Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Geteilte Meinungen zur Sterbehilfe
Das sagen Politiker, Kirchenvertreter und der Hospizleiter zum Verfassungsgerichtsurteil
BIBERACH - Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch das Gesetz zur Suizidbeihilfe gekippt. Das Gesetz, das 2015 verabschiedet wurde, verbot die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. Nach Auffassung der Verfassungsrichter widerspricht dieses Verbot dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Wie sehen Biberacher Politiker und Vertreter der Kirchen das Urteil? Was ändert sich dadurch für die Arbeit des Biberacher Hospizes Haus Maria? Die „Schwäbische Zeitung“hat nachgefragt.
Beide Bundestagsabgeordnete aus dem Biberacher Wahlkreis, Josef Rief (CDU) und Martin Gerster (SPD), hatten 2015 für das nun gekippte Gesetz gestimmt. Rief sieht das Urteil als „Zäsur“. „Ich habe Sorge, dass auf Schwerkranke nun zusätzlicher Druck ausgeübt wird und diese das Gefühl bekommen: ,Ich bin lebensunwert’“, sagt Rief. Er betont: „Das Leben eines Menschen ist einzigartig, jedes Leben ist wertvoll. Wenn wir daran rütteln, dann sind ganz andere Dinge denkbar, wie die Frage, ob teure Medikamente oder teure Maschinen bezahlt werden, um das Leben eines Menschen zu erhalten.“Aus christlicher Sicht gebe es kein Recht auf Selbstmord. „Schlimm wäre es, wenn durch die Diskussion der Wert eines menschlichen Lebens sinken würde.“Rief sieht das „aktive Zutun“kritisch und befürchtet, dass Sterbevereine daraus ein Geschäftsmodell machen und dafür werben. Er spricht sich dafür aus, aktive Sterbehilfe gesetzlich „in die richtige Richtung“zu bringen und „möglichst eng“zu fassen.
Ähnlich sieht es auch Martin Gerster. „Ich bin stark dagegen, dass gewinnorientierte Unternehmen dafür werben, dem Leben von Menschen gegen Geld vorzeitig ein Ende zu bereiten“, sagt Gerster. Um das zu verhindern, müsse der Bundestag Kriterien und Anforderungen für Sterbehilfe definieren. „Die Pflicht zur Aufklärung halte ich für wichtig, darüber hinaus eine Wartezeit. Niemand soll unter Druck gesetzt werden zu sterben. Auch Kriterien für diejenigen müssen festgelegt werden, die in der Sterbehilfe tätig sein dürfen. Es ist ja schon ein Unterschied, ob jemand einen Sterbenden begleitet oder dem Leben abrupt ein Ende bereitet.“Er betont: „Auf keinen Fall darf die Sterbehilfe aus dem Ruder laufen , dürfen dubiose Geschäftemacher damit Schindluder treiben. Das müssen wir verhindern.“
Für einen engen Rahmen der Sterbehilfe spricht sich der Biberacher CDU-Gemeinderat und Allgemeinarzt Herbert Pfender aus. „Es soll nicht so sein, dass sich die Sterbehilfe zum Geschäftsmodell entwickelt.“Er fordert für Patienten eine intensive Beratung und zwar „von medizinischer und von ethischer Seite“. Zudem spricht er sich für den Ausbau von Hospizen aus. „Hospizarbeit und Palliativmedizin sind essentiell. Sie erleichtern den Sterbeprozess.“
Grundsätzlicher Art ist die Kritik vonseiten der katholischen Kirche. Dekan Sigmund F. J. Schänzle sagt: „Es ist ein Urteil, das ich aus ethischen Gründen nicht nachvollziehen kann. Und das ausgerechnet von dieser höchsten Stelle. Die Aufgabe von Ärzten ist es, Leben mit allen Möglichkeiten zu erhalten und nicht, es zu beenden. Dazu haben sie einen Eid geschworen. Das Leben ist ein Geschenk Gottes. Dieses Geschenk wegzugeben ist nicht das, was dem Menschen zusteht.“
Differenzierter fällt die Reaktion vom evangelischen Klinikseelsorger Albrecht Schmieg aus. „Aufgrund meiner Erfahrungen ist die Zustimmung zum Urteil größer als die Ablehnung.“Schmieg ist seit 2013 Seelsorger in der Biberacher Sana-Klinik. Er sagt: „Wenn ich vor ein paar Jahren gefragt worden wäre, wäre meine Antwort anders ausgefallen.“Die Argumente der Sterbehilfe-Gegner, die mögliche Geschäftemacherei und Druck auf Schwerkranke anführen, könne er nachvollziehen. Jedoch: „Je länger ich mit Betroffenen zu tun habe, umso mehr denke ich, dass die Argumente eher theoretisch sind. In der Praxis würden solche Sogeffekte nicht entstehen.“Er finde es gut, dass nach dem Urteil das Thema diskutiert werde. „Dadurch erhöht sich die Sensibilität.“Trotz allem sei er kein „Fan vom Freitod“. Der Pfarrer betont: „Sterben gehört in Gottes Hand.“Andererseits sehe er als Protestant die Freiheit als eines der höchsten Güter des Grundgesetzes.
„Für uns im Hospiz bringt das Urteil keinerlei Veränderungen“, sagt Thomas Bär, Leiter des Hospizes Haus Maria. „Unsere Gäste werden medizinisch und psychosozial gut begleitet. Wir wirken Symptomen und Ängsten entgegen. Eine gute intensive Begleitung lässt nach meiner Erfahrung den Wunsch zu sterben nicht überhandnehmen. Wenn man den Symptomen entgegenwirkt, kommt der Lebenswille meistens zurück.“