Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Brotlose Kunst
Sänger, Musiker und Schauspieler geraten trotz Corona-Hilfen in diesen Tagen schnell in existenzielle Not
GKONSTANZ/WEINGARTEN - Es war als weltweit einzigartiges Lichtkunstprojekt angekündigt: Auf 351 Fassadenfenstern des ehemaligen Konstanzer Fernmeldegebäudes hätte Beethovens sogenannte Schicksalssinfonie über LED-Fluter visuell interpretiert werden sollen. Die Südwestdeutsche Philharmonie hätte im vorgelagerten Post Pavillon dazu gespielt. Illuminierte, sprechende Bäume auf dem Vorplatz sollten aus der bewegten Geschichte des Gebäudes erzählen und einen Ausblick auf die künftige Entwicklung nach dem Umbau geben.
„Das wäre unser Beitrag zum Beethoven-Jahr gewesen“, sagt die Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie, Insa Pijanka. Hätte, wäre, sollte. Das Lichtkunstprojekt hat es nicht gegeben. Wie viele andere Veranstaltungen wurde das Konzert wegen Corona abgesagt. „Das Konzert hätte genau am ersten Tag des Versammlungsverbots stattfinden sollen. Es war der Horror“, erinnert sich das Lichtkünstler-Ehepaar Teresa Renn und Jan BehnstedtRenn an die Absage. Damit waren nicht nur drei Jahre Vorarbeit praktisch umsonst. Auch das Geld war bis auf die Miete für die Dixi-Klos praktisch schon ausgegeben. „Es geht nicht nur darum, dass einfach ein Konzert ausfällt“, sagt BehnstedtRenn. „Hinter solchen Projekten stehen eine ganze Wertschöpfungskette von der Veranstaltungsfirma bis hin zu den Gastro-Ständen, die schon das Fleisch eingekauft hatten.“
Immerhin konnte noch die Generalprobe aufgezeichnet werden. „Das war unser Glück“, sagt Teresa Renn. So hat das Lichtkünstler-Ehepaar zumindest das Filmmaterial bekommen. „Die Sponsoren haben alle ihren Anteil bezahlt“, sagt Teresa Renn. Daher benötige sie die Corona-Soforthilfe nicht. Zumindest nicht sofort. „Andere haben da derzeit sicherlich weit weniger Glück.“
„Vielen freien Künstlern geht es durch die Krise jetzt richtig schlecht. Ihnen sind von heute auf morgen die Einnahmen weggebrochen. Jetzt sind sie mit einem Wust aus Hilfsprogrammen konfrontiert“, sagt Intendantin Insa Pijanka. Immer wieder erreichen sie aus ihrem Freundeskreis Hilferufe. Dabei muss die Intendantin derzeit selber sehen, wie es weitergeht. Denn noch ist nicht sicher, wann der Konzertbetrieb weitergehen darf. Derzeit rechnet sie damit, dass auf jeden Fall bis Mitte Juni alle Konzerte der Philharmonie abgesagt werden müssen – mit den entsprechenden Folgen für bereits gebuchte Solisten.
Denn nach derzeitigem Stand geht die Südwestdeutsche Philharmonie davon aus, dass die von den Ausfällen betroffenen Gastdirigenten und Solisten nicht bezahlt werden müssen. Manche Bühnen würden ihre Gastkünstler dennoch bezahlen, sagt Insa Pijanka. „Das würde ich auch gerne machen, denn moralisch finde ich das richtig. Aber wir müssen auch verantwortungsvoll mit unseren Mitteln umgehen.“
Genau wie anderen Theatern, Bühnen und Orchestern brechen auch der Philharmonie durch die Corona-Krise die Einnahmen weg. „Wir müssen das Geld für bereits gekaufte Karten zurückerstatten.“Diese machen zwar nur 25 bis 30 Prozent des Budgets aus. „Aber die Gelder sind fest eingeplant. Vor allem für die Solisten“, sagt die Intendantin. „Viele wissen jetzt schon nicht mehr, wie sie ihre nächste Miete bezahlen sollen.“
Der Deutsche Tonkünstlerverband, der Berufsverband für Musikberufe mit rund 9000 Akteuren wie Komponisten, Instrumental- und Gesangsinterpreten, Musikpädagogen, Tontechnikern und Lehrbeauftragten, warnt daher bereits vor einem Kollaps der Kultur- und Kreativszene durch massive Verdienstausfälle. Die Corona-Pandemie treffe die selbstständigen Kulturschaffenden besonders hart, teilt der Verband mit. Leider enthalte das SoforthilfeProgramm Bedingungen, die für den Großteil der Solo-Selbstständigen nicht erfüllbar sind. Der Verband fordert daher im Schulterschluss mit dem Deutschen Musikrat ein Grundeinkommen für alle Künstlersozialkasse-Mitglieder
in Höhe von 1000 Euro netto. „Diese Maßnahme ist unbürokratisch durchführbar, transparent und hilft sofort“, heißt es in einem offenen Brief an die badenwürttembergische Kulturstaatssekretärin.
Genau wie Solo-Selbstständige und Unternehmen unter fünf Mitarbeitern können auch Künstler und Kulturschaffende in Baden-Württemberg und Bayern bis zu 9000 Euro aus der Corona-Soforthilfe des Landes erhalten. Das Geld muss nicht zurückgezahlt werden und auch das private Vermögen muss zuvor nicht aufgebraucht werden. Bei der Telefonberatung der Industrieund Handelskammer (IHK) Bodensee-Oberschwaben sind bereits zahlreiche Anfragen eingegangen. „Das Spektrum reicht von Musiklehrern, Fotografen, Alleinunterhaltern bis hin zu Grafikern, die unter den Werberückgängen der Tageszeitungen leiden“, sagt Sprecherin Nina Gerstenkorn. Aber auch Hundetrainer, Coaches oder Fitnesstrainer sind durch die Einschränkungen in Zahlungsnöte geraten, sagt Heike Wagner von der IHK Konstanz.
Das Problem: Da sie in der Regel keine Mitarbeiter oder teure Gewerberäume haben, geraten Künstler in der Regel nicht durch die laufenden Kosten, sondern durch die ausbleibenden Einnahmen in Bedrängnis. Daher wurde die Soforthilfe für Freiberufler und Künstler als eher unpassend kritisiert. Kurz vor Ostern stellte das baden-württembergische Wirtschaftsministerium jedoch klar, dass bei der Soforthilfe auch pauschale Kosten für den Lebensunterhalt in Höhe von 1180 Euro pro Monat angesetzt werden können.
„Das finden wir richtig und es ist wichtig, dass hier jetzt Klarheit besteht“, sagt Gerstenkorn weiter. Es bleibe aber dabei, dass ein Zahlungsengpass vorliegen muss. „Bei Unklarheit helfen wir gerne an der Hotline.“Auch die Mietkosten für Arbeitszimmer, Proberäume oder Ateliers können von der Soforthilfe angerechnet werden. „Der Musiklehrer, der normalerweise zu Hause unterrichtet, kann sich zum Beispiel die anfallenden Mietkosten anteilig für das Unterrichtszimmer zur Miete anrechnen lassen“, erläutert Gerstenkorn. Manche hätten aber auch kreative Lösungen gefunden und würden ihre Schüler per Videokonferenz unterrichten. Auch Versicherungen fürs Gewerbe oder Leasingraten für ein teures Instrument könne man angeben.
Wichtig für die Antragstellung sei, dass die Antragsteller begründen, wodurch die Zahlungsengpässe zustande kommen und welche Verbindlichkeiten bedient werden müssen, um in den nächsten drei Monaten nicht in die Insolvenz zu kommen, erklärt Heike Wagner von der IHK Konstanz.
Eine prüfenswerte Alternative zur Soforthilfe ist die CoronaGrundsicherung der Bundesagentur für Arbeit – also Arbeitslosengeld II, teilt der Deutsche Bühnenverein mit. Er hat auf seiner Homepage zahlreichen Förderinstrumente, aber auch Notfallfonds für Künstler aufgelistet. Die Corona-Grundsicherung würde auch vielen freiberuflichen Künstlern zur Verfügung stehen, die bisher kein Arbeitslosengeld II beantragen konnten. Tatsächlich wurde der Zugang darauf, zeitlich befristet, deutlich vereinfacht. So fällt zum Beispiel die eher mühsame Vermögensprüfung für die ersten sechs Monate aus. Außerdem werden in den ersten sechs Monaten des Leistungsbezugs die Ausgaben für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe und nicht nur bis zu einer bestimmten Größe anerkannt.
Die Arbeitsagentur weist auf ihrer Homepage ausdrücklich darauf hin, dass die Grundsicherung auch beantragt werden kann, wenn die Person einer Beschäftigung nachgeht. „Eine Erwachsene alleinstehende Person erhält aktuell 432 Euro. Kinder erhalten je nach Alter einen Regelbedarf von 250 bis 354 Euro“, heißt es weiter. Der Antrag auf Grundsicherung kann formlos telefonisch, per E-Mail oder per Post beim zuständigen Jobcenter gestellt werden.
In einer vergleichsweise komfortablen Situation sind bislang noch die fest angestellten Orchestermusiker. Zumindest in Deutschland bekommen sie nach wie vor ihr Gehalt. Die Metropolitan Opera in New York hat die Mitglieder des Orchesters und des Chores nach Informationen von BR Klassik dagegen bereits von April an unbezahlt freigestellt. Das Opernhaus in Zürich hat Kurzarbeit eingeführt.
Bei der Südwestdeutschen Philharmonie in Konstanz bekommen die Musiker noch 100 Prozent. Sie arbeiten zu Hause noch rund 50 Prozent und halten sich fit oder bereiten Stücke vor, die noch nicht abgesagt wurden. Viele nehmen auch Videos auf, und posten sie im Internet. „So halten wir wenigsten Kontakt zu unsrem Publikum“, sagt Insa Pijanka. Für die Musiker sei es jedoch belastend, nicht zu wissen, wann es weitergeht. Auch der Intendantin bereitet die Planungsunsicherheit Sorgen. Denn einfach in Kurzarbeit schicken kann sie ihre Musiker nicht. Eine Pandemie sieht der Tarifvertrag nicht vor. Entsprechende Verhandlungen zwischen Arbeitgeberverband und Musikergewerkschaft laufen allerdings bereits.
Mehr als 10 000 Musikfans haben innerhalb kurzer Zeit das Video der Lichtinszenierung von Beethovens fünfter Sinfonie auf dem Fernmeldehochhaus gesehen: www.schwäbische.de/beethoven