Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Röttgen schiebt das Personalkarussell an
Der frühere Umweltminister bewirbt sich überraschend für den CDU-Parteivorsitz
BERLIN (dpa/sz) - Ex-Umweltminister Norbert Röttgen hat völlig überraschend seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz angekündigt. Der 54-Jährige überraschte damit die bisherigen Favoriten, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Auch durchkreuzte Röttgen die Pläne der scheidenden Parteichefin Annegret KrampKarrenbauer, die bei der Suche nach einem Nachfolger die Fäden in der Hand behalten und Kampfkandidaturen vermeiden wollte.
Röttgen hatte Kramp-Karrenbauer erst am Morgen über seine Pläne informiert. In seiner Pressekonferenz mahnte er eine Entscheidung über den Parteivorsitz bis zum Sommer und eine Klärung der Kanzlerkandidatur zusammen mit der CSU bis zum Jahresende an. Angela Merkel solle bis zum Ende der Wahlperiode 2021 Kanzlerin bleiben. Es gehe jetzt nicht allein um eine Personalentscheidung für den Parteivorsitz. „Es geht um die politische – also personelle und inhaltliche – strategische Positionierung der CDU“, sagte Röttgen. „Es geht um die Zukunft
der CDU. Und es geht um die christlich-demokratische Idee von der Zukunft unseres Landes.“Davon habe er zuletzt wenig gehört. „Und darum kandidiere ich.“
Als aussichtsreiche Aspiranten für den CDU-Vorsitz waren Laschet, Merz und Spahn gehandelt worden. Aus dem Umfeld von Merz hatte es geheißen, dass er zur Kandidatur entschlossen sei. Eine offizielle Bewerbung gibt es von ihm bislang aber ebenso wenig wie von Laschet und Spahn. Am Dienstag sprach Kramp-Karrenbauer gut eine Stunde mit Merz, heute folgen Gespräche der Noch-Parteichefin mit den beiden anderen Favoriten Laschet und Spahn.
Röttgen schob somit das Personalkarussell an. Bislang sind alle vier denkbaren Parteichefs männlich und kommen aus NordrheinWestfalen. Weitere Kandidaturen erscheinen nun wahrscheinlicher. Die Chancen auf eine Teamlösung, zuletzt von Spahn und Laschet ins Gespräch gebracht, schrumpfen. Röttgen sagte dazu: „Alle sind immer für Team, ich auch.“Er habe aber den Verdacht, dass in diesem Falle das Team dazu dienen solle, die Interessen Einzelner unter einen Hut zu bringen.
BERLIN - „Ich glaube, gelernt zu haben“, sagte Norbert Röttgen am Dienstag. Beinahe acht Jahre sind vergangen seit seinem Absturz. Der heute 54-Jährige galt bis 2012 als Mann der Zukunft in der CDU. „Muttis Klügster“wurde Angela Merkels früherer Umweltminister genannt.
Doch dann greift Röttgen nach der Macht in Nordrhein-Westfalen – und versemmelt es, weil er sich den Job in Berlin warm halten will. Die Landtagswahl geht krachend verloren, CSU-Chef Horst Seehofer schreibt mit seiner „Sie-können-dasalles-senden“-Abrechnung mit „dem Röttgen“Fernsehgeschichte. Und die Kanzlerin tut etwas Einmaliges in ihrer Amtszeit. Sie entlässt den Juristen. Röttgens Karriere scheint zu Ende.
Nun will er an die Spitze: Röttgen, längst anerkannter Außenpolitiker seiner Fraktion, hat am Dienstagvormittag in Berlin seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz öffentlich gemacht. Am Morgen informierte er zuerst Noch-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) per Mail, kurz darauf trat er mit einem „Sechs-Punkte-Plan“vor die Journalisten. „Es geht bei Weitem nicht nur um eine Personalentscheidung um den Parteivorsitz. Sondern es geht um die politische, personelle und inhaltliche, strategische Positionierung der CDU. Es geht um die Zukunft der CDU“, sagte er.
Diese Worte sind eine Abrechnung mit der aktuellen Kandidatensuche und den Spekulationen um ein „Team“der drei NRW-Aspiranten Friedrich Merz, Armin Laschet und Jens Spahn. AKK will bis Mittwoch mit allen dreien vertraulich in VierAugen-Runden sprechen und am Rosenmontag ihren Fahrplan für die eigene Nachfolge vorstellen. „Das Verfahren hat mich nicht überzeugt“, sagte der NRW-Mann Röttgen und kritisierte, dass er noch nichts Inhaltliches von den möglichen Kandidaten (die ihren Hut noch immer nicht in den Ring geworfen haben) gehört habe. „Ich glaube, das ist so ein bisschen wie eine Jacke: Wenn man schon am ersten Knopf falsch knöpft, wird das so nichts mehr“, erklärte Röttgen. Der bisherige Plan von AKK, den CDU-Chef erst im Dezember zu wählen? „Unvorstellbar.“Sein
Vorschlag: Zuerst eine CDU-Mitgliederbefragung, dann ein Parteitag weit vor der Sommerpause mit Wahl eines Vorsitzenden. Und dann eine Entscheidung über den Kanzlerkandidaten, der nach der Bundestagswahl 2021 Angela Merkel als Kanzler ablösen soll. Eine vorzeitige Ablösung wolle er nicht. „Die Bundeskanzlerin ist gewählt und wird auch nach meiner Einschätzung und meinem Willen bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben“, sagte Röttgen. Zumal die Lage in der Welt „ziemlich ernst“sei.
Bei der Münchener Sicherheitskonferenz habe ihn jeder ausländische Gesprächspartner gefragt, was in der CDU los sei, sagte der Außenpolitiker. Röttgen sprach die Offensive der syrischen Armee auf Idlib und prangert Kriegsverbrechen russischer Verbündeter an – und beschwor, dass die Politik schon jetzt über absehbare Folgen wie zusätzliche syrische Flüchtlinge in der Türkei sprechen müsse.
Sowieso will Röttgen die Partei sprechen lassen: In seinem „SechsPunkte-Plan“fordert er einen Deutschland-Dialog zwischen Ost und West, eine Debatte über Migration, Gespräche über die technologischen Umwälzungen in der Gesellschaft, über Europa, den Klimaschutz und über Werte. Die CDU müsse „die Fenster öffnen“für diese Diskussionen und wieder ein „Ort der Politik“werden. Auch, um im Dialog die Menschen zurückzugewinnen, die aus „Angst“vor der Zukunft die AfD gewählt hätten. Das ist dann doch eine klare Abgrenzung zu Angela Merkel. Eine weitere kommt bei der Frage nach dem Umgang mit AfD und Linkspartei. In beide Richtungen will Röttgen die CDU zwar deutlich abgrenzen. Aber aus unterschiedlichen Gründen: Bei der AfD gehe es sowohl um die Abgrenzung von der Partei als auch von Sprache und Gedankengut. Und dies müsse man auch den eigenen Leuten erklären: „Nicht im Stile einer Belehrung, sondern im Dialog“, sagte Röttgen und meinte damit den Hinweis Merkels, die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten sei „rückgängig“zu machen. Von der Linkspartei fordert Röttgen eine Distanzierung von Extremisten, kritische Worte zu Wladimir Putins Krieg in Syrien und eine Aufarbeitung der SED-Geschichte.
Röttgen setzte an diesem Dienstag viele inhaltliche Ausrufezeichen, riss die Debatte um den Parteivorsitz an sich. Ob er diese bei einer Wahl in Mehrheiten ummünzen kann, bleibt offen. Eine Hausmacht hat er in der CDU bislang nicht. Ob er aus 2012 gelernt hat, wird sich zeigen, wenn die Partei ihren neuen Vorsitzenden kürt.