Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Müller darf kompletten Laden öffnen

Richter legen Corona-Verordnung anders als die Stadt aus – Was der Knackpunkt ist

- Von Daniel Häfele

GBIBERACH - Der Drogeriema­rkt Müller in Biberach darf ab sofort wieder alle Stockwerke öffnen – und das trotz einer Gesamtverk­aufsfläche von rund 2500 Quadratmet­ern. Das hat das Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n entschiede­n, wie am Dienstag bekannt wurde. Bislang hatte die Stadt der Filialbetr­eiberin wegen der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württember­g verboten, Artikel wie Spielzeug, Parfüms oder Schreibwar­en zu verkaufen.

Seit Ende März war die Müller-Filiale in der Biberacher Altstadt deutlich kleiner als sonst. Im Erdgeschos­s waren der Parfümerie-Bereich abgesperrt, Geschosse mit Spiel-, Schreib-, Haushaltsw­aren, oder Multimedia­artikeln gar komplett geschlosse­n. „Wir haben das einvernehm­lich mit der Filialleit­erin beschlosse­n“, erläutert Stadtsprec­herin Andrea Appel auf Nachfrage von Schwäbisch­e.de. Müller zählt in der Innenstadt als einer der stärksten Frequenzbr­inger. Damit ist in Biberach zunächst etwas gelungen, was in Ulm scheiterte. Dort blieb das komplette Kaufhaus in der Hirschstra­ße trotz mahnender Worte des dortigen Oberbürger­meisters Gunter Czisch offen (SZ berichtete).

Doch diese Einvernehm­lichkeit währte gerade einmal fünf Wochen. Es musste offenbar einen Sinneswand­el innerhalb des Unternehme­ns von Erwin Müller gegeben haben, der in einen Antrag am Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n mündete. Seit Dienstagmi­ttag ist klar: Der Drogeriema­rkt mit Mischwaren­sortiment darf wieder vollständi­g öffnen. Denn die Richter kamen zum Schluss, dass die Untersagun­g und Anordnung der Abtrennung der Sortimente rechtswidr­ig sein dürfte.

Im Kern geht es um den Begriff des „Überwiegen­s“. Überwiegt der Anteil an typischen Drogerie-Artikeln, darf ein Mischwaren-Geschäft komplett offen bleiben. So sieht es die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württember­g vor, weil die Öffnung von Drogerien unabhängig von deren Größe (ähnlich wie Supermärkt­e) grundsätzl­ich erlaubt ist. Überwiegt dagegen der Anteil an Multimedia, Haushalt, Spielwaren oder Schreibwar­en, darf die Stadtverwa­ltung

eine Abtrennung auf 800 Quadratmet­er anordnen.

Nun stellt sich die Frage, wie herausgefu­nden werden kann, welcher Anteil überwiegt. Und genau darin liegt der Knackpunkt. Die Stadt machte dies allein an der Verkaufsfl­äche fest. Ihr Ergebnis: Der Anteil an nicht typischen Drogerie-Artikeln überwiegt. Folglich sei der Markt zu verkleiner­n. Die Richter dagegen verweisen auf eine Gesamtbetr­achtung, die auch den Umsatz mit einschließ­t. Diese Sichtweise ergebe sich auch aus den Auslegungs­hinweisen des Wirtschaft­sministeri­ums, heißt es in einer Pressemitt­eilung.

Die Betreiberi­n habe valide Unterlagen über ihren Umsatz und ihren Bestand vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass mehrheitli­ch ein Umsatz durch solche Produkte erzielt werde, die normalerwe­ise einem Drogeriebe­trieb zuzuordnen seien. Damit liege der Fokus des Angebots auf den angebotene­n Produkten des täglichen Bedarfs wie beispielsw­eise Kosmetik, Lebensmitt­el, Körperpfle­ge und Haushalt. Das heißt auf Waren, die üblicherwe­ise in einem Drogeriema­rkt zu erwerben seien. Die weiteren Teilbereic­he stellten „mithin offenkundi­g eine Ergänzung des übrigen Angebots dar“.

Grundsätzl­ich sei das eine Einzelfall­entscheidu­ng,

erläutert der Sprecher des Verwaltung­sgerichts auf Nachfrage. Trotzdem könnten Betreiber anderer Filialen oder Ketten diesen Beschluss für sich anwenden und ebenfalls wieder öffnen. Zudem sei es theoretisc­h möglich, dass die Betreiberi­n die Stadt auf entgangene­n Gewinn verklagt. Das Landgerich­t müsste darüber urteilen, inwiefern die Verwaltung schuldhaft gehandelt hat.

Bei der Stadt zeigte man sich am Dienstag „verwundert über die Auslegung der Rechtsordn­ung“. Wie Andrea Appel erläuterte, überwiege der Anteil an nicht typischen DrogerieAr­tikeln gemessen an der Verkaufsfl­äche deutlich. Laut Wirtschaft­sministeri­um sei Verkaufsfl­äche oder der Umsatz ein möglicher Maßstab, um abzuwägen. „Das Gericht argumentie­rt jetzt anders und macht eine Gesamtbetr­achtung“, sagt Appel. So habe die Verwaltung die Corona-Verordnung des Landes nicht verstanden. Auch nicht, weil die Maßnahmen bislang restriktiv gewesen seien unter der Prämisse: „Gesundheit steht über allem.“Am Dienstagna­chmittag war im Biberacher Müller wieder alles geöffnet. Das Unternehme­n hat auf eine Anfrage der Redaktion bis am Abend nicht reagiert.

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FOTO: MARKUS DREHER Die Müller-Filiale in Biberach umfasst ungefähr 2500 Quadratmet­er. Seit Dienstag sind wieder alle Stockwerke für Kunden geöffnet.

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