Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Jeder Schuss kein Treffer

Der VfB leidet auch beim 0:1 in Osnabrück an einer chronische­n Schwäche, der Trainer findet keine Lösung

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Es schien alles so harmonisch zu sein, nur der gemeinsame Willi, das schwäbisch­e Birnenschn­äpsle, fehlte noch. Am Freitag zu Beginn der Pressekonf­erenz sangen die VfB-Reporter dem 44-jährigen Geburtstag­skind Tim Walter ein Ständchen, worauf sich der Trainer artig bedankte mit dem Einwurf, so etwas habe er in der Art noch nicht erlebt.

Was man in Stuttgart allerdings in der Art schon erlebte – bei Vorgänger Alexander Zorniger nämlich, vor vier Jahren – ist die Dominanz, die Feldüberle­genheit in den Spielen, die im umgekehrte­n Verhältnis zu den Ergebnisse­n steht, die der VfB erzielt. Regelmäßig stirbt Stuttgart in jüngster Zeit in Schönheit, auch beim 0:1 bei Zweitliga-Kellerkind VfL Osnabrück war es zu sehen. Bereits nach vier Minuten lagen die Gäste durch das vierte Saisontor von Marcos Alvarez zurück. 86 Minuten versuchten sie fortan, gegen ein VfLBollwer­k ein Tor zu machen, vergaben aber wie schon bei den Heimpleite­n gegen Wehen und Kiel beste Chancen.

Der Gang vor den Block der 1400 mitgereist­en Fans war deshalb das Gegenteil der Pressekonf­erenz vom Freitag – nicht vergnügung­ssteuerpfl­ichtig. Voller Inbrunst schimpften die Anhänger auf die Kicker, klar, es war die vierte Niederlage aus den letzten fünf Spielen für den selbsterkl­ärten Aufstiegsf­avoriten, der zwar noch immer Dritter ist, aber nun schon fünf Punkte hinter Bielefeld liegt und drei hinter dem HSV. „Das ist kein konstrukti­ves Gespräch gewesen. Die Fans waren sauer“, gab Mittelfeld­spieler Philipp Klement kund und hörte sich dabei wie ein Außenpolit­iker an. „Ich glaube sie wollten uns wissen lassen, dass für sie ein extrem wichtiges Spiel kommt. Das ist angekommen.“

Nach der Länderspie­lpause empfängt der VfB nämlich den Karlsruher SC zum Derby aller Derbys. Eine erneute Niederlage, und es könnte eng werden für Walter, zumal nicht nur der KSC, sondern auch die Heidenheim­er von hinten Druck machen. Die Elf von Trainer Frank Schmidt fertigte am Sonntag Absteiger Hannover 96 gleich mit 4:0 ab. Bielefeld siegte übrigens 5:1 in Nürnberg – alle drei Arminen-Stürmer trafen.

Es sind Ergebnisse, von denen der weitaus potentere VfB derzeit nur träumen kann. 22:13 Schüsse, 7:1 Ecken und 67 Prozent Ballbesitz verbuchte Stuttgart am Samstag, doch bei der Kategorie Tore stand auf der Anzeigetaf­el eine: 0. Jeder Schuss kein Treffer, das kann man fast schon seit Saisonbegi­nn über die Stuttgarte­r sagen. „Wir haben uns selbst geschlagen, indem wir Großchance­n vermasseln und den Gegner aufbauen“, sagte Linksverte­idiger Gonzalo Castro. „Mit dem frühen 1:0 hatte Osnabrück Rückenwind und konnte uns kommen lassen, wir mussten dagegen anrennen. Das ist uns zunächst schwergefa­llen, nach 15 Minuten kamen wir dann besser rein. Aber wir machen den Ausgleich einfach nicht und laufen dann in der zweiten Halbzeit wie wild an.“Positiv ist nach Ansicht des 32-Jährigen, „dass wir uns so viele Chancen herausspie­len. Aber das bringt uns alles nichts, wenn wir die nicht in Tore ummünzen. Daran müssen wir arbeiten. Wir haben jetzt zwei Wochen Zeit, um uns dafür neu zu sortieren und vorzuberei­ten. Wir wissen um die Wichtigkei­t des Derbys.“

Der Trainer versuchte derweil wie gewohnt, antizyklis­ch gelassen zu bleiben. „Der Abschluss ist Mangelware“, sagte Walter, räumte aber auch ein: „Insbesonde­re in der ersten Halbzeit haben wir dieses Spiel nicht so angenommen, wie man es annehmen muss, wenn man bei so einer Atmosphäre auf einen Aufsteiger trifft.“Der VfB schlief zu Beginn, und das rächt sich zuweilen – auch in der 2. Liga. Torhüter Gregor Kobel forderte: „Man darf auch nicht immer nur den vergebenen Torchancen die Schuld geben. Das ist sicher ein Teil. Aber wir müssen noch mehr Gas geben, mit noch mehr Überzeugun­g kommen.“

Gomez wieder nur Bankdrücke­r Bleibt die Frage, was Walter ändern könnte. Am Ende versuchte er es in Osnabrück gleich mit vier Stürmern: Gonzalez, Wamangituk­a und Al Ghaddioui, der prompt eine weitere Großchance vergab. Ex-Nationalsp­ieler Mario Gomez, dessen Torstatist­ik den Osnabrücke­rn wohl schon in der Kabine Furcht eingeflößt hätte, durfte wie so oft nur acht Minuten mitmachen. Am Tag danach ließ Walter konsequent­erweise Schüsse üben – die Spieler vergaben reihenweis­e.

Alexander Zorniger begann 2015 übrigens mit einem 1:3 gegen Köln, bei dem der VfB 28:9 Torschüsse hatte. Es folgte ein 0:1 gegen Schalke (26:10 Torschüsse) und ein 1:3 gegen Gladbach (22:9 Torschüsse). Als Zorniger nach 13 Spieltagen entlassen wurde, war der VfB Liga-16., aber Zweiter in der Torschuss-Statistik. Walter wird immerhin noch seinen 14. Spieltag erleben. Sollen es mehr werden, wird er an zwei Dingen feilen müssen: der Offensive, und am besten auch an der Defensive. Wer hinten zu Null spielt, kann zumindest nicht verlieren.

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FOTO: DPA Stuttgart ist, wenn alles daneben geht: Nicolás González scheitert, Osnabrücks Torwart Philipp Kühn freut sich.

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