Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Müller darf kompletten Laden öffnen
Richter legen Corona-Verordnung anders als die Stadt aus – Was der Knackpunkt ist
GBIBERACH - Der Drogeriemarkt Müller in Biberach darf ab sofort wieder alle Stockwerke öffnen – und das trotz einer Gesamtverkaufsfläche von rund 2500 Quadratmetern. Das hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen entschieden, wie am Dienstag bekannt wurde. Bislang hatte die Stadt der Filialbetreiberin wegen der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg verboten, Artikel wie Spielzeug, Parfüms oder Schreibwaren zu verkaufen.
Seit Ende März war die Müller-Filiale in der Biberacher Altstadt deutlich kleiner als sonst. Im Erdgeschoss waren der Parfümerie-Bereich abgesperrt, Geschosse mit Spiel-, Schreib-, Haushaltswaren, oder Multimediaartikeln gar komplett geschlossen. „Wir haben das einvernehmlich mit der Filialleiterin beschlossen“, erläutert Stadtsprecherin Andrea Appel auf Nachfrage von Schwäbische.de. Müller zählt in der Innenstadt als einer der stärksten Frequenzbringer. Damit ist in Biberach zunächst etwas gelungen, was in Ulm scheiterte. Dort blieb das komplette Kaufhaus in der Hirschstraße trotz mahnender Worte des dortigen Oberbürgermeisters Gunter Czisch offen (SZ berichtete).
Doch diese Einvernehmlichkeit währte gerade einmal fünf Wochen. Es musste offenbar einen Sinneswandel innerhalb des Unternehmens von Erwin Müller gegeben haben, der in einen Antrag am Verwaltungsgericht Sigmaringen mündete. Seit Dienstagmittag ist klar: Der Drogeriemarkt mit Mischwarensortiment darf wieder vollständig öffnen. Denn die Richter kamen zum Schluss, dass die Untersagung und Anordnung der Abtrennung der Sortimente rechtswidrig sein dürfte.
Im Kern geht es um den Begriff des „Überwiegens“. Überwiegt der Anteil an typischen Drogerie-Artikeln, darf ein Mischwaren-Geschäft komplett offen bleiben. So sieht es die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg vor, weil die Öffnung von Drogerien unabhängig von deren Größe (ähnlich wie Supermärkte) grundsätzlich erlaubt ist. Überwiegt dagegen der Anteil an Multimedia, Haushalt, Spielwaren oder Schreibwaren, darf die Stadtverwaltung
eine Abtrennung auf 800 Quadratmeter anordnen.
Nun stellt sich die Frage, wie herausgefunden werden kann, welcher Anteil überwiegt. Und genau darin liegt der Knackpunkt. Die Stadt machte dies allein an der Verkaufsfläche fest. Ihr Ergebnis: Der Anteil an nicht typischen Drogerie-Artikeln überwiegt. Folglich sei der Markt zu verkleinern. Die Richter dagegen verweisen auf eine Gesamtbetrachtung, die auch den Umsatz mit einschließt. Diese Sichtweise ergebe sich auch aus den Auslegungshinweisen des Wirtschaftsministeriums, heißt es in einer Pressemitteilung.
Die Betreiberin habe valide Unterlagen über ihren Umsatz und ihren Bestand vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass mehrheitlich ein Umsatz durch solche Produkte erzielt werde, die normalerweise einem Drogeriebetrieb zuzuordnen seien. Damit liege der Fokus des Angebots auf den angebotenen Produkten des täglichen Bedarfs wie beispielsweise Kosmetik, Lebensmittel, Körperpflege und Haushalt. Das heißt auf Waren, die üblicherweise in einem Drogeriemarkt zu erwerben seien. Die weiteren Teilbereiche stellten „mithin offenkundig eine Ergänzung des übrigen Angebots dar“.
Grundsätzlich sei das eine Einzelfallentscheidung,
erläutert der Sprecher des Verwaltungsgerichts auf Nachfrage. Trotzdem könnten Betreiber anderer Filialen oder Ketten diesen Beschluss für sich anwenden und ebenfalls wieder öffnen. Zudem sei es theoretisch möglich, dass die Betreiberin die Stadt auf entgangenen Gewinn verklagt. Das Landgericht müsste darüber urteilen, inwiefern die Verwaltung schuldhaft gehandelt hat.
Bei der Stadt zeigte man sich am Dienstag „verwundert über die Auslegung der Rechtsordnung“. Wie Andrea Appel erläuterte, überwiege der Anteil an nicht typischen DrogerieArtikeln gemessen an der Verkaufsfläche deutlich. Laut Wirtschaftsministerium sei Verkaufsfläche oder der Umsatz ein möglicher Maßstab, um abzuwägen. „Das Gericht argumentiert jetzt anders und macht eine Gesamtbetrachtung“, sagt Appel. So habe die Verwaltung die Corona-Verordnung des Landes nicht verstanden. Auch nicht, weil die Maßnahmen bislang restriktiv gewesen seien unter der Prämisse: „Gesundheit steht über allem.“Am Dienstagnachmittag war im Biberacher Müller wieder alles geöffnet. Das Unternehmen hat auf eine Anfrage der Redaktion bis am Abend nicht reagiert.