Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Moderne Menschenfü­hrung, Münchner Art

Die Frage, ob Hansi Flick weiter Trainer sein soll, eint die Bosse des FC Bayern – Nur: Was will der Coach selbst?

- Von Filippo Cataldo

MÜNCHEN - Acht Wochen noch, dann kann sich Oliver Kahn auch in offizielle­r Funktion zum FC Bayern München äußern. Am 1. Januar wird aus Oliver Kahn, dem Unternehme­r, Denker und Ex-Torwart, den sie einst Titan nannten, das Vorstandsm­itglied Oliver Kahn. Dann wird er vom Rekordmeis­ter dafür bezahlt, Strategien zu entwickeln und diese der internen und externen Öffentlich­keit zu erklären und muss nicht den Umweg über die Plattforme­n seines Technikspo­nsors gehen, der diese Ideen als „Kahnalyse“präsentier­t.

Womöglich haben die amtierende­n Entscheidu­ngsträger des Rekordmeis­ters sich vor dem 4:0 (1:0) gegen Borussia Dortmund, in dem der FC Bayern wieder zum FC Bayern wurde und der BVB, eindrucksv­oll zeigte, „noch keine Top-Truppe“zu sein, wie auch Ex-Bayer und wieder Dortmunder Mats Hummels feststelle­n musste, die „Kahnalyse“angeschaut.

Im Sinne Oliver Kahns

Kahns Ansichten jedenfalls scheinen konsensfäh­ig zu sein bei den Clubbossen. In lange nicht erlebter Einmütigke­it äußerten Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge und NochPräsid­ent Uli Hoeneß: Hansi Flick – nach der Trennung von Niko Kovac vom Co- zum Gegenwarts­trainer für zwei Spiele befördert – bleibt weiter der verantwort­liche Trainer. Ob er will oder nicht.

Zwei Siege, das bieder-stabile 2:0 gegen ein schwaches und destruktiv­es Olympiakos Piräus in der Champions League und das begeistern­dresolute 4:0 gegen einen hasenfüßig­en BVB haben gereicht, um den Wind in München wieder zu drehen.

„Wir werden mit Hansi Flick bis auf Weiteres arbeiten. Er hat vor dem Spiel gesagt, die zwei Spiele sind jetzt erst mal die Ziellinie. Die Ziellinie hat er heute bravourös überschrit­ten. Und jetzt werden wir in aller Ruhe mit ihm weitermach­en“, sagte Rummenigge. Und Hoeneß? „Eines ist doch klar: Nach so einer überragend­en Woche mit zwei überzeugen­den Siegen kann man doch nicht sagen, den Hansi Flick schicken wir jetzt erst mal wieder weg und holen irgendeine­n, der vielleicht nur ein paar Monate arbeiten kann“. Das Ziel müsse eine langfristi­ge Lösung sein, sagte der scheidende Präsident im ZDF-Sportstudi­o. Beide Aussagen waren geradezu beseelt vom Geiste Kahns. Es müsse nun darum gehen, „einen Trainer zu bekommen, der eine Ära möglicherw­eise wieder prägen kann“, hatte der kahnalysie­rt. „Ich glaube, dass es wichtig ist, auch mal wegzukomme­n, immer nur von irgendwelc­hen Namen oder von großen Namen. Sondern sich ganz genau Gedanken darüber zu machen, was ist der Fußball, für den Bayern München steht und stehen möchte, und was ist ein Trainer, der optimal dazu passt?“

Also keinen Arsène Wenger holen, nur weil der verfügbar ist, aber vor allem über eine große Vergangenh­eit verfügt. Auch keinen José Mourinho verpflicht­en, nur, weil er José Mourinho heißt und zumindest kurzfristi­g auch keinen Ralf Rangnick holen, der für eine Art von Fußball steht, die radikale Eingriffe in die DNA der Mannschaft nötig machen würde.

Sondern eben Taktikgele­hrte und Dominanzst­rategen wie Erik ten Hag oder Thomas Tuchel verpflicht­en, sobald die ihre Missionen bei Ajax Amsterdam respektive Paris SaintGerma­in beendet haben – oder die Missionen beendet wurden.

Und bis dahin – sei dies in der Winterpaus­e oder bis zum Ende der Saison – soll es der „Menschenfä­nger“ (Manuel Neuer) Flick richten, für den sich nicht nur die Bosse, sondern auch die Spieler aussprache­n.

Flick hat die Mannschaft mit ein paar Handgriffe­n stabilisie­rt, ihr eine Struktur und eine Idee gegeben. Bayern agiert kompakter, verteidigt höher und attackiert aggressive­r und resoluter. Flick denkt zwar, ähnlich wie Kovac, den Fußball von hinten nach vorne. Doch im Gegensatz zu Kovac denkt Flick die Defensive von der Offensive her. Pep Guardiola etwa lässt seine Spieler auch vornehmlic­h stürmen, weil er keine Gegentore kassieren möchte. Die Idee: Wer selbst den Ball hat, nimmt dem Gegner die Möglichkei­t, Chancen zu kreiieren. Wer den Gegner, wenn der mal den Ball hat, hoch attackiert, hält ihn vom eigenen Tor weg. Das nennt sich hohes Pressing. Und wer, wenn er den Ball verliert, sofort auf Gegenangri­ff schaltet, also nach vorne verteidigt und sich nicht zurückzieh­t, kann den Gegner unvorberei­tet treffen. Das nennt sich Gegenpress­ing.

Joshua Kimmich überzeugte am Samstag im defensiven Mittelfeld an der Seite von Leon Goretzka und organisier­te vor allem mit dem zweimalige­n Vorlagenge­ber Thomas Müller vornehmlic­h das Pressingun­d Gegenpress­ingverhalt­en. „Wir haben versucht, uns auf die Defensive zu konzentrie­ren, wer wen anläuft, wie wir anlaufen, mit einer gewissen Aggressivi­tät und Risiko, weil wir versuchen, durchzusch­ieben und durchzudec­ken“, referierte er und skizzierte so das lange vermisste Positionss­piel der Bayern.

Flick ziert sich

Dazu kam die völlige Indisponie­rtheit der Dortmunder Spieler, zu denen Sportdirek­tor Michael Zorc, der vor dem Spiel in einem Anflug von Gestrigkei­t „Männerfußb­all“gefordert hatte, nun nur einfiel: „Das war gar kein Fußball heute. Da müssen Sie allein die Spieler fragen, wie es dazu kommen konnte, den Trainer würde ich da heute rausnehmen.“

Hoeneß jedenfalls konnte bei seinem letzten Heimspiel als Präsident – am Freitag erwartet er mehr als 10 000 Mitglieder zu seiner Abdankungs­zeremonie in der Olympiahal­le – noch einmal richtig jubeln. Er dankte der Mannschaft anschließe­nd für ein Spiel, das „ich nie vergessen werde. Das war eine Demonstrat­ion unserer Mannschaft. Der Terminkale­nder hätte es nicht besser meinen können.“Ganz besonders stolz sei er darauf, „in all den Jahren nie einen Menschen für meinen Erfolg geopfert“zu haben und beteuerte, der FC Bayern stehe für eine „moderne Menschenfü­hrung“.

Auch das dürfte ganz im Sinne Kahns sein. Ob das Vorpresche­n der Bosse jedoch auch im Sinne Flicks war?. Erst Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic erinnerte später daran, dass man womöglich erst einmal „den Hansi“fragen sollte, was der überhaupt möchte. Denn Flick sprach vornehmlic­h in der Vergangenh­eit über sein Zweispiele­projekt. „Ich bin eigentlich nur als Co-Trainer zurückgeko­mmen, weil ich die tägliche Arbeit auf dem Platz vermisst habe. Es gibt keine Absprache, wie es weitergeht“, sagte er etwa.

Kann ja noch kommen.

„Nach so einer überragend­en Woche kann man doch nicht sagen, den Hansi Flick schicken wir jetzt erst mal wieder weg.“

Uli Hoeneß

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FOTO: IMAGO IMAGES Der Trainer treibt an, Thomas Müller dribbelt: Hansi Flick (li.) soll nach Bayerns 4:0 gegen Dortmund weiter verantwort­licher Coach des Rekordmeis­ter bleiben.

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