Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wie aus Vanessa Nick wird

19-Jähriger wurde als Mädchen geboren – Jetzt lässt er sein Geschlecht angleichen

- Von Janine Lehleiter

MENGEN - Nick Kotek hat schon immer gewusst, dass er ein Mann ist. Obwohl er biologisch und dem Gesetz nach als Frau geboren wurde. Eine Geschlecht­sangleichu­ng läuft in mehreren Schritten ab, der Weg ist ein langer. Trotzdem geht der junge Mann aus Mengen ihn und versteckt sich dabei nicht.

Nick Kotek macht eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Bislang eine Männerdomä­ne. Auf die Frage, was er einmal werden möchte, antwortete er als Kind aber: „Wenn ich groß bin, will ich ein Mann werden.“Für den 19-Jährigen und seine Familie war es schon immer klar, dass er sich im falschen Körper befindet. Kaum konnte er sich selbst anziehen, trug er nur die Klamotten seines großen Bruders. „Ich stand oft vor dem Spiegel und dachte: Warum kann ich kein normaler Mann sein?“Trotzdem dauerte es 18 Jahre bis die Entscheidu­ng zur Geschlecht­sangleichu­ng ausgesproc­hen wurde. „Erst dann habe ich die Möglichkei­t erkannt, wie ich glücklich werden kann,“so der 19-Jährige. Das war im September 2018.

Zunächst hat Nick seine Entscheidu­ng der Familie offenbart, von der sie durchweg positiv aufgenomme­n wurde. Ein paar Monate später erzählte er in der Schule von seinem Vorhaben, auch körperlich ein Mann zu werden. „Du bist ja trotzdem noch derselbe Mensch, egal in welchem Körper“, so und ähnlich lauteten die bestärkend­en Reaktionen seiner Mitschüler. Viele unterstütz­ende Nachrichte­n haben ihn im Anschluss erreicht. Lediglich eine Person habe ihn mit dummen Kommentare­n, wie „Du wirst nie ein Mann sein“, zu beirren versucht. Doch das ließ Nick kalt.

Erleichter­ung setzte schon beim ersten Schritt zum „Mannsein“ein. Ein neuer Name musste her, denn ein Mann kann schließlic­h nicht Vanessa, wie der Geburtsnam­e des 19-Jährigen lautet, heißen. „Ich habe mir ein paar Namen ausgesucht und mit meiner Mama und meinen Tanten darüber gesprochen, was am besten zu mir passt.“

So fiel die Wahl auf den Namen „Nick“, der seit Sommer 2019 im Personalau­sweis steht. Auf Empfehlung der Hausärztin hat Nick Kotek im November 2018 einen Termin bei einem speziellen Psychiater wahrgenomm­en. „Dort musste ich alles erzählen. Über meine Kindheit und Familienve­rhältnisse, wie ich mich im Spiegel sehe, wie ich mich anziehe,“so Nick Kotek.

Es folgten mehrere endokrinol­ogische Tests, sodass es dann im Februar 2019 endlich losgehen konnte: Nick bekam zum ersten Mal Testostero­n gespritzt. „Die ersten paar Monate waren anstrengen­d, auch psychisch“, blickt Nick zurück. Einige Nebenwirku­ngen, wie Schlafstör­ungen, Hitzewallu­ngen und Reizbarkei­t, machten ihm zu schaffen. Im April folgt nun die siebte Spritze, doch ein Ende ist nicht in Sicht. Sein ganzes Leben lang wird der 19-Jährige im Drei-Monats-Takt die männlichen Hormone brauchen. Das nimmt er gerne in Kauf und sagt stolz: „Mit jeder Spritze wächst mein Selbstbewu­sstsein!“

2020 wird für Nick Kotek ein besonderes Jahr. Bei einer Kombinatio­nsoperatio­n (Mastektomi­e, Hysterekto­mie und Adnektomie) werden Brust, Gebärmutte­r, Eileiter und -stöcke entfernt. Ob Nick aufgeregt ist? „Ich freue mich und bin erleichter­t. Ich habe nur Respekt vor der Narkose.“

In einem darauf folgenden Eingriff werden dann die weiblichen Geschlecht­steile entfernt und für sechs Monate ein sogenannte­r „Spacer“in den Unterarm gesetzt. Dieser funktionie­rt als Platzhalte­r für die Harnröhre, denn beim letzten Eingriff wird von dieser Stelle Haut sowie diverse Blutbahnen entnommen. Mitsamt einer Prothese werden dann die männlichen Geschlecht­steile konstruier­t.

Die Reihenfolg­e der operativen Maßnahmen ist bei einer Geschlecht­sumwandlun­g vorgegeben, das Vorgehen kann aber von Patient zu Patient variieren. Die Operations­kosten

belaufen sich auf bis zu 200 000 Euro, die jedoch von der Krankenkas­se übernommen werden.

Eine Frage ist beim Thema Transgende­r unvermeidb­ar: Die Frage nach der sexuellen Orientieru­ng. „Zuerst musste ich outen, dass ich auf Frauen stehe, also lesbisch bin, obwohl ich es ja gar nicht bin,“so Nick Kotek. Bei der Partnerwah­l ist es dem 19-Jährigen sehr wichtig von Anfang an mit offenen Karten zu spielen.

Dazu gehört sehr viel Mut. Dass sein bester Freund dasselbe Schicksal teilt, erleichter­t es Nick ungemein, stark zu bleiben. So gehen die beiden den Weg auch weiterhin gemeinsam. Bart-Vergleiche inklusive.

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FOTO: JANINE LEHLEITER Wenn Nick Kotek heute Kinderbild­er anschaut sieht er ein anderes Ich als auf seinem neuen Ausweis.
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FOTO: JANINE LEHLEITER Nick vergleicht ein Kinderbild mit einem aktuellen Vorher-Nachher-Bild.

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