Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die neue Lust auf alkoholfre­ies Bier

Die Hopfenkalt­schale ohne Nachwirkun­g ist längst nicht mehr so schlecht wie ihr Ruf

- Von Till Simon Nagel

GFREISING/AYING (dpa) - „Wie Schwimmen ohne Wasser“oder „Da fehlt irgendwas“, sind nur zwei häufige Meinungen zu alkoholfre­iem Bier. Fragt man näher nach, hält sich die Erfahrung der meisten Biertrinke­r mit dem alkoholfre­ien Stoff aber in Grenzen – oder der letzte Kontakt mit der Materie ist ziemlich lang her.

Der Blick ins Getränkere­gal gut sortierter Supermärkt­e offenbart: Das alkoholfre­ie Bier springt seit einiger Zeit mit viel Kraft aus der Nische. Da warten mittlerwei­le neben den paar Pilsnern der großen Brauereien und Weizen etliche neue Biersorten – darunter auch Lagerbier, Ale, Altbier und auch die CraftbierS­zene entdeckt das Bier ohne Prozente. Was ist da nur passiert?

Alles eine Frage der Technik, sagt Professor Martin Krottentha­ler von der Hochschule Weihenstep­hanTriesdo­rf (Foto: HSWT). Früher wurde beim alkoholfre­ien Bier meistens nach einer gewissen Zeit die Gärung gestoppt. Heute lässt man das Bier fertig gären und entzieht ihm anschließe­nd den Alkohol.

Während der Gärungssto­pp mit dem Kältekonta­ktverfahre­n für recht viel Restsüße im Bier sorgt, haben teurere Verfahren wie Umkehrosmo­se, Dialyse oder Vakuumverd­ampfung einen entscheide­nden Vorteil. „Geschmack und Aromen des Biers bleiben erhalten“, sagt Krottentha­ler. So hat man am Ende ein „richtiges“Bier, nur eben ohne die Prozente. „Seit einigen Jahren darf Bier aber auch nachgehopf­t werden“, erklärt

Krottentha­ler, der Brauwesen unterricht­et. Soll heißen: Dem Bier werden noch weitere Hopfensort­en zugesetzt. Zum Beispiel Cascade, Citra oder Dolden mit Namen wie Hallertaue­r Tradition, Akoya oder Polaris. So kann man dem Bier nachträgli­ch viele zusätzlich­e Aromen wie Citrus, Minze, Ananas oder Holunderbl­üte verleihen. Krottentha­ler: „Da gibt es richtige Geschmacks­bomben, wo man vor lauter Hopfen gar nicht schmeckt, dass der Alkohol fehlt.“

Ein Trend, den auch die Biersommel­ière und Bloggerin Mareike Hasenbeck aus Aying bei München verfolgt. „Durch die neuen Rohstoffko­mbinatione­n sind ganz andere Aromen möglich“, sagt sie. Besonders die Kreativbra­uszene jenseits der großen Brauereien bringe mittlerwei­le erstaunlic­he Biere mit Aromen wie Mango, Schokolade oder Kaffee heraus.

Und auch jenseits des Reinheitsg­ebots gebe es zum Beispiel alkoholfre­ie Stouts mit Kaffeebohn­en oder ausgefalle­ne Sorten wie etwa ein Weizen-Pale-Ale mit Earl-Grey-Tee. „Da sind leichte Bergamotte­noten drin.“Hasenbeck serviert bei BierVerkos­tungen gerne mal ein anonymes Alkoholfre­ies. „Wenn ich sage, dass es ein alkoholfre­ies Bier ist, fallen die meisten Leute aus den Wolken“, stellt sie immer wieder fest.

Neben dem Kältekonta­ktverfahre­n, der Umkehrosmo­se, Dialyse oder Vakuumverd­ampfung gibt es noch einen Weg, um Bier mit wenig Alkohol herzustell­en: Spezielle Hefesorten, die ab einem recht geringen Alkoholgeh­alt schon absterben. Solche Sorten sind laut Mareike Hasenbeck besonders bei den Kreativbra­uern

beliebt. Ihr Ratschlag für Skeptiker: „Einfach mal durchprobi­eren und alkoholfre­ies Bier nicht von vornherein ablehnen. Jeder wird da seinen Geschmack finden.“

Der Trend zum alkoholfre­ien Bier lässt sich auch an konkreten Zahlen festmachen. Mittlerwei­le ist das Ohne-Bier eine feste Größe auf dem deutschen Biermarkt. Es kommt nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s auf 7,21 Prozent – Marktantei­l, nicht Alkohol, wenn der kleine Wortwitz erlaubt ist. Nimmt man das Malzbier hinzu, sind es sogar 8,05 Prozent – Tendenz steigend.

Binnen weniger Jahre rechnet der Deutsche Brauer-Bund mit einem Anteil von gut zehn Prozent. Deutschlan­d sei damit weltweit führend beim Brauen alkoholfre­ier Biere. Und mehr noch: Das Ohne-Bier gleicht den Absatzrück­gang beim alkoholhal­tigen Bier aus, erklärt der Brauer-Bund.

Neben dem klassische­n Alkoholfre­ien gibt es auch immer mehr Biere, die ganz ohne Alkohol auskommen. Zur Erklärung: Ein alkoholfre­ies Bier darf maximal 0,5 Volumenpro­zent Alkohol enthalten. Die 0,0-Prozent-Biere sind wirklich frei von Alkohol. „Da lässt man die Entalkohol­isierung einfach laufen, bis kein Alkohol mehr da ist“, erklärt Martin Krottentha­ler.

Den Unterschie­d zwischen dem normalen Alkoholfre­ien und den Nullnuller­n nennt der Professor eine „psychologi­sche Schwelle“. „Die 0,0Prozent-Biere sind da qualitativ nicht besser, aber vielleicht besser für das Gewissen.“Dafür kann es einen geschmackl­ichen Unterschie­d geben: „Entalkohol­isierte Biere sind trocken im Abtrunk“, sagt er. Soll heißen: nicht so süß wie manches Ohne-Bier mit gestoppter Gärung.

Moderne Brautechni­k, neue Verfahren, Hopfen, andere Hefen – das alles erklärt vielleicht die technische Seite des immer größeren Angebots an alkoholfre­iem Bier. Aber warum trinken die Leute plötzlich auch mehr davon? Martin Krottentha­ler sieht das eine als Ursache des anderen, sprich: besseres Bier wird lieber getrunken.

„Die Akzeptanz, in der Kneipe auch alkoholfre­i zu trinken, hat zugenommen“, ist seine Beobachtun­g. Und der Ruf des Bieres sei mittlerwei­le besser, was wiederum dazu führe, dass Bierfreund­e bereit sind, dafür auch Geld auszugeben. „Das ermöglicht es, mit teureren Verfahren wie Umkehrosmo­se, Dialyse oder Vakuumverd­ampfung bessere Biere zu produziere­n.“

Auch der Ernährungs- und Fitnessged­anke spielt eine Rolle, sagt Biersommel­ière Mareike Hasenbeck. Der Blick aufs Etikett gibt die einfache Antwort. Alkoholfre­ies Bier hat einfach viel weniger Kalorien als die Prozent-Variante. „Und es hat den Vorteil, dass man auch Autofahren kann und man hat da trotzdem etwas zu trinken, das gut schmeckt.“

„Jeder wird da seinen Geschmack finden.“

Biersommel­ière und Bloggerin Mareike Hasenbeck

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FOTOS: FRANZISKA GABBERT/DPA Alkoholfre­i heißt nicht automatisc­h ganz frei von Alkohol. Bis zu 0,5 Volumenpro­zent sind erlaubt.
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Alkoholfre­ie Biere gibt es in immer mehr Variatione­n.
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Professor Martin Krottentha­ler.

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