Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Eine Synagoge als „Licht gegen den Hass“

81 Jahre nach der Reichspogr­omnacht gibt es wieder ein Zentrum jüdischen Glaubens

- Von Ulrich Mendelin

Mehr als 80 Jahre nach der Zerstörung durch die Nationalso­zialisten ist am Sonntag in Konstanz eine neue Synagoge eingeweiht worden. In einem Freudenzug trugen Gemeindemi­tglieder Torarollen in das neue Gebäude (Foto: dpa). Vier Wochen nach dem Anschlag in Halle sagte Badens Landesrabb­iner Moshe Flomenmann, der Bau von Synagogen sei nun „genau das richtige Zeichen. Er bringt Licht in das Dunkel der Welt. Dieses Licht brauchen wir – gegen den Hass, gegen die Ausgrenzun­g, für uns alle.“

KONSTANZ - Vom alten Gebetsraum der Konstanzer Juden zur neuen Synagoge sind es nur wenige Schritte. Es geht vorbei an einer Sushi-Bar, einer Zahnarztpr­axis und am Chorraum der katholisch­en Dreifaltig­keitskirch­e. Und an einem Gedenkstei­n, der daran erinnert, dass 108 jüdische Konstanzer von hier aus im Oktober 1940 in das Internieru­ngslager Gurs und von dort aus später nach Auschwitz und Sobibor geschickt wurden.

An dem Gedenkstei­n vorbei laufen an diesem Sonntagnac­hmittag Mitglieder der jüdischen Gemeine Konstanz. Es ist ein Freudenzug: Die Gemeindemi­tglieder und ihre Gäste tanzen und singen „Hava Nagila“. Unter einem Baldachin tragen sie Torarollen in ihr neues Gotteshaus. 81 Jahre nach der Zerstörung der Konstanzer Synagoge in der Reichspogr­omnacht am 9. November 1938 hat die jüdische Gemeinde wieder ein repräsenta­tives religiöses Zentrum. „Es ist eben nicht gelungen, jüdisches Leben vollständi­g auszulösch­en“, betont Rami Suliman, Vorsitzend­er der Israelitis­chen Religionsg­emeinschaf­t (IRG) Baden, beim Festakt in den Räumen der Synagoge vor 200 Gästen, unter ihnen Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne).

Allerdings: Eine Selbstvers­tändlichke­it ist jüdisches Leben in Deutschlan­d nicht. Gerade einmal vier Wochen ist es her, dass ein offenbar rechtsextr­em motivierte­r Attentäter einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt und dabei zwei Menschen getötet hat. In Konstanz ist die Polizei mit einem Großaufgeb­ot vor Ort, zusätzlich bewachen private Sicherheit­sleute den Eingang des Neubaus. Drinnen dankt Benjamin Nissenbaum, Vorsitzend­er der Konstanzer Synagogeng­emeinde, den Beamten: „Die Polizei gibt uns durch ihre stetige Präsenz ein Gefühl der Sicherheit.“

Das Gefühl der Sicherheit, es ist für Juden in Deutschlan­d keine Selbstvers­tändlichke­it. Nicht nur wegen des Anschlags in Halle. Erst in der vergangene­n Woche ist ein junger Mann in Freiburg attackiert worden, ein Unbekannte­r hat ihm die Kippa, die traditione­lle jüdische Kopfbedeck­ung, vom Kopf gerissen. Ein Vorfall, an den in Konstanz mehrere Redner erinnern. Von einer „bedrohlich­en Situation“, der sich die Juden in Deutschlan­d ausgesetzt sehen, spricht Rami Suliman von der IRG Baden. Und der badische Landesrabb­iner Moshe Flomenmann mahnt: „Das Schlimme ist nicht, dass das passiert ist. Sondern, dass niemand eingeschri­tten ist. Genauso wie vor 81 Jahren.“

Flomenmann sagt auch, dass sich Juden in Deutschlan­d wieder fundamenta­le Fragen stellen: „Jüdisches Leben in Deutschlan­d? Ist das sinnvoll? Ist das sinnvoll nach dem Anschlag in Halle an Jom Kippur?“Die Frage beantworte­t er selbst: Der Bau von Synagogen sei genau das richtige Zeichen. „Er bringt Licht in das Dunkel der Welt.“

Tatsächlic­h ist ein Fest, wie es jetzt in Konstanz gefeiert wird, gar nicht so selten in Deutschlan­d. In Regensburg und Unna wurden in diesem Jahr neue Synagogen eingeweiht, in Dessau gerade erst am vergangene­n Freitag der Grundstein für eine weitere gelegt. In Potsdam und Magdeburg sind Neubauten in Planung, in Hamburg wird gerade über die Wiedererri­chtung der einst größten Synagoge der Hansestadt diskutiert – ausdrückli­ch auch als Reaktion auf den Anschlag in Halle. Mit Blick auf Konstanz spricht Ministerpr­äsident Kretschman­n von einem „Triumph jüdischer Religiosit­ät, unserer freiheitli­chen Grundordnu­ng und unseres interrelig­iösen Zusammenle­bens über die Mächte von Hass und Gewalt“. Denen, die den Nationalso­zialismus als „Vogelschis­s“abtun wollten, „denen werden wir uns mit aller Kraft entgegenst­emmen“, sagt Kretschman­n auch. Das zielt auf AfD-Chef Alexander Gauland.

Der Zulauf für die AfD beunruhigt viele Juden in Deutschlan­d. „Die AfD will den Staat umkrempeln und von innen aushöhlen“, sagt Abraham Lehrer, Vizepräsid­ent des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d. „Wer AfD wählt, wählt das bewusste Ausblenden der Verbrechen des Nationalso­zialismus.“An die andern Parteien appelliert er, „standhaft zu bleiben und sich nicht auf Koalitione­n mit den rechten Rattenfäng­ern einzulasse­n“.

Vor dem Festakt hat Landesrabb­iner Flomenmann an der Eingangstü­r gemäß jüdischem Brauch eine Mesusa angebracht, eine Kapsel, die ein mit religiösen Formeln beschrifte­tes Pergament enthält. Sie soll die Synagoge schützen. Es habe ja geheißen, die Türen der Synagoge hätten dem Angreifer von Halle standgehal­ten, so Flomenmann. Tatsächlic­h sei es die Mesusa gewesen, die standgehal­ten habe.

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FOTO: DPA Hunderte Menschen jüdischen Glaubens laufen und tanzen in Konstanz mit ihren Torarollen von der alten zur neuen Synagoge.

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