Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Aus dem Schatten der anderen

Biathletin Vanessa Hinz erreicht in Antholz ihre Bestform – und nicht unbedingt erwartet WM-Silber im Einzel

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ANTHOLZ (dpa/SID) - Vanessa Hinz fiel in den Schnee und schaute ungläubig auf die Anzeigetaf­el. Kurz durfte die Bayerin bei der Weltmeiste­rschaft im italienisc­hen Antholz sogar auf Gold im schwersten aller BiathlonRe­nnen hoffen, doch die Italieneri­n Dorothea Wierer schnappte der 27-Jährigen den Einzel-Titel wenig später noch vor der Nase weg.

Über die erste Medaille ihrer Karriere und das zweite Edelmetall für die deutschen Skijägerin­nen bei den Titelkämpf­en in der Südtirol-Arena freute sich Vanessa Hinz trotzdem überschwän­glich. „Ich kann es noch gar nicht richtig glauben. Ich zittere immer noch. Das ist so ein unglaublic­h schöner Tag für mich“, sagte sie und meinte: „Ich bin Vizeweltme­isterin, das fühlt sich verdammt geil an.“

Verfolgung­sweltmeist­erin Wierer lag am Dienstag nach den 15 Kilometern mit viermal Schießen lediglich 2,2 Sekunden vor Hinz, die wiederum 13,6 Sekunden Vorsprung vor SprintWelt­meisterin Marte Olsbu Röiseland aus Norwegen auf dem Bronze-Platz hatte. Die Italieneri­n und die Norwegerin kassierten jeweils zwei Strafminut­en, Hinz leistete sich nur einen Fehlschuss. Laura Dahlmeier bleibt damit die letzte deutsche Einzel-Weltmeiste­rin – die Inzwischen-Ex-Sportlerin siegte 2017 in Hochfilzen.

Franziska Preuß (zwei Fehlschüss­e) kam auf Rang fünf und lag 1:03,4 Minuten hinter der Siegerin. „Leider hat das erste Schießen nicht funktionie­rt. Im Moment überwiegt die Enttäuschu­ng“,

sagte sie. Die Verfolgung­szweite Denise Herrmann (vier Fehlschüss­e) wurde mit einem Rückstand von 1:40,9 Minuten Zwölfte. „Egal was bei mir war, für Vanessa freut es mich extrem“, sagte Herrmann. Karolin Horchler (drei Strafminut­en) wurde 26.

Die Einzel-Medaille ist für Vanessa Hinz neben ihren bisher drei StaffelGol­dmedaillen

nicht nur der persönlich­e Karriere-Höhepunkt, sondern auch die Bestätigun­g: Seht her, ich kann auch was! Denn sie hat sich mit dem Leben im Schatten der anderen arrangiert – arragieren müssen. Zu Zeiten von Laura Dahlmeier sprach alles nur über die Doppel-Olympiasie­gerin – selbst wenn diese mal schlechter und die anderen besser waren. Und jetzt steht meistens die frühere Langläufer­in Denise Herrmann im Fokus.

„Ich habe über die Jahre hinweg gelernt und mich daran gewöhnt, dass man nur an Medaillen gemessen wird“, sagte die gebürtige Münchnerin Hinz, für die vor allem wichtig ist, dass „ich sage: Ich bin mit meiner Leistung heute zufrieden, und ich habe das Optimale rausgeholt.“Letztlich allerdings mache sie das alles nur für sich: „Das ist ein Punkt, den man lernen muss – und den ich zum Glück auch irgendwann gelernt habe.“

Vor der WM hatte Vanessa Hinz nach ihren bisherigen Saisonerge­bnissen keine großen Erwartunge­n, vor allem läuferisch war sie nicht ganz vorne mit dabei. Da sei es für sie schon ein Volltreffe­r, dass sie zum Saisonhöhe­punkt mit Bestform aufwarten kann, sagte sie. Platz fünf in der Verfolgung fühlte sich für sie folglich an wie ein Sieg. Und nun: die Medaille.

Vanessa Hinz bezeichnet sich selbst als eine vielleicht etwas andere Sportlerin, weil „ich ein Familienme­nsch und Lebemensch nebenbei bin. Ich bin keine Über-Trainierer­in oder Stundenklo­pferin.“Stumpfes Training geht bei ihr nicht. „Aber ich kann schon den Berg hochfahren, wenn man mir sagt, ich krieg’ oben einen Kuchen“, erzählt sie mit einem verschmitz­ten Lachen. Einen Weg, sich bei der notwendige­n Schinderei selbst auszutrick­sen, hat sie auch: Sie belohnt sich – entweder mit einem kurzen Shopping-Trip oder: „Ich sage: ,Okay, bis dahin trainierst du, und dann darfst du in den Urlaub fahren.‘“

Vanessa Hinz hatte in ihrer Karriere auch viele Momente des Zweifelns, nach Rückschläg­en gibt es auch mal Tränen. Aber sie lernte, auch „die kleinen Dinge feiern zu können“. Ihr Motto jetzt: „Es ist nie etwas Schlechtes, wo nicht auch etwas Gutes mit dabei ist. So versuche ich zu leben.“Künftig als WM-Zweite von Antholz.

Angeführt von Titelverte­idiger Arnd Peiffer (Clausthal-Zellerfeld) streben die deutschen Biathleten bei der WM in Antholz im Einzel die erste Medaille an. Neben dem 32-Jährigen schickt der Deutsche Skiverband am Mittwoch (14.15 Uhr/ARD und Eurosport) im Klassiker über 20 Kilometer, bei dem jeder Fehlschuss mit einer Strafminut­e sanktionie­rt wird, Benedikt Doll (Breitnau), Philipp Horn (Frankenhai­n), Johannes Kühn (Reit im Winkl) und Philipp Nawrath (Nesselwang) an den Start.

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Treffsiche­r zu Einzel-Silber: Vanessa Hinz leistete sich bei 20 Schüssen nur einen Fehler.

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