – sondern an den lustigen, tollen Freund, Papa und Ehemann.“
Am 10. November 2009 wusste Robert Enke keinen Ausweg mehr. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass sich der frühere Nationaltorhüter das Leben nahm. Besiegt von einem unsichtbaren Feind: Depression. Das Fußballgeschäft würde nie wieder dasselbe sein – das war das Gefühl in dieser von tiefer Trauer erfüllten Nacht.
Seine Witwe glaubt daran, dass der tragische Tod etwas bewegt hat. „Ich glaube schon, dass Robert stolz auf mich und die Arbeit der Robert-EnkeStiftung ist. Vor allem bei der Enttabuisierung dieser Krankheit sind wir deutlich weiter – auch wenn da natürlich noch Platz nach oben ist“, sagte Enke: „Im Fußball sehe ich uns tatsächlich schon einen Tick weiter als in der Gesellschaft. Es wird drüber in den Mannschaften gesprochen, es gibt Netzwerke.“Das Wissen von heute hätte dem Keeper von Hannover 96 damals vielleicht das Leben gerettet.
Doch Enke versteckte sich, wagte es nicht, sich zu offenbaren. Aus
Angst, als schwach zu gelten und seinen Platz zwischen den Pfosten zu verlieren. Er erfand stattdessen einen Virus als vermeintlichen Grund, warum er nicht spielen konnte.
Kurz vor seinem Tod wollte Enke, an den auf allen Fußballplätzen des Landes am Wochenende mit einer Gedenkminute erinnert werden soll, dann aber doch in eine Klinik gehen. Der Termin stand schon fest, in letzter Minute machte Enke einen Rückzieher. Eine „Tragödie“, sagt Teresa Enke: „Hätte er die Therapie gemacht, wäre er vielleicht wieder zurückgekommen.“Stattdessen warf sich Enke vor einen Zug – das zeigt, wie fatal depressive Gedanken sein können.
In der Öffentlichkeit wird heute offener über seelische Erkrankungen und Belastungen im Leistungssport diskutiert. Doch längst nicht alle Betroffenen sprechen offen über ihre Verletzungen an der Seele – aus Angst, Schwäche zu zeigen in einem Geschäft, in dem nur die Stärksten erfolgreich sind. „Es ist absolut nichts besser geworden“, sagte Babak Rafati. Der Ex-Bundesliga-Schiedsrichter litt auch an Depressionen und versuchte, sich zwei Jahre nach Enke ebenfalls zu töten. „Der Druck wird mehr und wir schaffen es nicht, auf uns zu schauen. Wir schauen immer noch weg“, sagte der 49-Jährige: „Es gibt immer mal wieder rhetorische Feuerwerke, aber es wird sich nie richtig mit dem Thema befasst.“
Enkes Ex-Trainer Andreas Bergmann glaubt, dass in der Bundesliga „noch kein Platz für Zweifel und Ängste ist. Wir müssen funktionieren, stark sein.“Die Fans wollen „starke und erfolgreiche Persönlichkeiten, die sich durchsetzen können, zu denen sie aufschauen können“, sagt Bergmann, der Hannover trainierte, als Enke starb: „Schwäche passt nicht zu diesem Bild. So denken auch viele Verantwortliche in der Bundesliga.“
Ein Drittel hat psychische Probleme Auch andere Sportler räumten Depressionen ein. Eine Umfrage der Deutschen Sporthilfe von 2013 mit 1150 deutschen Sportlern ergab, dass ein Drittel an psychischen Erkrankungen litt. Demnach waren 9,3 Prozent an Depressionen erkrankt, 9,6 Prozent hatten Essstörungen 11,6 Prozent ein Burn-out-Syndrom.
Ex-Nationalspieler Sebastian Deisler kostete die Krankheit und diverse Verletzungen die Karriere. 2007 – mit 27 Jahren – gab Deisler sein Karriereende bekannt. Auch der erfolgreichste Olympionike der Geschichte, Schwimmer Michael Phelps, litt unter schweren Depressionen. „Ich wollte nicht mehr weiterleben“, sagte Phelps, der die Krankheit mit einer Therapie in den Griff bekam. Noah Lyles (22), US-Weltmeister über 200 m, kämpft seit der Schulzeit mit Depressionen: „Sie sind noch da. Ich glaube nicht, dass du Depressionen vollständig besiegen kannst, aber du kannst lernen, mit ihnen umzugehen.“