Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Diese Menschen gehören zu uns“
Gedenken und Lichterprozession erinnern an die Zerstörung der Synagoge vor 81 Jahren
Gedenken und Lichterprozession erinnern an Synagogenbrand vor 81 Jahren.
LAUPHEIM - 102 Kerzen sind am Samstagabend beim ehemaligen Leichenhaus am jüdischen Friedhof angezündet worden, für jedes Holocaust-Opfer aus Laupheim eine. Schüler der Kilian-von-SteinerSchule und der Laupheimer Singkreis gestalteten das Gedenken an die Zerstörung der Synagoge vor 81 Jahren.
Damals, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, gingen überall in Deutschland israelitische Gotteshäuser in Flammen auf. Der „Volkszorn“breche sich Bahn, behauptete Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels. Jüdische Bürger wurden gedemütigt, misshandelt, ins KZ verschleppt. In Laupheim mussten sie vor der Synagoge, die SA-Männer in Brand gesteckt hatten, Kniebeugen machen. Die jüdische Gemeinde wurde gezwungen, für die Beseitigung des Brandschutts zu bezahlen und das Grundstück abzutreten.
„Lassen Sie uns zusammenstehen“In Zeiten zunehmender Verrohung, Radikalisierung und Gewaltbereitschaft müsse, was damals geschah, umso mehr berühren und aufrütteln, mahnt Oberbürgermeister Gerold Rechle beim Gedenken. „Unser aller Engagement ist mehr denn je zwingend nötig, um Frieden und Tolenranz zu bewahren“, appelliert er an die Versammelten. „Lassen Sie uns zusammenstehen und für Gerechtigkeit und Menschenwürde einstehen.“
130 Frauen und Männer haben die Nazis 1942 in einem jüdischen Zwangsaltersheim auf Schloss Dellmensingen zusammengepfercht. 17 von ihnen starben, bevor es im August 1942 aufgelöst wurde. Ihre Gräber sind auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim. Schüler der Kilian-vonSteiner-Schule und andere Redner erinnern an sieben dieser Menschen, „stellvertretend für viele andere Opfer des Nationalsozialismus, die Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung am eigenen Leib erfahren und erdulden mussten, nur weil sie jüdisch waren“, sagt der Pädagogische Museumsleiter Michael Koch.
An Babette Rosenberger wird am Samstag erinnert; sie lebte 29 Jahre in Laupheim und war verheiratet mit Samuel Rosenberger, Lehrer der israelitischen Volkschule. An Emilie Haarburger, im März 1942 von Stuttgart nach Dellmensingen zwangsumgesiedelt; an Abraham Kahn aus Schwäbisch Gmünd, Gründer einer Spielwarenfabrik und für seinen respektvollen Umgang mit jedermann von den Nachbarskindern voller Anerkennung auch „Judenpfarrer“genannt; an Hedwig Wallerstein aus Nürtingen, die lange in Heilbronn wohnte; an den promovierten Juristen Berthold Blum aus Stuttgart, dessen Witwe nach Theresienstadt und Auschwitz verschleppt wurde; an Sofie Henle, Tochter eines Laupheimer Schreinermeisters; und an Frida Dettelbacher, die mit ihren beiden Schwestern ein Hotel in Göppingen betrieb.
Diese Menschen, die ins Fadenkreuz einer mörderischen Ideologie gerieten, „gehören zu uns“, betont der evangelische Pfarrer Ulrich Metzger, der an der Kilian-von-Steiner-Schule Religion unterrichtet. Nicht zuletzt deshalb, weil der Kern des christlichen Glaubens jüdischer Glaube sei, „es ist wenig Neues dazugekommen“. Ein Land allerdings, das Minderheiten, Flüchtlinge, Asylanten, Migranten schlechter behandelt als die Alteingesessenen, höre auch für Letztere auf, Heimat zu sein, zitiert der Seelsorger den 2013 verstorbenen Tübinger Altphilologen und Schriftsteller Walter Jens. Nur ein solches Land könne Heimat sein, das allen Menschen Sicherheit, Menschenwürde und Lebenschancen biete.
Als die Kerzen auf dem ErnstSchäll-Platz verteilt sind, werden sie zum Gedenkstein für die Laupheimer Synagoge getragen und an dem Ort aufgestellt, der einst Mittelpunkt einer lebendigen jüdischen Gemeinde war. In einer langen Reihe flackern die Lichter im Abendwind.