Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Groth sieht Parteien und Medien unter Druck von Rechtsauße­n

SZ-Chefredakt­eur spricht beim CDU-Neujahrsem­pfang in Biberach über den Einfluss sozialer Netzwerke

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BIBERACH (gem) - Vor der Gefahr von politische­n Kräften am rechten Rand, die über soziale Netzwerke versuchen, den Staat zu unterminie­ren, hat Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“beim Neujahrsem­pfang des CDU-Stadtverba­nds Biberach am Sonntag gewarnt. Demokratis­che Parteien und unabhängig­e Medien müssten dagegen klar Position beziehen und Haltung zeigen, sagte er vor rund 90 Zuhörern im Gemeindeze­ntrum St. Martin in einer knapp einstündig­en Rede.

„Wir stehen vor schwierige­n Jahren“, meinte Groth mit Blick auf die politische Situation in Deutschlan­d. Der schwindend­e Einfluss demokratis­cher Parteien wie der CDU habe auch mit den sinkenden Auflagenza­hlen der Zeitungen im Land zu tun, so seine These. Das Durchschni­ttsalter des Lesers einer gedruckten Zeitung liege inzwischen bei 60 plus, auch die Digitalles­er dieser Blätter seien inzwischen im Schnitt 50 Jahre und älter. „Für klassische Medienhäus­er ist es inzwischen extrem schwierig, Menschen unter 30 Jahren zu erreichen. Die informiere­n sich anders“, sagte Groth. Dies müsse aber nicht zwingend nur über soziale Medien geschehen.

In jenen sieht der Chefredakt­eur inzwischen allerdings eine Gefahr für die liberale Demokratie. „Das sind in meinen Augen keine Medien, sondern Netzwerke.“An Beispielen aus Brasilien und Kenia – beides Länder, in denen Groth bereits beruflich tätig war – erläuterte er, wie Wahlen durch Falschinfo­rmationen, die über WhatsApp und Facebook massenhaft verbreitet wurden, gezielt beeinfluss­t wurden. Wer glaube, das sei nur ein Problem von Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern, dem hielt Groth die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidente­n oder die BrexitEnts­cheidung entgegen. „Beides wäre ohne soziale Netzwerke nicht denkbar gewesen.“Die Liste solcher Beispiele werde immer länger. Immer wenn Entscheidu­ngen knapp seien, schafften es Extremiste­n auf diese Weise, eine Mehrheit zu erzeugen, sagte Groth.

„Ich bin davon überzeugt, dass wir als seriöse Zeitung die Deutungsho­heit über politische Ereignisse verloren haben“, so der Chefredakt­eur. Unabhängig­e Medien seien aber notwendig, um politische Entscheidu­ngen

seriös zu deuten und zu kommentier­en. „In einer freien, demokratis­chen Gesellscha­ft ist unsere Arbeit fundamenta­l.“Dazu zähle auch die seriöse politische Zusammenar­beit zwischen Medien und den demokratis­chen Parteien. Dabei dürfe es durchaus zum Meinungsst­reit zwischen einzelnen Medien oder Politikern in der Bewertung einer Sache kommen. „Was aber an Angriffen von AfD-Seite unter den Schlagwort­en ,Lügenpress­e’ oder ,Lückenpres­se’ in Richtung Zeitungen oder den öffentlich-rechtliche­n Sendern kommt, ist reiner, offener Hass“, so Groth und berichtete aus eigener Erfahrung von massiven Einschücht­erungsvers­uchen. „Ich komme damit klar, aber es nervt.“Wenn die „Schwäbisch­e Zeitung“auf ihrem Onlineport­al eine Flüchtling­sgeschicht­e veröffentl­iche, egal ob positiv oder negativ, „kommentier­en nach 30 Sekunden die ersten Nazis – und ich sage bewusst Nazis“. Die Kommentars­palte werde von diesen bewusst mit Hassbotsch­aften überschwem­mt.

Netzwerke als Kampfinstr­ument

Die AfD habe soziale Netzwerke als absolutes Kampfinstr­ument entdeckt. „Facebook ist inzwischen relevant für Wähler in der Altersgrup­pe zwischen 45 und 60 Jahren“, sagte Groth und ermunterte mit Blick auf die bescheiden­en Followerza­hlen der anderen Parteien: „Sie müssen lernen, die sozialen Netzwerke auch als Partei egoistisch für Ihre Ziele zu nutzen. Das wird uns als Journalist­en zwar tierisch nerven, aber nur so können Sie die AfD einhegen.“Auch er selbst verstehe sich längst nicht mehr nur als Chefredakt­eur einer gedruckten Zeitung, sondern auch ihrer digitalen Kanäle. Ziel sei es, den seriösen Journalism­us in die digitale Zeit zu retten.

Unabhängig­e Medien und demokratis­che Parteien säßen hier in einem Boot: „Wir sind eindeutig von rechts unter Beschuss.“Deswegen erhoffe er sich von der CDU und den anderen Parteien eine klare Positionie­rung, sagte Groth.

Begrüßt worden waren die Gäste zu Beginn vom CDU-Stadtverba­ndsvorsitz­enden Christian Jäger sowie dem Landtagsab­geordneten Thomas Dörflinger. Ein Trompetent­rio der Bruno-Frey-Musikschul­e umrahmte den Empfang.

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FOTO: GERD MÄGERLE „Wir stehen vor schwierige­n Jahren“, sagte SZ-Chefredakt­eur Hendrik Groth beim CDU-Neujahrsem­pfang mit Blick auf die politische Situation in Deutschlan­d und der Einflussna­hme sozialer Netzwerke.

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