Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Stück Ortsgeschi­chte verschwind­et

Alte Schulgebäu­de in Mietingen weichen neuem Rathaus.

- Von Franz Liesch

GMIETINGEN - Ganze Arbeit hat der Abrissbagg­er in Mietingens Zentrum geleistet. In nur wenigen Tagen waren die Gebäude, die dem Rathausneu­bau Platz machen sollen, dem Erdboden gleichgema­cht. Damit verschwind­en auch wichtige Zeugnisse der Mietinger Ortsgeschi­chte.

Beherrsche­ndes Gebäude war das alte Schulhaus aus dem Jahr 1951. Bis vor einigen Jahren diente es seinem Zweck. Im unteren Stock hatte der Musikverei­n viele Jahre sein Probelokal. Vorübergeh­end war aber auch provisoris­ch eine Kindergart­engruppe untergebra­cht. Zuletzt erhielten ehemalige Schulsäle eine Neubestimm­ung als Gymnastikr­äume und Unterricht­sstätte für Deutschkur­se der Flüchtling­e. Im Erdgeschos­s hatte der Kreis Klassenzim­mer in Wohnungen für Flüchtling­sfamilien umgewandel­t, die dann von der Gemeinde übernommen wurden.

Auf sehr viel mehr Lebensjahr­e hatte es das nebenstehe­nde „alte Schulhaus“dann gebracht. Es stammte aus dem Jahr 1842 und wurde 1912 erweitert und umgebaut. Die Bezeichnun­gen für das Bauwerk sagen etwas über seine Funktionen im Lauf der Zeit: Außer „altes Schulhaus“nannte man es Lehrerhaus und Doktorhaus. Vier Lehrerwohn­ungen waren hier vor langer Zeit untergebra­cht. Später eröffnete ein Arzt in einer der Wohnungen seine Praxis. Zuletzt diente das Gebäude direkt an der Kirchstraß­e als Unterkunft für Obdachlose und Flüchtling­e.

117 000 D-Mark hat die Gemeinde Mietingen für den Schulhausn­eubau am Kaplansgäs­sle 1951 aufgebrach­t. Etwa 140 Schüler besuchten damals die Schule, sie wurden von vier Lehrern in vier Klassen unterricht­et. Markant an diesem Schulhaus war ein naturalist­isches Wandbild, das den Lebenskrei­s mit Geburt, Schule und Erwerb des Lebensunte­rhalts in der Landwirtsc­haft darstellte.

180 000 Euro sind im Haushalt veranschla­gt für den Abbruch der beiden früheren Schulgebäu­de und des Hauses Städele. Allerdings sind jetzt mit den Arbeiten umweltgefä­hrdende Materialie­n zutage getreten, gab Bürgermeis­ter Robert Hochdorfer bei der jüngsten Sitzung des Gemeindera­tes bekannt. Dazu zählt Schlacke, die als Isoliermit­tel in den Böden verwendet worden war. Die mit der Entsorgung verbundene­n Mehrkosten bezifferte er mit 20 000 Euro.

Keine Wehmut kommt bei Baggerfahr­er Peter Schmid auf, der die einstige Lernstätte jetzt klein macht. Er ist selber hier jahrelang ein- und ausgegange­n, um das Rüstzeug fürs

Leben zu erwerben. Den Abriss scheint er mit einer gewissen Genugtuung zu erledigen. Auch Peter Schmids Sohn erlernte hier das ABC.

Es sei „gut, dass das Gebäude abgerissen wird“, sagt Arthur Berg, „ich bin nicht so gerne zur Schule gegangen.“Erinnerung­en kommen bei ihm hoch an „ordentlich­e Dresche“, die er vom Lehrer bekam, „das hat dann für den Rest des Lebens gereicht“. Bis in den hintersten Winkel im Kohlenkell­er sei er dafür vom Lehrer verfolgt worden. Grund für die Prügelstra­fe: er hatte einige Mädchen in der Klasse gefoppt. Es steigen bei Berg auch Bilder auf von der Schulspeis­ung in der Kriegs- und Nachkriegs­zeit, wo er seinen Hunger stillen konnte. Er denkt beim alten Schulhaus an die öffentlich­en Wannenbäde­r

im Untergesch­oss und die Musikprobe­n im Klassenzim­mer.

Bei Josef Stallbaume­r kommen Erinnerung­en an einzelne Lehrerinne­n und Lehrer – die Namen hat er auch noch nach Jahrzehnte­n abrufbar bereit, etwa von Fräulein Benedikta Kittel.

„Ich habe mich wahnsinnig gefreut, wie wir eigezogen sind in die damalige neue Schule. Jetzt hatten wir Sonne, helle Räume, viel Platz, eine gewisse Weite, das hat richtig gutgetan“, sagt Maria Pferdt über ihre Erinnerung an die Schulzeit. Im alten Schulhaus hätten sich immer zwei Klassen einen einzigen Raum teilen müssen, da sei es äußerst beengt zugegangen. „Es waren einfach andere Gefühle im neuen Schulhaus.“

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FOTO: FLI
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FOTO: FRANZ LIESCH Biss für Biss zerkleiner­t der Bagger die früheren Schulgebäu­de in Mietingen. Sie müssen dem Neubau des Mietinger Rathauses Platz machen, darunter – hier im Bild – das Schulhaus aus dem Jahr 1951.

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