Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Zurück in Uniform
In der Corona-Krise verstärken Reservisten die Bundeswehr – Besonders in den Krankenhäusern werden die Freiwilligen gebraucht
GULM - Routiniert und sicher richtet Krispin Graf das Bett auf einer der Intensivstationen des Ulmer Bundeswehrkrankenhauses her. Die Handgriffe sitzen, nach wenigen Minuten wendet sich der 25-Jährige dem nächsten Bett zu. Noch ist die Station leer: Die Ruhe vor dem befürchteten Sturm, wenn auf den Intensivstationen bis zu 50 CoronaPatienten erwartet werden. Graf macht sich derzeit mit dem Krankenhaus und seinen Einrichtungen vertraut, lernt seine neuen Kollegen kennen, die hier Kameraden heißen: Denn Graf, der im dritten Semester Humanmedizin in Freiburg studiert, hat sich als Reservist gemeldet, die Bundeswehr hat ihn sofort verpflichtet. Der Student, der vor seinem Studium als Wehrdienstleistender in einer Sanitätsstaffel aktiv war und danach eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger absolvierte, bringt Kenntnisse und Fähigkeiten mit, die derzeit dringend gebraucht werden.
Angesichts der Corona-Krise sind bereits mehrere Tausend Freiwillige dem Aufruf von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer
(CDU) gefolgt, die Bundeswehr zu unterstützen. Stand Donnerstag hatten beim Bundesamt für Personalmanagement rund 7000 frühere Wehrdienstleistende ihr Interesse bekundet.
Besonders gefragt sind Reservisten mit medizinischer Berufsausbildung wie der Student Graf, die kurzfristig die stationären Gesundheitseinrichtungen der Bundeswehr – wie die fünf Krankenhäuser in Ulm, Hamburg, Berlin, Westerstede in Niedersachsen und Berlin – personell verstärken können. Rund 3000 Reservistinnen und Reservisten haben sich innerhalb der vergangenen zwei Wochen freiwillig zur Arbeit in diesen Bundeswehrkrankenhäusern gemeldet, wie ein Sprecher des Sanitätsdienstes sagt, 280 von ihnen haben den Dienst bereits angetreten. Was die medizinische Hilfe angehe, sei die Bundeswehr „schon voll mittendrin“, betont Generalinspekteur Eberhard Zorn. Ziel sei es, die Zahl der Intensivbetten, wie im zivilen Gesundheitssystem auch, zu verdoppeln. Davon wird der Südwesten profitieren: Insgesamt hat die Klinik der Bundeswehr in Ulm knapp 500 Betten. Auf dem Eselsberg werden seit vielen Jahren 80 Prozent zivile Patienten behandelt.
In der Praxis ist Hauptmann Daniel Lamparska, der Personaloffizier beim Sanitätsregiment 3 „Alb-Donau“in Dornstadt, erster
Ansprechpartner für die derzeit 70 Reservisten wie Krispin Graf: „Nach jetzigem Stand sollen in mehreren Durchläufen bis zu 160 Reservisten die stationären Gesundheitseinrichtungen der Bundeswehr im Raum Ulm verstärken, wobei in erster Priorität das Bundeswehrkrankenhaus Ulm personellen Aufwuchs erfahren soll“, sagt Lamparska. Er kann den militärischen und zivilen Partnern breit gefächerte Qualifikationen der Reservisten anbieten: So stehen vom Rettungssanitäter über Rettungsassistenten, Notfallsanitäter und Gesundheits- und Krankenpfleger auch Medizinstudenten und Ärzte zur Stelle.
Zusammen mit seinem Team sorgt Lamparska für Unterkunft, verteilt Uniformen, erklärt den Reservisten, deren Dienstzeit zum Teil schon etliche Jahre zurückliegt, die Abläufe beim „Bund“, das Leben in der Kaserne und in der Gemeinschaft, dann teilt er sie auf die verschiedenen Einrichtungen wie das Bundeswehrkrankenhaus ein: „Wir begrüßen Kameraden zwischen Mitte 20 und Mitte 50, vom Gefreiten bis zum Oberstabsarzt“, sagt Lamparska, viele hätten eine weite Strecke in Kauf genommen, um die militärischen Gesundheitseinrichtungen zu unterstützen.
Auch das Regiment steht vor einer neuen, bisher nicht gekannten Aufgabe: „Daher bitten wir Sie alle um Geduld“, begrüßt der Kommandeur, Oberstarzt Ingo Weisel, seine neuen Mitarbeiter: „Jetzt werden wir schauen, wo Sie am besten ins Puzzle passen.“Die meisten haben sich dazu verpflichtet, die Uniform für vier Wochen anzuziehen, mit der Option, zu verlängern, wenn weiterhin Bedarf besteht. Nicht jeder Reservist könne sofort und auf der Stelle eine geeignete Aufgabe übernehmen, mancher müsse auch wieder nach Hause geschickt werden, um eventuell später eingesetzt zu werden: „Wir müssen die Durchhaltefähigkeit auf Dauer sicherstellen“, gibt Weisel den Reservisten mit auf den Weg.
Freiwillige wie den Medizinstudenten Graf können Kommandeur Weisel und sein Personaloffizier Lamparska sofort einsetzen. Doch warum meldet sich ein junger Mann wie Graf zum „Bund“, anstatt zu pauken? Nach dem Sommersemester steht eine anspruchsvolle Zwischenprüfung, das bei Medizinstudenten gefürchtete Physikum, an. „Ich habe die Bilder aus Italien und Spanien gesehen, wie CoronaPatienten dort leiden.“Dann kam der Entschluss: „Ich habe Kenntnisse und auf Intensivstationen
Reservist Krispin Graf gearbeitet, also helfe ich. Wer helfen kann, sollte das auch tun.“Familie und Freunde stehen hinter Grafs Entschluss, mindestens bis Ende April als Reservist Dienst zu tun: „Sie kennen meinen Beruf und wissen, was ich später als Arzt tun werde.“
Auch Christian Zilinski ist Student, er hat sich an der Hochschule Ulm fürs Fach Wirtschaftsingenieurwesen eingeschrieben. Er betritt in Dornstadt bekanntes Terrain, denn bis zum vergangenen Jahr war er in der Rommel-Kaserne beim Sanitätsregiment 3 stationiert und dort als Rettungssanitäter tätig: „Dass ich mich zurückmelde, war mir sofort klar“, sagt der 31-jährige Stabsunteroffizier aus DornstadtTemmenhausen, „das sind doch meine Kameraden.“
Auch Zilinski, der als Verfahrenstechniker einen technischen Beruf erlernt hatte, konnte direkt seine Arbeit aufnehmen: „Er ist in der Bettenwerkstatt des Bundeswehrkrankenhauses eingesetzt und vertritt dort erkrankte Kameraden“, lobt Major Peter Scheck, der Personaloffizier des Krankenhauses, den Einsatz. Nicht nur im Gesundheitswesen
ist die Bundeswehr gefragt. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie ist die Truppe nach eigenen Angaben bereits rund 280 Mal von Städten und Gemeinden um Hilfe gebeten worden. Davon wurden 75 gebilligt, 50 sind in konkreter Bearbeitung und 14 wurden bereits abgeschlossen. Anträge, die die Bundeswehr ablehnt, könnten Städte und Gemeinden in eigener Regie abarbeiten, teilt die zuständige Streitkräftebasis mit. Besonders nachgefragt seien „helfende Hände“, Zelte, Feldbetten, logistische Unterstützung sowie medizinische Schutzkleidung und Beatmungsgeräte. „Hier werden noch mehr Anträge kommen, insbesondere wenn es um die ,helfenden Hände’ geht“, sagt Generalinspekteur Zorn.
Um die Hilfe möglicherweise über Monate aufrechtzuerhalten, sei ein Schichtsystem wichtig, so Zorn, der Wechsel aus Dienst in der Kaserne, Dienst im Homeoffice, Bereitschaft und Freizeit. „Das bringt Sicherheit.“Die Truppenausbildung sei indes auf das Nötigste heruntergefahren worden. Dort versuche man, die Sicherheitsabstände – wo es möglich sei – herzustellen und zu schauen, „dass wir nicht alle auf einem Haufen stehen“, sagte Zorn.
Trotz der gut 130 bestätigten Corona-Fälle in der Bundeswehr sei die Einsatzbereitschaft der Truppe im Land nicht in Gefahr. Viele Soldatinnen und Soldaten hielten sich aus Sicherheitsgründen zwar nicht in den Kasernen auf, sondern in Rufbereitschaft. Wenn Amtshilfe benötigt werde, sei man aber innerhalb eines Tages in der Lage, die Soldaten einzuberufen, sagte Zorn. „Das bekommen wir hin.“
Die Pandemie stößt eine altbekannte Debatte neu an. Patrick Sensburg (CDU), der Vorsitzende des Verbands der Reservisten der Bundeswehr und Bundestagsabgeordneter, wertet den Einsatz als Beleg, dass die Bundeswehr bei allen Schwierigkeiten mit Personal und Material in der Lage sei, „diesem Land zu helfen und es zu stützen“wenn es nötig sei.
„Wir brauchen in Deutschland eine Debatte, wann die Bundeswehr und damit auch Reservisten im Inland eingesetzt werden sollen“, sagt der Oberstleutnant der Reserve. Die Welt habe sich verändert, „und damit müssen wir offen über diese Frage und auch eine Anpassung des Grundgesetzes diskutieren“. Es stelle sich die Frage, was zum Beispiel unter die Sicherung kritischer Infrastruktur falle. „Bislang war damit das Wasserwerk oder Elektrizitätswerk gemeint. Jetzt sehen wir, dass es auch um die Versorgung des Supermarkts um die Ecke oder von Lkw-Fahrern auf der Autobahn gehen kann“, sagt
Sensburg. Außerdem zeige die Corona-Krise die Notwendigkeit einer allgemeinen Dienstpflicht. „Unserem Land täte ein solcher Gesellschaftsdienst auf so vielen Ebenen gut“, sagt der Vorsitzende des Reservistenverbandes. „Wir entdecken jetzt in der Krise, wie wertvoll Solidarität, Gemeinsinn und die viel zitierten systemrelevanten Berufe sind“, betonte er. „Es sind genau diese Werte und exakt diese Berufsgruppen, die von einem Gesellschaftsdienst profitieren würden.“
Doch mit dieser Debatte kommt Sensburg im Augenblick zu früh. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger kritisiert grundsätzlich: „Die Bundeswehr wegen Corona im Innern einzusetzen, zeigt, dass die Bundesregierung über Jahre falsche Prioritäten gesetzt hat und nun erneut setzt.“Das Geld müsse in den Gesundheitsbereich gesteckt werden, der endlich als systemrelevant erkannt werde, fordert Pflüger. Aus Sicht des Linken-Politikers muss Katastrophenschutz zivil sein. Zudem warnt Pflüger davor, die Bundeswehr auch zur „Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung“einzusetzen.
Und auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erteilt Forderungen nach mehr Kompetenzen der Bundeswehr im Inneren eine Absage. „Jetzt ist akute Krise. Jetzt müssen wir uns darauf konzentrieren, den Menschen zu helfen“, sagte die CDU-Politikerin. Politische Debatten sollten nach der Corona-Pandemie geführt werden. Das Grundgesetz ermögliche der Bundeswehr schon „sehr, sehr viel“im Land zu tun.
Debatten über eine mögliche allgemeine Dienstpflicht, ehemals Zivildienst, sollten ebenfalls vertagt werden. Die Ministerin lobt zudem die Hilfsbereitschaft der Reservisten, von denen sich Tausende zum freiwilligen Dienst gemeldet hätten. Das „macht mich sehr stolz“.
Zurück nach Ulm, zurück zum Stabsunteroffizier Christian Zilinski, der nach einer Woche im Dienst eine erste Bilanz zieht: „Man merkt nichts von Panik, hier herrscht eine gute Atmosphäre, die Kameraden haben uns prima aufgenommen, hier wird unsere Hilfe gebraucht.“Seine Arbeit in der Instandhaltung der Bettenwerkstatt werde wertgeschätzt: „Und darum habe ich direkt verlängert, bleibe bis zum 24. April. Mindestens!“
„Wer helfen kann, sollte das auch tun.“