Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Menschen in Altenheimen treffen Infektionen besonders hart
Allein in Baden-Württemberg wurden in sechs Einrichtungen Corona-Fälle registriert – Ausgangssperre in der Diskussion
GRAVENSBURG - 18 Corona-Tote in einem Wolfsburger Pflegeheim, 16 weitere in einer Einrichtung in Würzburg. Altenheimbewohner zählen zur Hochrisikogruppe. Auch für jene, die nicht infiziert sind, bringt die Pandemie einschneidende Beschränkungen mit sich – und in Baden-Württemberg denkt die Landesregierung über weitere Restriktionen nach.
Besuch dürfen Heimbewohner schon seit Wochen nicht mehr empfangen. „Das Kontaktverbot ist schon sehr hart, die Bewohner haben weniger Ansprache“, berichtet Annette Köpfler, Leiterin des Geschäftsbereichs Altenhilfe der St. ElisabethStiftung in Bad Waldsee, die neun Pflegeheime in Oberschwaben betreibt. Ziel ist es zu verhindern, dass das Virus in die Heime getragen wird, wo es sich unter betagten Menschen mit vielen Vorerkrankungen leicht verbreiten könnte – mit womöglich verheerenden Folgen.
Doch trotz aller Vorkehrungen melden immer mehr Altenheime Infektionen. Gerade traf es das Pflegeheim Heilig-Geist in Meßkirch (Landkreis Sigmaringen), drei Bewohner und zwei Mitarbeiter wurden positiv getestet. Insgesamt zählte das Landesgesundheitsamt bis zum Dienstagvormittag in sechs Altenheimen in Baden-Württemberg
Corona-Ausbrüche. Betroffen waren neben Meßkirch Einrichtungen im Ortenaukreis, in den Landkreisen Emmendingen und Heilbronn sowie in Freiburg. Insgesamt 47 Heimbewohner erkrankten, für neun endete die Infektion tödlich. Außerdem wurde in Trossingen (Landkreis Tuttlingen) ein Corona-Fall in einer an ein Altenheim angegliederten geriatrischen Reha-Klinik gemeldet.
Nach dem Zutrittsverbot für Besucher erwägt die Landesregierung deswegen nun eine generelle Ausgangssperre für die Bewohner. Das geht aus einem internen Rundschreiben der Baden-Württembergischen
Krankenhausgesellschaft hervor, das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Eine entsprechende Änderung der Corona-Verordnung ist demnach aber vorerst zurückgestellt worden, weil es noch Abstimmungsbedarf zwischen den Ressorts und rechtliche Bedenken gibt.
Das Thema bleibt aber aktuell. Die Corona-Lenkungsgruppe der Landesregierung, in der mehrere Ministerien vertreten sind, habe die Lage in den Altenheimen am Mittwoch auf der Tagesordnung, bestätigte ein Sprecher des Sozialministeriums. Die Situation gebe Anlass zur Sorge, auch weil es immer noch Fälle von
Angehörigen gebe, die am Wochenende Heimbewohner zum Kaffeetrinken abgeholt haben – diese drohen dann bei der Rückkehr das Virus ins Heim zu tragen.
Ein flächendeckendes Problem ist das aber nicht. Joyce Dornhege von dem zur Stiftung Liebenau gehörenden Haus der Pflege St. Leonhard in Isny (Landkreis Ravensburg) berichtet, dass viele Senioren sich aus freien Stücken zurückziehen. „Die Bewohner dürfen raus, aber das will keiner. Sie sehen selber die Gefahr und nehmen den Verzicht für ihre Gesundheit in Kauf. Dafür wird der Garten stark genutzt“, sagt Dornhege. „Wir sind froh um jeden, der sich der Gefahr bewusst nicht aussetzt und freiwillig sagt, er bleibe auf dem Gelände.“
Für ihren Kollegen Frank Höfle vom Altenhilfezentrum (AHZ), ebenfalls in Isny, reichen freiwillige Appelle nicht aus, er hätte die Ausgangssperre am liebsten schon längst gehabt – und ärgert sich, dass die Politik dafür so lange braucht. „Rein rechtlich haben wir ein ganz gewaltiges Problem“, sagt er, denn in seinem eigenen Heim komme schon seit 14 Tagen kein Bewohner mehr vom Gelände – eine Maßnahme, die er aus Fürsorge für die Senioren für „zwingend geboten“hält. Ohne entsprechende Verordnung, das ist Höfle klar, sei das aber Freiheitsentzug. Die Behörden würden sich mit ihren Vorgaben viel zu lange Zeit lassen, beklagt er. Das sei schon so gewesen, als er noch vor der entsprechenden Verordnung ein Besuchsverbot erlassen habe. „Immer wieder begebe ich mich mit solchen Aktionen auf rechtlich unsicheres Terrain.“
„Rechtssicherheit ist, was wir uns alle wünschen“, sagt auch Annette Köpfler von der St. Elisabeth-Stiftung. Ein generelles Ausgehverbot sieht sie aber kritisch. In den Heimen in ihrem Zuständigkeitsbereich leben 570 Menschen, nur in einem Fall seien sowohl der Bewohner als auch dessen Angehörige nicht bereit gewesen, Schutzmaßnahmen einzuhalten. „Da muss man dann aufpassen, dass man die Freiheitsrechte der anderen wegen dieses einen Falles nicht zu stark einschränkt.“
Denen, die nun oft allein im Heim sitzen, versuchen die Pfleger, die Situation so erträglich wie möglich zu machen. „Wir müssen ein bisschen mehr Freund sein, ein bisschen mehr Wegbegleiter sein, mehr noch als sonst. Auch wenn wir die Familie nicht ersetzen können“, sagt Joyce Dornhege vom Haus St. Leonhard. Und im AHZ Isny haben Frank Höfle und seine Kollegen am vergangenen Wochenende die ersten „SkypeNachmittage“für die Bewohner eingerichtet. Die konnten ihren Angehörigen auf diese Weise zumindest digital nahe sein – und waren entzückt, was die moderne Technik alles möglich macht.