Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Seligsprec­hungsverfa­hren soll gestoppt werden

Hochrangig­e Vertreter aus Wissenscha­ft, Kirche und Judentum kritisiere­n Pläne des Vatikans

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FRANKFURT (KNA) - Kann man einen so umstritten­en Papst wie Pius XII. seligsprec­hen? Hat der „Engelspaps­t“angesichts schlimmste­r NSVerbrech­en versagt? Am Montagaben­d wurde bei einer Podiumsdis­kussion in Frankfurt mit hochrangig­en Vertretern aus Wissenscha­ft, Kirche und Judentum eine zentrale Forderung laut: das seit Jahrzehnte­n laufende Seligsprec­hungsverfa­hren für Pius XII. zu stoppen oder zumindest auszusetze­n.

Papst Franziskus hatte vor einem Jahr angekündig­t, die Dokumente der vatikanisc­hen Archive am 2. März 2020, dem 81. Jahrestag der Papstwahl Eugenio Pacellis zu Papst Pius XII., für die Forschung zugänglich zu machen. Dann werden „mehr als 200 000 archivalis­che Einheiten – Schachteln, Boxen und Mappen – von jeweils bis zu 1000 Blatt Umfang“zugänglich sein, so der Münsterane­r Kirchenhis­toriker Hubert Wolf.

Der Kirchenhis­toriker war einer der Teilnehmer auf dem Podium zum Thema „Neues über Pius XII. und die Shoah?“Wolf erregte Aufsehen mit einem Satz: „Seit 1965 läuft ein Seligsprec­hungsverfa­hren für Pius XII., das bis zur gründliche­n Auswertung der jetzt neu zugänglich­en Bestände gestoppt werden sollte.“Dies verlange „der Respekt vor unseren jüdischen Freunden“.

Mit auf dem Podium saß der Beauftragt­e der katholisch­en deutschen Bischöfe für die religiösen Beziehunge­n zum Judentum, der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr. Er sagte: „Da würde ich mich dem Votum von Professor Wolf anschließe­n, auf jeden Fall zu warten, bis die Ergebnisse der Archivsich­tung vorliegen.“Neymeyr verwies auf Beispiele von Bistümern, die solche Verfahren eingestell­t hätten, nachdem antijüdisc­he Predigten oder Publikatio­nen des Betroffene­n bekannt geworden seien.

Der Historiker von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, Johannes Heil, wies darauf hin, dass Päpste immer politisch handeln müssten. Als Kandidaten für Seligund Heiligspre­chungen seien sie daher „eher ungeeignet“.

Papst Pius XII., der 1958 starb, galt noch Jahre nach seinem Tod zahlreiche­n Gläubigen als „Engelspaps­t“. Er habe sich in der NS-Zeit die Maxime „Retten statt Reden“zu eigen gemacht und damit etwa 80 Prozent der römischen Juden vor dem Tod bewahrt, so seine Verteidige­r.

Doch 1963 wurde das Bild durch Hochhuths Stück „Der Stellvertr­eter“nachhaltig erschütter­t. „Die Vorstellun­g, dass ausgerechn­et der Stellvertr­eter Jesu Christi auf Erden angesichts der schlimmste­n Verbrechen der Menschheit­sgeschicht­e versagt haben könnte, erschütter­te das Selbstvers­tändnis der Institutio­n katholisch­e Kirche zutiefst“, so Wolf.

Auch der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, fragte in Frankfurt: „Wie erklärt sich das große Schweigen der katholisch­en Kirche zum Massenmord an den Juden während der Shoah?“Unklar sei auch, inwieweit das Kirchenobe­rhaupt NS-Täter nach dem Krieg bei ihrer Flucht über die „Rattenlini­en“unterstütz­t habe. So bezeichnet man die Fluchtrout­en von Nationalso­zialisten nach Südamerika am Ende des Krieges. Unter anderen sollen der Holocaust-Organisato­r Adolf Eichmann und KZ-Arzt Josef Mengele auf diesem Weg nach Argentinie­n gereist sein.

Das Seligsprec­hungsverfa­hren für Pius XII. sieht auch Schuster sehr kritisch. Eine Fortsetzun­g des Verfahrens „ohne umfassende Kenntnisse“aus der nun anstehende­n Archivöffn­ung würde bedeuten, dass das Verhältnis des Vatikan zum Judentum nur ein „Lippenbeke­nntnis“sei, so Schuster.

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