Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Lambrecht kämpft gegen Hass im Netz
Warum die Bürgermeisterin von Kutzenhausen bei Augsburg nach zwölf Jahren ihr Amt aufgibt
BERLIN (KNA) - Nach dem Schlag gegen mutmaßliche Rechtsterroristen hat Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) die geplanten Gesetzesverschärfungen im Kampf gegen Hass im Netz verteidigt. Der Fall zeige erneut, wie Extremisten sich zusammenschließen, um die Demokratie zu attackieren, so Lambrecht. Die Radikalisierung käme nicht aus dem Nichts. An diesem Mittwoch wird sie das umstrittene Gesetzespaket gegen Hass im Netz ins Kabinett einbringen.
RAVENSBURG - „Verrecken sollst Du lieber heute als morgen, dich vermisst eh keiner.“Die Drohung an Silvia Kugelmann kam per Brief ins Haus, ohne Absender. Im Jahr 2016 war das, die Bürgermeisterin von Kutzenhausen (Landkreis Augsburg) hatte da gerade einen Brief an die Bürger geschrieben, in dem sie um Unterstützung für einen Asylhelferkreis bat. „Dabei war die Stimmung gegenüber Flüchtlingen im Ort auf allen Veranstaltungen eigentlich positiv“, sagt die 53-Jährige. Und dann dieser Hass.
Vor zwölf Jahren wurde Silvia Kugelmann für eine unabhängige Wählergruppe ins Rathaus der schwäbischen 2500-Einwohner-Gemeinde gewählt. Anfeindungen erlebte sie von Anfang an, doch über die Jahre sei der Ton noch rauer geworden. Kugelmann ist insofern eine Ausnahme, als sie darüber auch öffentlich spricht. Viele ihrer Amtskollegen tun das nicht. Weil es ein schlechtes Licht auf die Gemeinde werfen könnte. Oder weil es dann heißt, der Bürgermeister sei wohl nicht beliebt. Oder weil sie Angst haben, weiteren Angriffen ausgesetzt zu werden. Viele Betroffene schweigen deswegen lieber als zu berichten, was mit ihnen passiert.
Doch die Zahlen der Kommunalverbände sprechen für sich. In Bayern sind vier von fünf Bürgermeistern während ihrer Amtszeit bereits Opfer anonymer Beleidigungen geworden, diese Zahlen aus einer nicht repräsentativen Umfrage hat der Bayerische Städtetag vergangene Woche vorgestellt. In Baden-Württemberg hieß es schon 2017 bei einer Befragung, dass 60
Prozent der Städte und Gemeinden eine
Zunahme aggressiven Verhaltens gemeldet hätten. Dabei gebe es kaum Unterschiede zwischen Ballungsräumen und ländlichen Gebieten. Als eine Tätergruppe nannte der Gemeindetag sogenannte Reichsbürger – Menschen, die die staatlichen Institutionen in Deutschland nicht anerkennen und bei denen es oft Überschneidungen mit rechtsextremem Gedankengut gibt. Unter der Überschrift „Täter“listet der Gemeindetag außerdem auf: Migranten. Sozial Schwache. Männer. Rentner.
Auch Silvia Kugelmann hat die Erfahrung gemacht, dass längst nicht alle Anfeindungen aus der rechtsextremen Ecke kommen. Im Gegenteil, abgesehen von den Schreiben im Zusammenhang mit dem Asylhelferkreis wertet sie die Aggression als eher unpolitisch. „Beispielsweise soll ein neues Baugebiet ausgewiesen werden. Da gibt es dann Leute, die sagen, ich will nicht, dass meine Aussicht verbaut wird. Und die versuchen dann mit allen Mitteln dagegen zu arbeiten, die haben eine Forderungshaltung,
schimpfen und drohen sofort mit dem Rechtsanwalt.“Klar haben die Leute auch früher schon gemeckert. „Aber diese Hemmungslosigkeit, die gab es vor zwölf Jahren, als ich Bürgermeisterin wurde, so noch nicht.“Fragt man Silvia Kugelmann nach den Gründen, spricht sie von „gesellschaftlicher Verwahrlosung und einem Werteverfall“. Aber so richtig erklären kann sie sich auch nicht, was da aufgebrochen ist.
Zumal es nicht bei Pöbeleien blieb. Unbekannte steckten ihr einen
Nagel in den Autoreifen; bei Tempo 160 auf der Autobahn bemerkte sie plötzlich einen nachlassenden Reifendruck. Ein anderes Mal war ihr Auto nach der Gemeinderatssitzung komplett mit Katzenkot beschmiert. Und in wieder einem anderen Fall hatten Unbekannte mehrere mit großen Schrauben gespickte Metallteile über die Hecke in den Vorgarten geworfen, einige der Teile blieben in den Obstbäumen hängen, berichtet Kugelmann. „Wenn Sie das nicht bemerken und wollen dann im Herbst die Pflaumen vom Baum schütteln, und dann kommt Ihnen so ein Metallteil entgegen, dann geht das nicht ohne Verletzungen ab.“
Wer das getan hat und warum – Silvia Kugelmann weiß es nicht. Aber es wurde immer mehr zur Belastung, nicht nur für sie. Die Anonymität, aus der heraus die Taten verübt wurden, die habe ihre ganze Familie verunsichert. Deswegen begrüßt sie es, wenn es Hetzern nun zumindest im Internet erschwert werden soll, die Identität zu verschleiern. Gegen KotSchmierer und Metallteil-Werfer hilft der Vorstoß aber auch nicht.
In Bayern stehen im März Kommunalwahlen an. Silvia Kugelmann wird nicht noch einmal als Bürgermeisterin kandidieren. Um ihre Nachfolge bewerben sich zwei Kandidaten. Die Anfeindungen gegen sie seien im Wahlkampf nicht zur Sprache gekommen, sagt Kugelmann. Sie selbst habe ihre beruflichen Wurzeln in der Kunst und Kultur, in diesen Bereich wolle sie zurückkehren.
Kutzenhausen bleibe ihr Zuhause, trotz Pöbeleien und Angriffen anonymer Mitbürger, sagt die scheidende Bürgermeisterin. „Man weiß nicht, ob man gerade mit demjenigen am Tisch sitzt, der Ihnen das angetan hat. Damit kann man leben, wenn man vieles in Stärke umwandeln kann. Aber man zieht seine Konsequenzen. Man ist nicht mehr so offen.“