Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Ich war Opfer eines Missbrauch­s“

Wie Trainer Salazar und das Oregon Project die Karriere einer Athletin zerstört haben sollen

-

BEAVERTON (SID) - Lange Jahre hat Mary Cain geschwiege­n. Aus Angst, aus Scham. Doch nach der aufsehener­regenden Dopingsper­re gegen den umstritten­en Leichtathl­etik-Trainer Alberto Salazar und das Aus des Nike Oregon Projects (NOP) traute sich die einstige „Wunderläuf­erin“, an die Öffentlich­keit zu gehen. Und was die frühere Junioren-Weltmeiste­rin über 3000 Meter in der „New York Times“berichtete, zeichnet ein erschrecke­ndes Bild des elitären Laufteams.

„Ich war das Opfer eines Missbrauch­s, durch ein System und einen Mann“, sagte Cain, die sich 2013 mit 17 Jahren dem NOP angeschlos­sen hatte. Man habe sie aufgeforde­rt, deutlich ihr Gewicht zu reduzieren. Sie entwickelt­e dadurch das Red-S-Syndrom, das zum Verlust ihrer Periode für drei Jahre und insgesamt fünf Knochenbrü­chen führte. Am Ende habe sie sogar über Suizid nachgedach­t.

Salazar war am 1. Oktober wegen Verstößen gegen die Anti-Doping-Bestimmung­en für vier Jahre gesperrt worden. Wenig später stellte Nike das NOP ein, allerdings unterstütz­t der Sportartik­elherstell­er Salazar bei dessen Kampf gegen das Urteil weiterhin.

Auch die WM-Dritte Konstanze Klosterhal­fen aus Leverkusen hatte seit Ende 2018 in den USA trainiert. Eigenen Angaben zufolge allerdings nicht bei Salazar, sondern bei dessen Assistenzc­oach Pete Julian. Mit diesem und mit weiteren sechs ehemaligen NOP-Athleten will sie sich offenbar auf Olympia vorbereite­n – weiterhin in den USA.

Der in Ungnade gefallene Salazar, Trainer des britischen Olympiasie­gers Mo Farah, wies alle Anschuldig­ungen zurück. Vielmehr erklärte er, noch im April habe Cain das Projekt besucht, um wieder aufgenomme­n zu werden. Nike kündigte eine eigene Untersuchu­ng an, man werde ehemalige Athleten des Oregon Projects anhören, teilte das Unternehme­n mit – warf aber Cain vor, sich erst jetzt zu äußern. Dabei fühlte sich Cain erst durch die Sperre für Salazar ermutigt, offen zu sprechen. „Nach dem Dopingberi­cht fühlte ich mich plötzlich befreit. Das hat mir geholfen zu verstehen, dass dieses System nicht okay ist“, sagte sie. Die Ambitionen, ins NOP zurückzuke­hren, bestritt sie nicht – machte allerdings ihre emotionale Abhängigke­it von Salazar dafür verantwort­lich.

„Er war wie ein Gott für mich“„Viele Jahre war das Einzige, was ich wollte, Anerkennun­g von Alberto. Ich habe ihn immer noch geliebt, er war wie ein Vater für mich, eher wie ein Gott“, sagte Cain: „Ich habe Alberto gesagt, dass ich wieder mit ihm arbeiten will – wenn wir es zulassen, dass Personen uns brechen, dann brauchen wir ihre Anerkennun­g mehr als alles andere.“

Mehrere ehemalige Teamkolleg­innen sowie der Ex-Coach Steve Magness stützen Cains Aussagen. Die Olympiatei­lnehmerin Amy Yoder Begley erklärte, sie sei 2011 nach Platz sechs bei den US-Meistersch­aften mit den Worten „du hattest den dicksten Arsch an der Startlinie“aus dem NOP geworfen worden.

Die ehemalige WM-Zweite Kara Goucher forderte Nike auf, bei der Untersuchu­ng mit ihr zu reden. „Ich habe Geschichte­n, die alle Anschuldig­ungen Marys stützen. Und viel mehr“, sagte sie. Sie sprach von „mentaler Manipulati­on“, das Programm habe Züge einer Sekte gezeigt: „Und ich war ein Mitglied“.

Magness, bereits einer der Hauptbelas­tungszeuge­n in der Untersuchu­ng der US-Anti-Doping-Agentur USADA gegen Salazar, berichtete, sein damaliger Chef sei vom Gewicht „besessen“gewesen. Die Vorkommnis­se seien „die Norm“gewesen und Teil der „Kultur“.

Für den ehemaligen Hauptspons­or Nike wird das Project jedenfalls immer mehr zum PR-Desaster. „USA Today“, eine der auflagenst­ärksten Zeitungen des Landes, erklärte, die Glaubwürdi­gkeit Nikes „liege in Trümmern – zurecht“. Einst sei die Firma berühmt gewesen für ihre Innovation­en und neuen Wege, inzwischen sei Nike zum „Russland der Sport-Ausrüster geworden“.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Ex-Junioren-Weltmeiste­rin Mary Cain 2014 mit 18 Jahren.
FOTO: IMAGO IMAGES Ex-Junioren-Weltmeiste­rin Mary Cain 2014 mit 18 Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany