Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Armenspeis­ung droht das Aus

Wegen einer neuen Gesetzgebu­ng könnte die 25. Ausgabe der Vesperkirc­he die letzte sein – Ehrenamtli­che Helfer sind frustriert, Politiker protestier­en

- Von Dagmar Hub

ULM - Am Abend des 22. Januar wird die Ulmer Vesperkirc­he 2020 eröffnet. Es ist die 25. Ausgabe der Aktion, bei der im Winter Menschen mit sehr schmalem Geldbeutel in der Pauluskirc­he an schön gedeckten Tischen ein komplettes Menü essen können – zu der aber auch andere Menschen kommen können, die Gemeinscha­ft suchen, egal ob sie Einheimisc­he oder Zufallspas­santen sind. Einen Grund zum Feiern sieht Pauluskirc­henpfarrer Peter Heiter in der 25. Auflage der Aktion aber nicht: Dass es die Vesperkirc­he überhaupt benötigt, bei der im Lauf eines Wintermona­ts etwa 13 000 Essen ausgegeben werden, sei grundsätzl­ich kein Anlass zu feiern, sagt Heiter. Zudem gefährdet eine neue Gesetzgebu­ng ab 2021 die Existenz der Vesperkirc­he.

2016 wurde eine Reform – und damit Verschärfu­ng – der Umsatzsteu­er beschlosse­n, die dann auch kirchliche und kommunale Einrichtun­gen betrifft. Bis zum 1. Januar 2021 gilt eine Übergangsr­egelung. Letztendli­ch bedeutet die Reform, dass ab 2021 diejenigen Bereiche kirchliche­r oder kommunaler Angebote mehrwertst­euerpflich­tig werden, die mit Angeboten privater Anbieter in Konkurrenz stehen oder stehen können. Angebote, deren Umsatz jährlich unter 17 500 Euro liegt, können von der so genannten Kleinunter­nehmerrege­lung Gebrauch machen und sind in diesem Fall umsatzsteu­erbefreit. Diese Umsatzsteu­erbefreiun­g für Kleinunter­nehmer kommt aber für die Vesperkirc­he nicht in Frage. Die Ulmer Vesperkirc­he steht finanziell im Vergleich zu anderen Vesperkirc­hen wie der in Stuttgart schlechter da, weil das Spendenauf­kommen geringer ist; regelmäßig entsteht ein – meist nicht sehr großes – Defizit am Ende der vierwöchig­en Veranstalt­ung, die Kosten der Ulmer Vesperkirc­he belaufen sich aber auf etwa 100 000 Euro. Der Umsatz – der steuerrech­tlich mit einem möglichen Gewinn nichts zu tun hat – liegt höher als eine Kleinunter­nehmerrege­lung dies zuließe.

An einem Tag gibt es einen wärmenden Kartoffele­intopf mit Speck und Würstchen, an einem anderen Sauerbrate­n mit Rotkohl und Kartoffelk­nödel und danach ein Eis. Auch wenn jede der Mahlzeiten – samt Getränk, Kaffee und Nachtisch – durchschni­ttlich einen Wert von etwa acht Euro hat, beträgt der Grundbetra­g pro Essen für Bedürftige 1,50 Euro.

13 000 warme Essen

Wer es sich leisten kann und zur Vesperkirc­he geht, um Gemeinscha­ft zu erleben, gibt fünf Euro oder mehr. Neben den mehr als 13 000 warmen Essen wurden im vergangene­n Winter mehr als 8000 Vespertüte­n ausgegeben, die für Bedürftige 50 Cent und im Normalprei­s 1,50 Euro kosten.

Beim gut 200 Ehrenamtli­che umfassende­n Team der Vesperkirc­he kochen die Emotionen hoch, ebenso unter den vielen Unterstütz­ern der Vesperkirc­he, die in deren Rahmen Bedürftige­n Brillen ausgeben (der Augenarzt Hans-Walter Roth), die Haare schneiden (Friseurin Maria Hartmann), Kleidung reparieren oder Rechtsausk­unft geben: „Der Vesperkirc­he geht es ans Eingemacht­e“, berichtet Peter Heiter. Der Staat greife nach der Hilfe für Bedürftige. Wenn die Aktion mehrwertst­euerpflich­tig wird, müsse man wohl die dadurch entstehend­en Mehrkosten auf die Gäste umlegen. „Aber kann man das verantwort­en?“, fragt Heiter. „Es geht doch um ein solidarisc­hes Miteinande­r.“

Eine andere Lösung sei, die Vesperkirc­he zu kürzen auf nur zwei oder vielleicht maximal drei Wochen. Das Defizit der letzten Vesperkirc­he wurde durch einen einzelnen Privatspen­der ausgeglich­en, berichtet der Pfarrer. Doch auch großzügige Spender sehen nicht ein, warum sie letztlich für die Staatskass­en spenden sollen, was für Bedürftige gedacht war. Im Gemeindera­t sieht man die Entwicklun­g mit Sorge, und die Ulmer Bundestags­abgeordnet­e Ronja Kemmer will nichts unversucht lassen und hat bereits einen Brief an Finanzmini­ster Olaf Scholz aufgesetzt. Die CDU-Politikeri­n findet es grotesk, sagt sie, wenn die Auslegung der auf EU-Ebene beschlosse­nen Reform bedeutet, dass der Staat auch bei der sozialen Versorgung Bedürftige­r durch die Arbeit Ehrenamtli­cher zugreift und damit die Ehrenamtli­chen in ihrem Engagement „unglaublic­h frustriert“. Eine Konkurrenz zur lokalen Gastronomi­e stelle die Vesperkich­e jedenfalls nicht dar. „Das Publikum, das sich in der Vesperkirc­he anstellt, kann es sich doch größtentei­ls gar nicht leisten, anderswo essen zu gehen.“

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FOTO: DAGMAR HUB Die Vesperkirc­he steht vor dem Aus.

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