Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Wichtig ist, dass man bei sich selbst bleibt“
Max Raabe spricht im Interview über Sprachverrohung, mimischen Minimalismus und mordlüsterne Baritone
Drei Dinge müsse ein Mann beherrschen, hatte Mama Raabe ihrem Sohn Max schon früh gesagt: tanzen, reiten und Motorrad fahren. „Ich beherrsche alles – insofern bin ich ein braver Junge", stellt der im westfälischen Lünen geborene Sänger schmunzelnd fest. Vor allem aber ist der 56-Jährige ein Mann von Stil und Benimm. Für sein jüngstes Projekt im Rahmen der Kult-Reihe „MTV Unplugged“indes hat der Bariton Männer ohne Smoking an seine Seite geholt, um seinen Klassikern mit Herbert Grönemeyer, Smudo oder Mr. Lordi eine neue Farbe zu verpassen. Christoph Forsthoff hat mit Max Raabe über Sprachverrohung und Frauenquoten, mimischen Minimalismus und mordlüsterne Baritone gesprochen.
Ich bin ja ein wenig enttäuscht von Ihnen, schätze ich Sie doch als Herr, der wohlgeformten und artikulierten Sätze – und dann haben Sie sich für Ihr „MTV Unplugged"Projekt ausgerechnet den größten Nuschler im deutschsprachigen Musikgeschäft an Ihre Seite geholt. Ich schätze Herbert Grönemeyer enorm. Es ist ein wahnsinnig aufrechter und großartiger Komponist, Texter und Musiker – und die Art und Weise, wie er auf unserer Produktion ein Stück singt, das ich zusammen mit Annette Humpe geschrieben habe, hat mich sehr berührt! Ich hatte fast Tränen in den Augen, denn es war so emotional, wie ich selbst dieses Stück nie empfunden habe. Allein dafür hat sich sein Mitwirken gelohnt!
Diese Lust am Kontrast haben Sie zuletzt auch bei der Opus-KlassikVerleihung bewiesen, als Sie bei der Laudatio für Ihren BaritonKollegen Christian Gerhaher konstatierten: „Für jeden Bariton liegt ein enormer Reiz in der Vorstellung, auf offener Szene einen Tenor abzumurksen.“Solch mordlüsterne Gedanken aus Ihrem Munde…
Das hat etwas mit dem Repertoire der Klassik zu tun. Sie werden mir wenig Opern zeigen können, in der nicht die Hälfte der Protagonisten am Ende in ihrem eigenen Blut liegen. Die Oper ist schon blutrünstig, da hat sie Parallelen zum heutigen Actionfilm. Offenbar liegt das in der Natur der Menschen. So einen Satz erwartet man natürlich nicht in einer Laudatio, aber da bin ich dann einfach immer noch der pubertierende Frechdachs, der Freude daran hat, solche Frechheiten im Smoking vorzutragen.
Sie sind ein Meister der Ironie – doch wird es mit diesem wunderbaren Stilmittel in unseren Zeiten der Derb- und Direktheiten nicht immer schwieriger?
Umso mehr muss man bei sich bleiben! Und die Leute kommen und schätzen das, ja, sehnen sich vielleicht sogar umso mehr danach. Wohingegen diejenigen, die so aggressiv auftreten, ja in erster Linie ein Problem mit sich selbst haben – und vor allem keine Selbstironie. Eben das versuchen wir auch bei unseren Konzerten zu verdeutlichen und zu zeigen, dass es noch eine andere Form gibt sich auszudrücken. Ohne Kraftausdrücke – einmal abgesehen von Schwein und Sau (lacht).
Woher rührt die Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander im Alltag wie auch in den sozialen Medien?
Ich sehe das auch mit Sorge und wüsste gern eine Antwort. Wichtig ist, dass man sich nicht darauf einlässt und bei sich selbst bleibt – und etwa auch im Straßenverkehr nicht aggressiv wird. Ich fahre sowohl Fahrrad als auch Auto, sehe ganz idiotische Radfahrer und erlebe ebenso idiotische Autofahrer: Da muss man aufpassen, sich nicht provozieren zu lassen.
Fällt Ihnen das manchmal schwer? Nicht so wahnsinnig schwer, aber gelegentlich bin ich über mich selbst erstaunt, zu welchen Gedanken und Verhalten ich am Lenkrad meines Autos fähig bin. Und merke, dass wir alle vom Neandertaler abstammen und den im Grunde täglich in uns bekämpfen müssen (schmunzelt). Dort auf der Bühne präsentieren Sie sich mimisch und gestisch stets als Meister der Minimalismen – haben Sie sich diese Kunst antrainiert?
Ich hatte da keinen wirklichen Plan. Als wir unsere ersten Konzerte gaben, habe ich das immer so gemacht, dass ich auf die Bühne kam und gesungen habe, aber auch wieder abgetreten bin, wenn ich nicht dran war. Und die Leute haben gesagt: Das ist ja toll – Sie stehen einfach nur da und singen und machen sonst gar nichts weiter. Also habe ich mir gesagt: Wenn das so ist, mache ich das einfach weiter – zumal es ja auch wirklich keiner dramatischen Gesten bedarf, wenn man den Mond und die Sterne ansingt oder man sich pathetisch ans Herz greifen müsste, wenn im Text die Liebe thematisiert wird.
Frauenquoten sind ein Thema – nur in Ihrem Palast Orchester steht Cecilia Crisafulli allein unter lauter Herren. Wäre es nicht an der Zeit, den exklusiven Club weiter zu öffnen ?
Dann müsste ich Kollegen rausschmeißen – wollen Sie das wirklich? Nein. Es hat sich per Zufall ergeben: Zu Studentenzeiten waren wir einfach Musikerfreunde. Einer der Saxofonisten hatte eine Freundin, die Geigerin war – und die haben wir gefragt, ob sie mitspielen würde. Und als sie dann irgendwann aus Berlin wegzog und wir einen Violinkollegen dazu baten, saßen auf einmal lauter Pinguine auf der Bühne. Das war langweilig und so haben wir beschlossen, die Position der Geige wieder mit einer Frau zu besetzen: als Glanzpunkt zwischen all den Pinguinen.