Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Frettchen dienen als Modell für Infektionen“
Thomas Mettenleiter vom Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit über Viren, Haustiere und Menschen
RAVENSBURG - Sie gilt als die gefährlichste Insel Deutschlands, manche bezeichnen sie auch als „Alcatraz für Viren“: Auf der Ostsee-Insel Riems in der Nähe von Greifswald forschen, umgeben von hohen Zäunen und Stacheldraht, Wissenschaftler seit mehr als 100 Jahren an Tierseuchen – derzeit vor allem am Coronavirus. Ihr Chef: Thomas Mettenleiter aus Sigmaringen. Theresa Gnann hat mit ihm über die Rolle des Menschen im Tierreich gesprochen, und darüber, warum Frettchen bei der Suche nach einem Impfstoff entscheidend sein könnten.
Herr Mettenleiter, Sie haben sich das Coronavirus schon vor einigen Wochen zu Forschungszwecken ins Haus geholt. Wie kommen Sie voran?
Wir arbeiten im Moment in verschiedene Richtungen. Zum einen wollen wir herausfinden, ob Nutztiere empfänglich für den Erreger sind. Bei Hühnern und Schweinen können wir das inzwischen ausschließen, experimentelle Infektionen waren nicht erfolgreich. Weitere Arten sollen noch getestet werden, aber bisher deutet nichts darauf hin, dass eine Nutztierart empfänglich ist. Außerdem arbeiten wir hier mit einer Kolonie von Flughunden, also fruchtfressenden Fledermäusen. Der Erreger kommt ja höchstwahrscheinlich aus einem Fledermausreservoir und wir wollen erfahren, wie er sich mit dem Wirtstier Fledermaus auseinandersetzt. In einer dritten Zielrichtung haben wir Frettchen infiziert, die als Modellsystem für die Infektion beim Menschen dienen können. So könnte man zum Beispiel Impfstoffe oder Medikamente testen, bevor sie zum Einsatz beim Menschen kommen.
Warum eignen sich dafür gerade Frettchen?
Frettchen dienen als Tiermodell für verschiedene respiratorische Infektionen des Menschen, beispielsweise für Grippeviren. Wir konnten nun zeigen, dass sie auch mit Sars-CoV-2 infizierbar sind, dass sich das Virus in den Tieren vermehrt, insbesondere im oberen Atmungstrakt, und dass die Tiere auch Artgenossen anstecken können, dabei aber keine Krankheitssymptome zeigen. Der Infektionsverlauf ähnelt also einem milden Infektionsverlauf beim Menschen. Nach einem solchen Tiermoganz dell, das die Infektion des Menschen widerspiegelt, wird derzeit weltweit dringend gesucht. Wir sind im Kontakt mit Kollegen, die an Impfstoffen arbeiten, und wollen zeitnah Impfstofftestungen bei uns hier an den Frettchen durchführen.
In den USA wird ein Impfstoff direkt am Menschen, also ohne Tierversuch, getestet. Wie stehen Sie dazu?
Wenn man kein passendes Tiermodell hat, bleibt einem nicht viel übrig. Jetzt wissen wir, dass das an Frettchen
gut funktionieren könnte. Deshalb würde ich schon dafür plädieren, einen solchen Impfstoff zuerst am Tier auszuprobieren. Aber das ist etwas, was die Zulassungsbehörden vor Ort mit ihren Erfahrungen sicher am besten entscheiden können.
Können Sie einschätzen, wie lange es dauert, bis ein Impfstoff oder ein Medikament gefunden wird?
Die meisten Kollegen schätzen, dass wir bei Impfstoffen frühestens in der ersten Jahreshälfte des nächsten Jahres
so weit sein werden. Bei den Medikamenten kommt es darauf an, ob es eine Umwidmung eines bereits zugelassenen Medikaments gibt. Darauf zielen einige Studien und Empfehlungen ab. Aber das sind viele Spekulationen. Ich habe den Eindruck, es wird derzeit viel ins Spiel gebracht, ohne dass es dafür wirklich solide wissenschaftliche Grundlagen gibt.
Ursprünglich kam der Coronavirus-Erreger aus dem Tierreich. Wie ungewöhnlich ist es, dass Krankheitserreger von Tieren auf Menschen überspringen?
Rein biologisch ist der Mensch Teil des Tierreichs. Von daher ist es nicht so verwunderlich, dass Erreger, die von Tier zu Tier springen, auch beim Menschen vorkommen. Wir gehen davon aus, dass etwa zwei Drittel der Infektionskrankheiten, die der Mensch hat, irgendwann aus einem tierischen Reservoir gekommen sind. Bei den neu auftauchenden Infektionskrankheiten, zu denen Covid-19 gehört, sind es sogar drei Viertel. Dass sich der Erreger dann aber so gut im Menschen vermehren und ausbreiten kann, ist – glücklicherweise – doch relativ selten.
Insgesamt nehmen Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen, zu. Welche Schuld trägt der Mensch?
Diese Übersprungsereignisse werden umso häufiger, je mehr Menschen mit Tieren in Kontakt kommen, egal ob Nutz- oder Wildtiere. Da spielt die menschliche Populationsgröße eine Rolle. Wir werden einfach immer mehr Menschen auf der Erde. Dadurch nimmt die reine Wahrscheinlichkeit eines Kontakts zu. Außerdem dringen Menschen in Bereiche vor, in die man früher fast nicht gekommen wäre. Und dann spielt auch die Globalisierung und Urbanisierung eine wichtige Rolle. Wenn es früher irgendwo im Urwald zu einem Kontakt zwischen Mensch und Wildtier gekommen ist und dabei ein Erreger überspringen konnte, dann blieb das meist lokal und unbemerkt. Heutzutage kann es passieren, dass der Erreger zum Beispiel in eine Stadt getragen wird und dort natürlich viel mehr Möglichkeiten findet, sich auszubreiten. Das ist wohl Ende letzten Jahres in Wuhan passiert.
In einem New Yorker Zoo hat sich vor einigen Tagen ein Tiger infiziert. Überrascht sie das?
Nein, das überrascht mich aus zwei Gründen nicht. Zum einen ist es bereits von der ersten Sars-Pandemie 2002/03 klar, dass Katzen infizierbar sind. Der neue Erreger hat, soweit wir es bisher wissen, kein drastisch anderes Wirtsspektrum, infiziert also wohl keine grundlegend anderen Tiere als der alte. Das zweite ist, dass es in China eine experimentelle Studie gibt, die gezeigt hat, dass Katzen recht gut empfänglich sind für den Erreger. Im Gegensatz zum Beispiel zu Hunden, die nur wenig empfänglich sind.
Heißt das, es ist keine gute Idee, in den nächsten Wochen Nachbars Katze zu streicheln?
Bisher gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass sich Menschen bei einem Haustier mit dem Coronavirus infizieren können. Umgekehrt ist das schon wahrscheinlicher. Wir könnten also unsere Hauskatze anstecken. So war das ja auch beim Tiger in New York. In einem coronavirusinfizierten Haushalt sollte man deshalb die Abstandsregelung, die es beim Menschen gibt, auch gegenüber empfänglichen Tieren, insbesondere Katzen und Frettchen, einhalten. Ansonsten sollten allgemeine Hygieneregelungen im Umgang mit Tieren eingehalten werden. Also: häufig die Hände waschen, sich nicht übers Gesicht lecken lassen, nicht zu innig mit den Tieren schmusen. Grundlegende Hygieneregeln sind zwar momentan genauso wichtig wie sonst auch. Vor dem aktuellen Hintergrund ist es aber vielleicht besonders bedeutsam, noch einmal explizit darauf hinzuweisen.
Professor Thomas C. Mettenleiter