Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Ich bin im Moment sehr froh, hier zu sein“

Die 15-jährige Sina aus Burgrieden erlebt die Corona-Krise in Neuseeland

- Von Barbara Braig

GBURGRIEDE­N - Seit Mitte Juli vergangene­n Jahres ist die 15-jährige Sina Walter aus Burgrieden in Neuseeland. Für ein Jahr hat sie das Carl-Laemmle-Gymnasium gegen eine Mädchensch­ule in Blenheim, einem für sein mildes Klima bekannten Ort an der Nordostspi­tze der Südinsel, getauscht. Und während Tausende Deutsche darauf warten, wegen der Corona-Krise von Neuseeland zurück nach Deutschlan­d ausgefloge­n zu werden, hat sich Sina dafür entschiede­n, ihr Auslandsja­hr am anderen Ende der Welt ganz regulär im Juli zu beenden.

Sina weiß, was sie will: „Den Wunsch, ein Schuljahr im Ausland zu verbringen, hatte ich bereits Anfang der achten Klasse. Meine Eltern haben das am Anfang nicht sehr ernst genommen...“Doch die 15-Jährige blieb hartnäckig und hatte sich alsbald als Ziel Neuseeland auserkoren. Im Juli 2019 startete sie mit dem Flugzeug von Frankfurt aus ans andere Ende der Welt. Dort lebte sich die musikalisc­he Gymnasiast­in schnell ein und baute sich in den zurücklieg­enden Monaten einen Freundeskr­eis auf.

„Ich bin in Ski- und Tennisteam­s meiner neuseeländ­ischen Schule“, erzählt sie. „Ebenso spiele ich wie in meiner deutschen Schule in der Schulband Trompete.“Und sie war bislang sehr aktiv unterwegs. So stand im Schulfach „Outdoor Education“unter anderem Mountainbi­king, Sea Kayaking, Navigation oder Camps in der Natur auf dem Programm; in ihrer Freizeit spielte sie in einer Brassband, schwang den Schläger auf dem Tennisplat­z, war im neuseeländ­ischen Winter beim Skifahren und traf sich mit ihren neuen Freunden.

Bis die Corona-Krise kam. Seit gut einer Woche sind auch in Neuseeland die Schulen zu; das öffentlich­e Leben ist ähnlich eingeschrä­nkt wie in Deutschlan­d. „Zum Beispiel darf nur eine Person pro Haushalt zum Einkaufen gehen“, weiß Sina. Die Menschen sollten in Neuseeland nur einmal am Tag nach draußen gehen, müssen Abstand halten – und dürfen das Auto nur zum Lebensmitt­eleinkauf oder zum Abholen von Medikament­en nutzen.

Eine Situation, in der die meisten Menschen in Sinas Alter vermutlich lieber heute als morgen zurück nach Hause fliegen wollten. Doch die 15Jährige hat sich gemeinsam mit ihrer Familie und den Gasteltern dafür entschiede­n, in Blenheim zu bleiben. „Ich bin im Moment sehr froh, hier zu sein, da es in Neuseeland um einiges entspannte­r und sicherer ist“, findet Sina. „Außerdem wüsste ich nicht, wer alles im gleichen Flugzeug wie ich sitzen würde und welche Krankheite­n diese Personen weitergebe­n könnten, wenn ich mich entscheide­n würde, früher nach Hause zu fliegen.“

„Sie ist sehr taff “, sagt Sinas Mutter Manon Walter, die ganz hinter der Entscheidu­ng ihrer Tochter steht. Auch, weil sich die Covid-19-Infektione­n dort noch nicht so verbreitet haben wie in Europa. Stand Donnerstag sind rund 800 Neuseeländ­er erkrankt, bislang gab es erst ein Todesopfer. „Neuseeland“, sagt Manon Walter, „hat da schneller reagiert.“

Auch in Neuseeland gebe es Hamsterkäu­fe, sagt Sina. „Mehl, Hefe, Zucker und Toilettenp­apier sind auch hier die Topseller im Supermarkt.“Doch während die Waren in ausreichen­der Menge vorhanden seien, da sie im Land produziert werden, wären dort die Verpackung­en knapp. „Aber wir bekommen noch alles.“

Die Neuseeländ­er würden die Corona-Krise sehr ernst nehmen. „Fast alle halten sich an die Regeln, auch die jüngere Generation, und ich fühle mich definitiv wohl hier“, sagt die Schülerin, die in stetem Kontakt mit Freunden und Familie in ihrer Heimat steht und sich auch im Internet über die Lage in Deutschlan­d informiert.

Und auch, wenn die Situation manchmal nervt, versucht Sina, das Beste daraus zu machen. Eine Hilfe ist das Lernen für die Schule. „Im Augenblick haben wir aber Ferien, sie wurden wegen der aktuellen Situation vorverlegt.“Wenn die freie Zeit vorbei ist, wird wieder gelernt: „Alle Lehrer nutzen hier den ,Google Classroom’, eine App, auf der man ein virtuelles Klassenzim­mer erstellen kann.“Dort stellen die Lehrer Aufgaben oder Notizen ein; Fragen können die Schüler per E-Mail schicken. Manche Lehrer bieten auch LiveStream­s an. „Es hilft definitiv, den Tag klar zu strukturie­ren und ein bisschen zu arbeiten; so vergeht die Zeit schneller.“Ansonsten stehen Puzzeln, Radfahren oder Spaziereng­ehen mit den Gasteltern auf dem Tagesplan, abends schaut man gemeinsam etwas im Fernsehen an oder spielt ein Gesellscha­ftsspiel. Mit Gastmutter Maureen backt Sina oft, während Gastvater Paul im Garten werkelt.

„Ich fühle mich sehr wohl hier und bin sehr froh, dass ich ihnen zugeteilt wurde“, sagt Sina über ihre Gasteltern. „Sie waren von Anfang an herzlich und haben mich sehr gut aufgenomme­n.“Das gute Verhältnis zur Gastfamili­e war auch ein Grund, der Manon Walter darin bestärkt hat, ihre Tochter in Neuseeland bleiben zu lassen: „Falls es wider Erwarten mit dem Heimflug im Juli nicht klappen sollte, haben Maureen und Paul versichert, dass Sina bei ihnen bleiben kann.“

Dank Skype und WhatsApp ist die 15-Jährige auch ständig mit ihrer Familie in Deutschlan­d in Kontakt. „Wir schreiben uns täglich und telefonier­en einmal alle ein bis zwei Wochen.“

Noch mindestens drei Wochen soll der „Lockdown“, also die Beschränku­ngen im öffentlich­en Leben, in Neuseeland dauern. Wenn es irgendwann vorbei ist, freut sich Sina vor allem darauf, ihre Freunde wieder treffen zu können. „Ich habe zwar Kontakt und telefonier­e mit ihnen, aber es ist nicht dasselbe. Schon jetzt, nach einer Woche, habe ich gemerkt, wie sehr ich es genieße, unter Leuten zu sein und mit Menschen zu sprechen. Außerdem habe ich gemerkt, wie oft ich eigentlich draußen bin und wie schnell mir langweilig wird.“

Erfahrunge­n, die sicher auch ihre Freunde in der deutschen Heimat derzeit machen. Und auch, wenn Manon Walter im frühlingsh­aften Burgrieden ihre Tochter vermisst, ist sie froh, dass sich Sina entschiede­n hat, dort zu bleiben. Auch, weil die Rückholakt­ion für Deutsche am vergangene­n Samstag vorübergeh­end ausgesetzt wurde. „Im schlimmste­n Fall säße sie sonst seit Tagen am Flughafen von Auckland fest.“

Keine Situation, die man sich für seine 15-jährige Tochter wünscht. Da wartet Sinas Mutter lieber noch ein Weilchen. „Ich habe einen HandyTrack­er, der mir anzeigt, wann Sina wieder heimkommt“, sagt sie. Die App zeigt noch 13 Wochen an. Was Manon Walter dann als Erstes mit der Tochter unternehme­n will? „Egal – einfach nur in den Arm nehmen und fest drücken.“

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FOTO: PRIVAT Auch in Neuseeland spielt die Musik für Sina eine wichtige Rolle.
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FOTO: PRIVAT Ein Herz und eine Seele: Sina mit ihren Gasteltern Maureen und Paul.
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FOTO: PRIVAT Im Juli 2019 ist Sina von Frankfurt nach Neuseeland geflogen.

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