Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Kannst du uns Karten besorgen?“
Stell dir vor, der VfB spielt, und keiner darf hin – Eindrücke aus Stuttgart
GSTUTTGART - Donnerstag, rund um die Mercedes-Benz-Arena, zwei Stunden vor dem Spiel. Normalerweise müsste man jetzt Schritttempo fahren, da Fans vor Großveranstaltungen des Öfteren sehr forsch, ab und an auch leicht schwankend, nicht existierende Zebrastreifen überqueren, weil eine Masse ja vieles darf, selbst Fußgängerüberwege erfinden. Noch Mitte März, vor dem 1:1 gegen Bielefeld, als trotz der nahenden Gefahr einer Pandemie 54 000 Anhänger den fünfmaligen deutschen Meister VfB Stuttgart beim Fußballspielen beobachten wollten, waren da tatsächlich noch überall Menschen in weißrot gewesen: auf der A 96, auf der B 10, vor dem Stadion, und natürlich: im Stadion.
Elf Wochen später aber, vor dem großen Duell gegen den HSV, vor dem Schlüsselspiel um den Aufstieg, ist nichts mehr, wie es war – und wie es Fußballfans dieser Welt seit bald hundert Jahren gewohnt sind. Keiner darf mehr rein in so ein Fußballstadion, außer ein paar, exakt abgezählte, selektierte Vertreter von Medien. Verwaist sind sie plötzlich, menschen- und autoleer, die Wege rund um den Wasen, die wahlweise Benz- oder Mercedesund bestimmt auch bald Janis-JoplinStraße heißen und die gekrönt werden von einem formvollendeten Museum, das in der Abendsonne so metallischmajestätisch glitzert wie eine runde Designerkirche. Keiner ist diesmal da. Keine Polizei auf Pferden, keine weißrot geschmückten Fußballindianer, auch keine Pfandsammler, die Einkaufswagen vor sich hinschieben, um die Flaschen aufzulesen, die die Fans in die Ecken stellen. Willkommen zum ersten Geisterspiel in der Geschichte des VfB Stuttgart von 1893.
Ein paar Dutzend sitzen allerdings doch im Biergarten des Clubheims und vor dem Palm Beach, einer riesigen Burgerbar neben der PorscheArena, wo sie wie immer Leinwände und Fernseher aufgebaut haben für jene, die freiwillig draußen bleiben – oder draußen bleiben müssen. Auch Max, 50, gebürtiger Göppinger, trifft sich dort mit zwei Cousins, er ist extra aus der Freiburger Ecke angereist, wo er arbeitet. Max gehört zu jenen Fans, die nach dem ersten Abstieg vor drei Jahren Mitglied wurden. Seit damals hat er auch eine Dauerkarte, Block 34, bei den Treuesten der Treuen, eine Karte, die er in dieser Saison allerdings nicht mehr brauchen wird.
Max liebt den VfB, seit er klein ist, aber seit die DFL ankündigte, sie wolle auch ohne Zuschauer spielen, ist er einigermaßen angefressen – vor allem auf den TV-Sender Sky, aber auch auf die Liga, die die Spiele auch ohne die, von denen sie zumindest indirekt in allen Bereichen abhängig sind, durchziehen. „Die Bundesligaclubs sind doch nur noch Sky-Marionetten. Die laufen nur noch dem Geld hinterher, das wird immer extremer. Da wird jeder Cent aus den Fans herausgepresst“, schimpft Max. Natürlich