Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Moderne Menschenführung, Münchner Art
Die Frage, ob Hansi Flick weiter Trainer sein soll, eint die Bosse des FC Bayern – Nur: Was will der Coach selbst?
MÜNCHEN - Acht Wochen noch, dann kann sich Oliver Kahn auch in offizieller Funktion zum FC Bayern München äußern. Am 1. Januar wird aus Oliver Kahn, dem Unternehmer, Denker und Ex-Torwart, den sie einst Titan nannten, das Vorstandsmitglied Oliver Kahn. Dann wird er vom Rekordmeister dafür bezahlt, Strategien zu entwickeln und diese der internen und externen Öffentlichkeit zu erklären und muss nicht den Umweg über die Plattformen seines Techniksponsors gehen, der diese Ideen als „Kahnalyse“präsentiert.
Womöglich haben die amtierenden Entscheidungsträger des Rekordmeisters sich vor dem 4:0 (1:0) gegen Borussia Dortmund, in dem der FC Bayern wieder zum FC Bayern wurde und der BVB, eindrucksvoll zeigte, „noch keine Top-Truppe“zu sein, wie auch Ex-Bayer und wieder Dortmunder Mats Hummels feststellen musste, die „Kahnalyse“angeschaut.
Im Sinne Oliver Kahns
Kahns Ansichten jedenfalls scheinen konsensfähig zu sein bei den Clubbossen. In lange nicht erlebter Einmütigkeit äußerten Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und NochPräsident Uli Hoeneß: Hansi Flick – nach der Trennung von Niko Kovac vom Co- zum Gegenwartstrainer für zwei Spiele befördert – bleibt weiter der verantwortliche Trainer. Ob er will oder nicht.
Zwei Siege, das bieder-stabile 2:0 gegen ein schwaches und destruktives Olympiakos Piräus in der Champions League und das begeisterndresolute 4:0 gegen einen hasenfüßigen BVB haben gereicht, um den Wind in München wieder zu drehen.
„Wir werden mit Hansi Flick bis auf Weiteres arbeiten. Er hat vor dem Spiel gesagt, die zwei Spiele sind jetzt erst mal die Ziellinie. Die Ziellinie hat er heute bravourös überschritten. Und jetzt werden wir in aller Ruhe mit ihm weitermachen“, sagte Rummenigge. Und Hoeneß? „Eines ist doch klar: Nach so einer überragenden Woche mit zwei überzeugenden Siegen kann man doch nicht sagen, den Hansi Flick schicken wir jetzt erst mal wieder weg und holen irgendeinen, der vielleicht nur ein paar Monate arbeiten kann“. Das Ziel müsse eine langfristige Lösung sein, sagte der scheidende Präsident im ZDF-Sportstudio. Beide Aussagen waren geradezu beseelt vom Geiste Kahns. Es müsse nun darum gehen, „einen Trainer zu bekommen, der eine Ära möglicherweise wieder prägen kann“, hatte der kahnalysiert. „Ich glaube, dass es wichtig ist, auch mal wegzukommen, immer nur von irgendwelchen Namen oder von großen Namen. Sondern sich ganz genau Gedanken darüber zu machen, was ist der Fußball, für den Bayern München steht und stehen möchte, und was ist ein Trainer, der optimal dazu passt?“
Also keinen Arsène Wenger holen, nur weil der verfügbar ist, aber vor allem über eine große Vergangenheit verfügt. Auch keinen José Mourinho verpflichten, nur, weil er José Mourinho heißt und zumindest kurzfristig auch keinen Ralf Rangnick holen, der für eine Art von Fußball steht, die radikale Eingriffe in die DNA der Mannschaft nötig machen würde.
Sondern eben Taktikgelehrte und Dominanzstrategen wie Erik ten Hag oder Thomas Tuchel verpflichten, sobald die ihre Missionen bei Ajax Amsterdam respektive Paris SaintGermain beendet haben – oder die Missionen beendet wurden.
Und bis dahin – sei dies in der Winterpause oder bis zum Ende der Saison – soll es der „Menschenfänger“ (Manuel Neuer) Flick richten, für den sich nicht nur die Bosse, sondern auch die Spieler aussprachen.
Flick hat die Mannschaft mit ein paar Handgriffen stabilisiert, ihr eine Struktur und eine Idee gegeben. Bayern agiert kompakter, verteidigt höher und attackiert aggressiver und resoluter. Flick denkt zwar, ähnlich wie Kovac, den Fußball von hinten nach vorne. Doch im Gegensatz zu Kovac denkt Flick die Defensive von der Offensive her. Pep Guardiola etwa lässt seine Spieler auch vornehmlich stürmen, weil er keine Gegentore kassieren möchte. Die Idee: Wer selbst den Ball hat, nimmt dem Gegner die Möglichkeit, Chancen zu kreiieren. Wer den Gegner, wenn der mal den Ball hat, hoch attackiert, hält ihn vom eigenen Tor weg. Das nennt sich hohes Pressing. Und wer, wenn er den Ball verliert, sofort auf Gegenangriff schaltet, also nach vorne verteidigt und sich nicht zurückzieht, kann den Gegner unvorbereitet treffen. Das nennt sich Gegenpressing.
Joshua Kimmich überzeugte am Samstag im defensiven Mittelfeld an der Seite von Leon Goretzka und organisierte vor allem mit dem zweimaligen Vorlagengeber Thomas Müller vornehmlich das Pressingund Gegenpressingverhalten. „Wir haben versucht, uns auf die Defensive zu konzentrieren, wer wen anläuft, wie wir anlaufen, mit einer gewissen Aggressivität und Risiko, weil wir versuchen, durchzuschieben und durchzudecken“, referierte er und skizzierte so das lange vermisste Positionsspiel der Bayern.
Flick ziert sich
Dazu kam die völlige Indisponiertheit der Dortmunder Spieler, zu denen Sportdirektor Michael Zorc, der vor dem Spiel in einem Anflug von Gestrigkeit „Männerfußball“gefordert hatte, nun nur einfiel: „Das war gar kein Fußball heute. Da müssen Sie allein die Spieler fragen, wie es dazu kommen konnte, den Trainer würde ich da heute rausnehmen.“
Hoeneß jedenfalls konnte bei seinem letzten Heimspiel als Präsident – am Freitag erwartet er mehr als 10 000 Mitglieder zu seiner Abdankungszeremonie in der Olympiahalle – noch einmal richtig jubeln. Er dankte der Mannschaft anschließend für ein Spiel, das „ich nie vergessen werde. Das war eine Demonstration unserer Mannschaft. Der Terminkalender hätte es nicht besser meinen können.“Ganz besonders stolz sei er darauf, „in all den Jahren nie einen Menschen für meinen Erfolg geopfert“zu haben und beteuerte, der FC Bayern stehe für eine „moderne Menschenführung“.
Auch das dürfte ganz im Sinne Kahns sein. Ob das Vorpreschen der Bosse jedoch auch im Sinne Flicks war?. Erst Sportdirektor Hasan Salihamidzic erinnerte später daran, dass man womöglich erst einmal „den Hansi“fragen sollte, was der überhaupt möchte. Denn Flick sprach vornehmlich in der Vergangenheit über sein Zweispieleprojekt. „Ich bin eigentlich nur als Co-Trainer zurückgekommen, weil ich die tägliche Arbeit auf dem Platz vermisst habe. Es gibt keine Absprache, wie es weitergeht“, sagte er etwa.
Kann ja noch kommen.
„Nach so einer überragenden Woche kann man doch nicht sagen, den Hansi Flick schicken wir jetzt erst mal wieder weg.“
Uli Hoeneß