Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Die Zinssituation führt zu Vermögensvernichtung“
Der Chefvolkswirt der Deka-Bank und der Chef der Kreissparkasse Ravensburg im Interview
RAVENSBURG - Ist der Zins ein Phänomen der Vergangenheit? Der Chefvolkswirt der Deka-Bank Ulrich Kater glaubt das nicht, ist aber der Meinung, dass sich zumindest in nächster Zeit nichts an dem Rekordtief ändert. Zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Kreissparkasse Ravensburg Heinz Pumpmeier spricht er im Gespräch mit Helen Belz über die Folgen der Geldpolitik und das Sparverhalten der Deutschen.
Herr Kater, Herr Pumpmeier, steht Deutschland nur eine Wachstumsdelle oder ein regelrechter Einbruch der Konjunktur bevor? Kater: Ein Einbruch ist es nur in der Industrie. Der Sektor ist mittlerweile in einer Rezession, das heißt, es wird weniger produziert als im Jahr davor. Der Grund dafür sind die weltweiten Unsicherheiten infolge des Brexits und der Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China. Dadurch verschieben Unternehmen ihre Investitionen. Das hat sich weltweit bemerkbar gemacht. Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr industrielastig – deswegen reden hier alle über diesen Rückgang. Weil dieser Sektor hierzulande aber nur 22 Prozent der Wirtschaft ausmacht, ist das gesamtwirtschaftlich wenig spürbar – da ist das Wachstum immerhin aber auch auf null zurückgegangen. Der größte Teil der Wirtschaft ist jedoch gesund. Deshalb werden wir auch keinen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit sehen. Arbeitskräftemangel ist nach wie vor ein größeres Thema als die Konjunkturdelle. Pumpmeier: Die strukturellen Wachstumsrisiken sind hier natürlich ein Thema. Stichwort Elektromobilität: Das spüren wir hier in der Region. Die klassischen konjunkturellen Wachstumsrisiken kann man eher als sich nach und nach normalisierend betrachten.
Was sollte die Regierung jetzt tun – kann sie da überhaupt etwas tun? Kater: Die Wirtschaft ist im Moment in technischen Umbrüchen. Das ist in der Automobilindustrie ganz klar zu sehen, aber auch etwa bei den Banken ist das so. Gegen diese Umbrüche hilft kein Staatsgeld. Deutschland kann aber die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessern – allen voran bei der Infrastruktur. Wer heute Auto fährt, der merkt, es wird schon viel investiert. Oftmals verhindern aber Bürokratie und lange Genehmigungsverfahren ein schnelleres Vorankommen. Wenn allein die Planung einer neuen S-Bahn-Strecke 30 Jahre dauert, dann bewegt sich irgendwann überhaupt nichts mehr. Da muss die Regierung ansetzen.
Können Konjunkturprogramme eine Lösung sein, um der Delle entgegenzuwirken? Kater: Konjunkturprogramme sind nicht notwendig, so schlimm ist es einfach nicht. Die Wirtschaft hat schließlich automatische Konjunkturprogramme eingebaut. Der Staat gibt weiterhin Geld aus – genauso wie in den Zeiten, in der es der Wirtschaft gut geht. Und das stabilisiert. Zudem gibt es weitere Stabilisatoren. Durch die Kurzarbeit beispielsweise werden die Leute nicht sofort entlassen, sondern die Unternehmen versuchen, die Delle auszusitzen. Ein Konjunkturprogramm ist nur sinnvoll, wenn diese Mechanismen nicht mehr ausreichen sollten. Davon sind wir weit entfernt. Pumpmeier: Die Politik könnte möglicherweise stärker in den Bereichen Wohnungsmarkt und Klima aktiv werden, um die Konjunktur zu stimulieren. Man könnte das Schaffen von Wohnraum mit notwendigen klimapolitischen Maßnahmen verbinden. Das wäre hilfreich.
Der Zins ist auf einem Rekordtief. Wie wird sich das Zinsniveau weiter entwickeln? Und was bedeutet das für die Kredite, die Banken an Unternehmen vergeben?
Kater: Die Zinsen sind für die Banken negativ. Für eine Einlage, die eine Geschäftsbank bei der Notenbank hält, muss die Bank bezahlen. Diese Senkung hat dazu geführt, dass die Banken ihre Bedingungen, zu denen sie Kredite vergeben, gesenkt haben. Dass die Unternehmen dennoch nicht so viele Kredite nachfragen, wie sich das die Notenbank erhofft, liegt aus unserer Sicht an der fehlenden Nachfrage.
Pumpmeier: Die Kreditnachfrage ist stabil, aber nicht dynamisch. Und das aus einem ganz besonderen Grund: Die Liquiditätssituation der Unternehmen im Kreis Ravensburg hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Das heißt, der Anteil des Eigenkapitals der hiesigen Wirtschaft wächst und dadurch entwickelt sich die Kreditnachfrage so moderat, wie wir das gerade feststellen. Kater: Wir stellen auch ein seltsames Verhalten fest. Wir haben außergewöhnlich gute Wirtschaftsjahre hinter uns. Normalerweise war es in solchen Situationen immer so, dass die Unternehmen dann Geld in die Hand nehmen und investieren – und zwar zum Teil kreditfinanziert. In solchen Phasen steigen eigentlich die Investitionen und die Kreditvergabe an. Das ist in den vergangenen Jahren nicht in dem Maße passiert, wie das früher der Fall war. Der Grund könnte in den langen Schatten der Finanzkrise der Jahre 2008/09 liegen. Der Vorteil ist natürlich, dass wir nun nicht vor überflüssigen Fabrikhallen stehen.
Welche Folgen wird der Negativzins für Firmen- und Privatkunden haben?
Pumpmeier: Bei einem Durchschnittszins von zwei Prozent auf Spareinlagen hätten unsere Kunden im Landkreis Ravensburg in diesem Jahr Zinsgutschriften von 40 Millionen Euro erhalten. Die sind wegen der Negativzinssituation ausgefallen. Das greift also in die Vermögensbildung unserer Kunden ein und damit natürlich auch in die Altersvorsorgesysteme. Auf der anderen Seite erleben wir natürlich auch die positiven Aspekte dieser Niedrigzinssituation: Kunden erhalten Kredite, die sie sich vorher nicht hätten leisten können. Insgesamt führt die Zinssituation zu einer Vermögensvernichtung des Sparguthabens. Wir raten dazu, den Aspekt des Wertpapier-Sparens stärker in Erwägung zu ziehen. Wir glauben, dass das bei dieser erwarteten Niedrigzinsphase zwingend notwendig ist.
Was ist von der neuen EZB-Chefin Christine Lagarde zu erwarten? Kater: Im Rat der EZB gab es zuletzt großen Streit wegen der Geldpolitik von Largarde-Vorgänger Mario Drgahi. Der Widerstand gegen das neue Anleiheprogramm war groß. Eine Folge dieser Programme ist, dass die die Preise für diese Anleihen verzerrt sind, man kann aus ihnen nicht mehr auf die Gesundheit eines Unternehmens schließen. Normalerweise sinken die Kurse der Anleihen eines Unternehmens, wenn es das Geschäftsmodell des Unternehmens nicht mehr funktioniert. Wenn es aber eine Notenbank gibt, die alles aufkauft, dann steigen in solchen Situationen sogar die Kurse von Anleihen. Christine Lagarde muss sich jetzt fragen: Was kann die Geldpolitik in solchen Zeiten überhaupt noch erreichen und wo überspannt eine Notenbank den Bogen? Pumpmeier: Wir als Kreissparkasse erwarten und erhoffen eine solche geldpolitische Strukturdiskussion. Die Zusammenhänge zwischen Inflation, Geldmenge und Zins scheinen ein wenig aus den Fugen geraten zu sein. Eine Überprüfung des Inflationsziels und der festgelegten Zinssätze ist dringend geboten.