Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Sorge um die Gaststätte im Dorf
Das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum fördert mit Millionen Euro den Erhalt von Gasthöfen auf dem Land
RAVENSBURG (sz) - Dorfgasthöfe sollen nicht nur Touristen anziehen, sie können für die Menschen in der Gemeinde auch Orte der Begegnung sein. Doch es gibt immer weniger Gasthäuser auf dem Land. Bislang ist vom Land zwar eine spezielle Förderung in Höhe von insgesamt 20 Millionen Euro in diesem und im kommenden Jahr vorgesehen. Aber in den Jahren 2005 bis 2015 ist nach Zahlen der Tourismuskonzeption Baden-Württemberg jeder vierte Gastronomiebetrieb verschwunden. Vor fünf Jahren gab es noch 18 150 Häuser – mit rückläufiger Tendenz.
Nein, er möchte nicht, dass sein Name in der Zeitung steht. Und „eigentlich habe ich keine Lust, noch irgendwas zu dem Thema zu sagen“, sagt der Mann am Telefon, der gerne noch bis zum Eintritt in die Rente, was in ungefähr fünf Jahren der Fall sein wird, Gastronom geblieben wäre. „Aber das hätte Selbstmord durch Arbeit bedeutet.“Der ehemalige Wirt musste aufgeben. Aus gesundheitlichen Gründen und aus finanziellen. „16 Stunden buckeln und dann nicht mal davon leben können.“Heute sei er Hausmeister und bediene keine Gäste mehr, sondern Heizkessel im Keller eines öffentlichen Gebäudes irgendwo zwischen Bodensee und Donau. Diese und ähnliche Geschichten kursieren viele, wenn man mit Köchen und Wirten spricht und sie fragt, wie es denn gegenwärtig ist, eine Gastwirtschaft – insbesondere auf dem Land – zu betreiben.
Für besagten Wirt sei jede Hilfe aber zu spät gekommen, auch wenn es zu seinen aktiven Zeiten das ELR schon gegeben hat, also das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum. Mit dieser Förderung versucht das Land Baden-Württemberg seit inzwischen 25 Jahren, die Infrastruktur auf dem Land zu stärken – oder präziser gesagt, zu retten.
Es geht um den Erhalt von Dorfgasthöfen, Metzgereien, Bäckereien. Um Kinderbetreuungseinrichtungen, Dorfläden, Wohnbau, einen gesellschaftlichen Nährboden jenseits der Städte insgesamt, um zu verhindern, dass weiterhin die Jungen weggehen und Alteingesessene nur noch Nachbarn von Stadtpendlern sind, deren Arbeitsund Freizeitlebensmittelpunkte in den Zentren liegen. Und nur die Nachttischlampe dieser Menschen noch im Dorf brennt. Bevor der Letzte in sämtlichen Einrichtungen, die so einen Ort als Gemeinschaft zusammenhalten, das Licht ausmacht.
Im 400-Seelen-Nest Stubersheim im Alb-Donau-Kreis haben Gabi und Dieter Laib zwar nicht im Sinn gehabt, das Dort zu retten, in dem sie selbst aufgewachsen sind. Aber gerade Gabi hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie 2003 hörte, dass ein uralter und mitten im Dorf gelegener Bauernhof abgerissen werden sollte. „Der hat einfach zu meiner Kindheit gehört“, erinnert sich Gabi heute und ihre Augen nehmen einen feuchten Schimmer an, wenn sie davon erzählt. Eigentlich war es damals lediglich ihr Wunsch, noch einmal durch das alte Gemäuer zu gehen, bevor die Abrissbagger anrücken. Mit ihrem Mann Dieter holte sie den Schlüssel bei einem Landwirt, der ihn verwahrte. Das Herz habe ihr geblutet, als sie den abbruchreifen Hof betrat. Zugleich erfuhr das Paar, dass er durch einen Kauf vielleicht noch zu retten wäre.
„Da haben wir gar nicht lange rum’gmacht“, sagt Dieter Laib, der Inhaber eines Stuckateurgeschäfts ist und jemand, der nicht laviert, sondern zupackt. Als die Kaufentscheidung feststand, gab es sogar eine eigene Gemeinderatssitzung, in der das Ehepaar vortrug, was es mit dem fast 500 Jahre alten Anwesen zu tun gedenke. „Für uns war von Anfang an klar, dass wir es in seiner Ursprünglichkeit erhalten wollten“, sagt Gabi Laib. Und das, obwohl der Hof nicht auf der Denkmalliste stand. Am Ende überzeugten die Absichten der Laibs den Gemeinderat. Dass der Hof einmal zu einem vitalen gastronomischen Ortsmittelpunkt werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt aber weder geplant noch wussten es die neuen Besitzer selbst, die dort zunächst einfach nur wohnen wollten. Und weil der hufeisenförmige Gebäudekomplex für eine einzelne Familie doch recht großzügig bemessen ist, keimte in Gabi Laib die Idee, gegen jeden Trend einen Gasthof mit Übernachtungsbetrieb daraus zu machen. Und also genau das anzufangen, was immer mehr Leute aufgeben. Welche Rolle das Geld aus dem Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum dabei gespielt hat? Dazu später mehr.
Daniel Ohl vom Deutschen Hotelund Gaststättenverband (Dehoga) Baden-Württemberg, ist in diesen Zeiten manchmal mehr Krisenmanager als Pressesprecher. Denn die Probleme der Gastronomie sind in den vergangenen Jahren nicht weniger geworden, im Gegenteil: „Verschärfte Arbeitszeitregelungen, Dokumentationspflichten, Verordnungen, Personalmangel und viele Betriebe, die keinen Generationswechsel vollziehen, sondern zumachen, um nur einiges zu nennen.“Ohl findet es daher umso wichtiger, dass die Landespolitik die weiter drohende Ausdünnung im ländlichen Raum aktiver bekämpft. „Ein gutes Mittel ist sicher das ELR, zumal in diesem und im kommenden Jahr 20 Millionen Euro extra für die Gastronomie im Rahmen der Sonderlinie Dorfgasthof reserviert sind.“Diese Mittel können über die jeweilige Gemeinde beantragt werden und sind für Investitionen gedacht, vor denen viele Gastronomen zurückschrecken. Die Höhe des maximalen Fördersatzes ist auf 35 Prozent gestiegen, gedeckelt sind förderfähige Projekte bei einem Betrag von 200 000 Euro. Reicht das, um zum Beispiel einen Jungwirt dazu zu bewegen, den elterlichen Gasthof zu übernehmen und mit erheblichem Risiko den vielerorts massiven Investitionsstau anzugehen? Das zuständige Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz
Baden-Württemberg in Stuttgart teilt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit: „Mit der Förderung aus dem ELR und aus Leader konnte die Existenz vieler gastronomischer Betriebe gesichert werden.“Leader ist ein Förderprogramm der EU, das die ländliche Wirtschaft im Blick hat. Zwischen 2014 bis 2020 stehen Baden-Württemberg insgesamt 84 Millionen Euro aus diesem Topf zur Verfügung. In den Jahren 2015 bis 2019 haben laut Ministerium 113 geförderte Projekte im Bereich Gastronomie, wobei das auch Metzger und Bäcker einschließt, in Baden-Württemberg mit rund 131 Millionen Euro profitiert – Leader und ELR zusammengenommen.
Für Familie Laib aus Stubersheim galten 2009, als sie mit der behutsamen Sanierung des Anwesens schließlich fertig waren, noch andere Förderbestimmungen. Dieter Laib, der als Mann vom Fach immense Eigenleistungen in das Projekt fließen ließ, gibt die Investitionskosten mit rund 1,6 Millionen Euro an. „Ungefähr 135 000 Euro bekamen wir gefördert“, rechnet Gabi Laib vor. Wer heute, zehn Jahre nach seiner Eröffnung, durch den Stubersheimer Hof geht, kann von der ursprünglich eingerichteten Gaststube über die sieben liebevoll gestalteten Gästezimmer vom Boden bis zur Decke noch am winzigsten Detail erkennen, dass die Laibs wirklich keine Kosten gescheut haben, um die Würde des alten Gebäudes so authentisch wie möglich zu erhalten. Tochter Martina, die gelernte Köchin ist, steht erfolgreich hinterm Herd, was ihr ein renommierter Gastronomieführer bestätigt. Mutter Gabi ist die gute Seele im Service. Das Beispiel Stubersheim zeigt, dass die Mittel aus dem ELR nicht nur dazu beitragen können, dörfliche Wirtshausstrukturen zu erhalten, sondern auch ganz neu entstehen zu lassen. Selbst wenn die Förderung im Falle der Laibs nicht der ausschlaggebende Faktor gewesen ist, kann sie andernorts doch als Zünglein an der Waage wirken.
Für den Gastronomen, der es am Ende nicht gepackt hat und heute als Hausmeister tätig ist, hätte auch das ELR nichts gebracht. Sein kleiner Hotel- und Restaurantbetrieb habe bei schwindender Gästezahl auch mit immer höheren Ansprüchen derer zu kämpfen gehabt, die noch kamen. „Ich schätze, dass ich mindestens eine Million gebraucht hätte, um den Laden zukunftsfest zu machen.“Selbst wenn er volle 200 000 Euro davon gefördert bekommen hätte, wäre das für ihn doch zu wenig gewesen. „Das Risiko, die Raten für 800 000 Euro aus dem laufenden Betrieb nicht zahlen zu können, war einfach zu groß.“Auch das Ministerium in Stuttgart räumt ein, dass „oftmals jedoch trotz der guten Fördermöglichkeiten im Gaststättenbereich ein Investitionsstau nicht verhindert“werden könne und der verbleibende Eigenanteil für den Gastronomen nicht zu stemmen sei.
Ein Grund mehr, im Zweifel noch eine Schippe draufzulegen, findet Daniel Ohl vom Dehoga und erinnert daran, dass der Dorfgasthof nicht nur das soziale Leben in einer Gemeinde zusammenhalte. „Wir müssen auch an den boomenden Tourismus denken.“Denn obwohl der Druck durch Personalnot auf einzelne Betriebe steige, so gebe es doch einen Beschäftigungsrekord in der Gastronomie: Ihre Zahl ist 2019 auf mehr als 137 000 angestiegen. „Wir sind eine Schlüsselbranche im Land“, betont Ohl. Um die Urlaubsregion BadenWürttemberg als Tourismusmotor weiter stark zu halten, sei die Förderung ländlicher Gastronomie also ein entscheidender Faktor und kein Luxus.
Familie Laib hat im Laufe der Jahre mit ihrem gastronomischen Angebot sozusagen für Stubersheim die Tür zur Welt geöffnet, was die Einschätzung von Dehoga-Mann Ohl zur Bedeutung ländlicher Gasthöfe für den Tourismus bestätigt: Über internationale Buchungsplattformen kommen die Gäste aus allen Erdteilen. Und sorgen mit dafür, dass Stubersheim lebendig bleibt. Was sie sich noch etwas mehr wünschen, wären Gäste aus dem eigenen Ort. Denn da gebe es Berührungsängste und immer noch Leute die glaubten, im Stubersheimer Hof, nur weil er herausgeputzt und wie gemalt wirke, gehe es fein und elitär zu. „Das ist natürlich Quatsch“, sagt Dieter Laib im rustikalen Ton. Vielleicht liegt es auch ein bisschen daran, dass die Stubersheimer als Dorf mit 400 Einwohnern den unverschämten Luxus eines zweiten Wirtshauses und damit die Wahl haben: Ein paar Häuser neben dem Stubersheimer Hof steht das Gasthaus Zum Bahnhöfle.
„Da haben wir gar nicht lang rum’gmacht.“
Für Dieter Laib und seine Frau Gabi stand schnell fest, dass sie den Stubersheimer Hof sanieren wollen