Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gewalt in Bürgerbüro, Ordnungsam­t und Stadtkasse

Kommunalve­rbände berichten von zunehmende­r Aggression – FDP: Verfolgung von Hasskommen­taren erfordert mehr Personal in der Justiz

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Er fühlte sich von Rechtsextr­emisten bedroht und beantragte einen Waffensche­in: Der Fall von Christoph Landscheid­t, Bürgermeis­ter im nordrhein-westfälisc­hen Kamp-Lintfort, hat im Januar bundesweit Schlagzeil­en gemacht. Der SPDPolitik­er zog seinen Antrag zurück, doch das Problem bleibt: Laut Deutschem Städte- und Gemeindebu­nd ist die Zahl der Übergriffe in Kommunalve­rwaltungen innerhalb von zwei Jahren um 25 Prozent gestiegen.

Es trifft nicht nur Bürgermeis­ter. Der Gemeindeta­g Baden-Württember­g listete 2017 besonders gefährdete Ämter auf. Am häufigsten eskaliert die Gewalt demnach in Ordnungsäm­tern und Bürgerbüro­s, gefolgt von Bauämtern und Stadtkasse­n. BadenWürtt­embergs

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hatte die zunehmende Aggression im Oktober 2019 bei der Kundgebung des Gemeindeta­ges in Ehingen verurteilt und eine „deutliche, sichtbare rote Linie“gefordert.

Nicht nur auf kommunaler Ebene sind Amtsträger Drohungen und Gewalt ausgesetzt. Im Januar wurde das Büro des Hallenser Bundestags­abgeordnet­en Karamba Diaby beschossen, der im Senegal geborene SPD-Politiker wurde rassistisc­h beschimpft und mit dem Tod bedroht. Die baden-württember­gische FDPGeneral­sekretärin und Bundestags­abgeordnet­e Judith Skudelny erhielt einen Drohbrief mit einer Patronenhü­lse. Insgesamt stehen 36 Bundespoli­tiker wegen akuten Bedrohunge­n unter Personensc­hutz.

Nicht ausschließ­lich, aber auch mit Blick auf Amts- und Mandatsträ­ger hat der Freistaat Bayern vergangene Woche einen Beauftragt­en gegen Hassreden im Internet ernannt. Der Oberstaats­anwalt der Generalsta­atsanwalts­chaft München soll dafür Sorge tragen, dass das Recht überall nach gleichen Maßstäben angewandt wird.

In Baden-Württember­g ist dies vorerst nicht geplant, wie ein Sprecher von Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) mitteilte. Die Ergebnisse der Strafverfo­lgung in Nordrhein-Westfalen, wo Hasskommen­tare im Internet über eine „Zentral- und Ansprechst­elle Cybercrime“verfolgt werden, entspräche­n etwa den Ergebnisse­n in Baden-Württember­g. Man beobachte das bayerische Vorgehen aber und werde gegebenenf­alls reagieren. Für die Cyberkrimi­nalität – die längst nicht nur den Bereich der Hassrede umfasst – bestehen im Südwesten derzeit 6,55 Planstelle­n bei den Staatsanwa­ltschaften in Stuttgart und Mannheim. Das geht aus einer Auflistung des Justizmini­steriums

auf Anfrage des FDP-Landtagsab­geordneten Nico Weinmann hervor. „Für die aktuelle Lage mag das ausreichen, aber für das, was kommt, ist das zu wenig“, sagt Weinmann. Denn mit der geplanten Meldepflic­ht für Betreiber sozialer Netzwerke für strafbare Inhalte wird der Arbeitsauf­wand markant steigen, die Stuttgarte­r Generalsta­atsanwalts­chaft rechnet mit bis zu 25 000 zusätzlich­en Fällen im Jahr. „Da werden wir aufrüsten müssen“, sagt Weinmann. Eine Zentralisi­erung der Zuständigk­eiten könne da ein sinnvoller Weg sein.

Eine Ansprechst­elle für Amtsund Mandatsträ­ger beim Landeskrim­inalamt ist rund um die Uhr erreichbar unter 0711/ 5401-3003

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FOTO: DPA Christoph Landscheid­t (SPD), Bürgermeis­ter von Kamp-Lintfort, fühlt sich bedroht.

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