Schwäbische Zeitung (Laupheim)
John Lennon lässt grüßen
Tischtennis-Meister Ochsenhausen bleibt demütig, Neu-Ulm rüstet die Mannschaft auf
GOCHSENHAUSEN/NEU-ULM - Die Zeit der Pandemie ist chaotisch und wirr, zuweilen auch grotesk und aberwitzig. Bei Gesprächen mit Geschäftsführern und Managern ist das zu spüren, Menschen also, die nicht nur sich selbst, sondern auch andere organisieren müssen – und es wegen des Coronavirus nicht können. „Man kann derzeit nichts planen, weil man nicht weiß, was morgen schon wieder anders ist“, sagt Kristijan Pejinovic frei nach John Lennon von den Beatles, der einst meinte: „Leben ist das, was passiert, während Du eifrig dabei bist, Pläne zu schmieden.“
Pejinovic, Präsident der TTF Liebherr Ochsenhausen, dem deutschen Tischtennis-Meister und Pokalsieger von 2019, ist derzeit mit seiner Managerkunst zwangsläufig am Ende. Er hat keinen Trainer mehr in seiner Akademie und seinem Leistungszentrum, nur noch zwei Spieler sind am Ort – die TTF-Stars. Der Franzose Simon Gauzy, der mit Frau und Sohn in Ochsenhausen lebt, und Hugo Calderano, der lieber in Oberschwaben bleibt, statt sich vom brasilianischen Präsidenten Bolsonaro Irrlehren über den Virus beibringen zu lassen. Der Rest ist ausgeflogen, in seine Heimatländer. Fast 20 Spieler der TTF respektive der Nachwuchsakademie LMC und alle sieben Trainer haben vor zwei Wochen Deutschland verlassen. Sie sind zurück zu ihren Familien nach Polen, Österreich, Russland, Frankreich, Ungarn, Italien, Spanien, Serbien und Rumänien, ehe die Grenzen dicht machten, und Pejinovic hat ihnen dabei geholfen. Am Mittwoch schloss er dann das Büro zu, am Montag bearbeitete er zu Hause die Anträge auf Kurzarbeit für seinen Staff und die Mitarbeiter.
Das größte und erfolgreichste Tischtenniszentrum Europas hat fürs Erste geschlossen, wie es weitergeht, weiß keiner. Bis Ende Juni sind alle Events im Welttischtennis abgesagt, auch die WM in Südkorea wurde gestern auf unbekannt verschoben wie zuvor das BundesligaFinale, das am 6. Juni im Rahmen der Deutschen Meisterschaften von 15 Sportarten („Finals Rhein Ruhr“) in Düsseldorf hätte stattfinden sollen.
Noch aber ist nicht einmal das Halbfinale gespielt. Ochsenhausen,
Dritter der Hauptrunde, träfe in maximal drei Play-off-Halbfinals auf den Erzrivalen Borusssia Düsseldorf um Timo Boll, nur: Vor Juni dürfte der Spielbetrieb kaum wieder aufgenommen werden. Weder die TTF noch Boll, der Rekord-Europameister und Anführer der Borussen, trainieren derzeit am Tisch. Die Spieler versuchen, sich privat fit zu halten, manche teils mit Robotern. „Die Liga überlegt sich verschiedene Szenarien, wie es weitergehen könnte. In der Zwischenzeit machen wir Homeoffice und tun das, was wir tun sollten: zu Hause bleiben und nicht verreisen – und für die Kinder sorgen“, sagt Pejinovic, selbst Vater zweier Sprösslinge.
Vor der Corona-Krise war der 39Jährige allerdings auf Achse, denn es galt, Nachfolger für die scheidenden Jakub Dyjas und Stefan Fegerl zu finden – und Ersatz für Meistertrainer Dmitrij Mazunov sowie den 17-jährigen U21-Europameister Vladimir Sidorenko. Beide wechseln zum Bundesliga-Emporkömmling TTC NeuUlm. Pejinovic hatte davon Kenntnis, die Nachbarclubs gehen offenbar weiterhin sehr kollegial miteinander um: „Als bekannt wurde, dass Dima am Saisonende gehen will, hat mich der Ulmer Präsident Florian Ebner angerufen und gebeten, Kontakt aufnehmen zu dürfen. Das fand ich gut, war aber natürlich nicht nötig. Wir sind ein freies Land“, sagt Pejinovic.
„Dima und wir hatten unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft, und dann ist es im Berufsleben normal, dass sich Wege auch mal trennen. Aber unser Verhältnis ist gut, unsere Familien sind befreundet, und das bleiben wir auch. Tischtennis ist nicht Fußball, da spielt das Menschliche noch eine große Rolle“, sagt Pejinovic. „Dass Vladimir weiter mit Dima arbeiten wollte – er ist ja wie ein zweiter Vater für ihn –, habe ich sofort akzeptiert. Beide sind Russen, sprechen dieselbe Sprache, auch Vladimirs Vater und Dima sind sehr eng. Im Tischtennis spielen Bezugspersonen nun mal eine große Rolle. Bei Timo Boll und Jörg Roßkopf war es von der Jugend an Helmut Hampl, ihr Entdecker, bei Dimitrij Ovtcharov sein Vater, bei Vladimir ist es eben Dima. Auch unsere Spitzenspieler haben solche Mentoren: Bei Gauzy ist es Michel Blondel, unser Sportdirektor, der einst französischer Nationaltrainer war. Und bei Calderano der Franzose Jean-René Mounie, der bis zu Olympia in Rio brasilianischer Nationaltrainer war und seither zu unserem Stab gehört.“Aus diesem Kreis, zu dem nach wie vor auch Dubravko Skoric gehört, der vor Mazunov sieben Jahre lang Headcoach der TTF war und nun Technik-Trainer im LMC ist, soll auch der Nachfolger für Mazunov stammen.
Der Kader der TTF dürfte bärenstark bleiben. Laut Pejinovic stößt ein Top-50-Spieler zum Kader, zwei blutjunge Talente aus dem LMC ergänzen die neue Mannschaft. „Wir bleiben bei unserer Philosophie, die Stars selber zu formen“, sagt Pejinovic. „Das gilt für alle, auch für die Trainer.“
Neu-Ulm, das sein Debütjahr als Liganeunter beendete, hat künftig ebenfalls zwei Supertalente in seinen Reihen. Sidorenko und Kay Stumper, die größte deutsche U21Nachwuchshoffnung. Außerdem zwei Anführer, denn neben Tiago Apolonia rückt der Weltranglisten-42. Emmanuel Lebesson ins Team – der Europameister von 2016, der damals im Finale von Budapest Landsmann Gauzy schlug. Ulm ist damit 2021 Play-off-Anwärter, zumal auch mit dem WM-Dritten An Jaehyun aus Südkorea noch verhandelt wird.
Die Hallen-Frage ist weiter offen beim TTC, drei Standorte werden gehandelt für die neue Saison, die im September beginnen soll. Doch wer weiß, vielleicht könnte Ulm ja noch der Standort für ein potenzielles Bundesliga-Final-Four am letzten Juni-Wochenende werden. Zwei einzelne Halbfinals und das Endspiel an einem Tag in der Ratiopharm-Arena, ähnlich wie beim inzwischen schon traditionellen Final Four im Januar, das wäre das Happy-End-Szenario der Tischtennis-Bundesliga 2019/20. Und ein Wunschtraum – denn bis auf Weiteres sind alle Sporthallen in Deutschland bis 15. Juni gesperrt. „Unsere Spieler denken gerade nicht an ein Tischtennisfinale“, sagt Kristijan Pejinovic noch. „Sie denken gerade daran, wie sie gesund bleiben können.“