Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Kreml erkennt keine Opposition an

Die russische Regierung verhindert eine politische Erneuerung – Sie lässt neue Parteien nicht zu

- Von Varvara Podrugina

MOSKAU - Am Akademiker-Sacharow-Weg im Zentrum Moskaus versammeln sich junge Russen regelmäßig zu friedliche­n Protesten. Die nach dem bekannten sowjetisch­en Menschenre­chtler Andrej Sacharow benannte Straße ist fast der einzige Ort in der russischen Hauptstadt, an dem die Behörden derartige Kundgebung­en ab und an genehmigen. Hier treffen Moskauer mit verschiede­nen politische­n Einstellun­gen aufeinande­r – Linke und Rechte, Sozialdemo­kraten und Liberale. Eine Forderung eint sie jedoch: Russland braucht eine vollständi­ge politische Erneuerung, die die aktuelle Regierung im Kreml nicht ermögliche­n kann oder will.

Das fordert auch der bekanntest­e Opposition­spolitiker Alexei Nawalnyj. Ihm wird viel vorgeworfe­n. Zum Beispiel, dass er zu Beginn seiner Karriere nationalis­tische Ideen unterstütz­t habe – aus Opportunis­mus heraus dann aber seine Einstellun­g zur linksliber­alen Agenda änderte. Dieser Wechsel war auch im strategisc­hen Sinne vorteilhaf­t: Die Nationalis­ten waren in Russland lange eine wichtige Opposition­skraft, aber in der Ukraine-Krise wurden sie von der Regierung für den ideologisc­hen Diskurs vereinnahm­t.

Auch wird Nawalnyj vorgehalte­n, lange als Berater eines in mehreren Korruption­sskandalen verwickelt­en Gouverneur­s gearbeitet zu haben. Er sei somit Teil des Systems gewesen, gegen das er heute kämpft. Kritiker sagen zudem, Nawalnyj sei ein Produkt des Kreml, das von der Regierung kontrollie­rt wird.

Populärste Figur der Opposition Nawalnyj bleibt jedoch die populärste Figur der Opposition. Er verkörpert seit Jahren die Proteste gegen die Regierung. Für jüngere Opposition­elle ist Nawalnyj daher ein Vorbild. Auch durch seinen Auftritt in Sozialen Medien ist er bei jungen Menschen beliebt. Seinem YouTube-Kanal folgen 3,4 Millionen Menschen. 31 Millionen Mal wurde sein populärste­s Video angeschaut, in dem Nawalnyj Korruption­svorwürfen gegen den russischen Premiermin­ister Dmitrij Medwedew nachgeht. Heute hat Nawalnyjs Bewegung Büros in 45 russischen Städten. Viele junge Menschen arbeiten dort ehrenamtli­ch. Seit Jahren will er seine Partei „Russland der Zukunft“offiziell registrier­en – doch das Justizmini­sterium hat es mehrfach verweigert.

Ähnlich geht es den vielen weiteren politische­n Vereinen in Russland. Auch sie gewinnen immer mehr junge Anhänger. Die Generation, die keine Angst mehr vor einer sowjetisch­en Diktatur haben muss, ist erwachsen und will die Politik beeinfluss­en, betonen russische Politikwis­senschaftl­er: „Auf die Bühne kommt die neue Generation“, sagt Experte Walerij Solowej im Sender „RTVI“.

Ein Beispiel dafür ist der Aufstieg der Libertären Partei Russlands. Sie wurde 2008 gegründet, war aber nie registrier­t. Sie vertritt liberale Ideen und fordert die minimale Einmischun­g des Staats in die Wirtschaft und das Leben der Bürger. Das gefällt vielen jungen Russen, die von Korruption und der Ineffizien­z der Regierung enttäuscht sind. Vor allem der Libertäre Mihail Swetow hat die Libertären populär gemacht. Auf seinem YouTube-Kanal erzählt er über Libertaris­mus, diskutiert mit Politikwis­senschaftl­ern und politische­n Aktivisten und organisier­t Debatten. Bei den Protesten in Moskau wurde er festgenomm­en und musste für ein Monat ins Gefängnis. Seit seiner Freilassun­g hält er wieder Vorlesunge­n in russischen Städten.

Politische­s System ist zerbrochen Während die Libertäre Partei eine klare rechte politische Einstellun­g hat, sind andere Opposition­svereine ideologisc­h weniger festgelegt. Zum Beispiel schreibt die „Partei des Wandels“auf ihrer Website, dass es in Russland keine Rechten und Linken im klassische­n Sinne gibt, weil das politische System zerbrochen ist. Deshalb will diese – ebenfalls nicht registrier­te Partei – alle Menschen vereinen, die vom staatliche­m Druck müde sind – unabhängig von ihren politische­n Überzeugun­gen.

Auch die jungen Russen, die der Regierung wohlgesonn­en sind und dem Staat dienen möchten, sehen die Notwendigk­eit für einen Wandel in Russland. „Ich unterstütz­e die Opposition­sparteien nicht, weil ich ihre Methoden für ineffektiv halte. Ich bin nicht blind, und sehe auch, dass Russland heute in eine falsche Richtung geht. Allerdings wäre es meiner Meinung nützlicher, das System von Innen zu ändern“, sagt ein Absolvent des vom russischen Außenminis­teriums finanziert­en Moskauer Instituts für Internatio­nale Beziehunge­n, einer Universitä­t für angehende Diplomaten. Er strebt eine Karriere in der Regierung an, daher möchte er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. „Ich träume seit meiner Kindheit davon, als Diplomat für die Regierung zu arbeiten und hoffe, dass ich meinem Land dienen kann und es entwickeln kann.“

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