Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Bei Blattläusen großzügig sein
Mit den konstant warmen Temperaturen beginnt das große Krabbeln der Insekten in unseren Gärten. Besonders häufig saugen verschiedenfarbige Blattläuse an Blättern und Trieben vieler Pflanzen. Fast jeder Hobbygärtner erkennt diese Übeltäter, zumal sie gleich in größeren Kolonien zusammensitzen. Viele Menschen ekeln sich bei diesem Anblick. Schade, denn ihnen entgeht die Vielseitigkeit der mehr als 800 verschiedenen Blattlausarten in unseren Breiten und damit auch, welch spannenden Lebenslauf sie haben. Einige ziehen sozusagen von Kneipe zu Kneipe, um die Getränkeauswahl verschiedener (Pflanzen-)Wirte auszukosten. Einsamer Spitzenreiter in dieser Kategorie ist die grüne Pfirsichblattlaus, die mehr als 400 Pflanzenarten befällt.
Die Meinungen, ob etwas gegen diese Plagegeister im eigenen Garten unternommen werden sollte, gehen auseinander. Ich bin beim Thema Blattläuse eindeutig dafür, die Regulierung der Natur zu überlassen. Denn grundsätzlich gilt: Jeder Eingriff unsererseits in ein funktionierendes Gartensystem führt zu Irritationen unter den beteiligten Lebewesen. Im Fall der Blattläuse sollten wir gönnerhaft sein.
Für viele nützliche Tierarten stellen diese sich schnell in Massen reproduzierenden Insekten ein willkommenes Fastfood dar. Allen voran die Meisen. Ich finde es herrlich, ihnen dabei zuzuschauen, wenn sie sich in halsbrecherischer Weise an die befallenen Triebe hängen und die Läuse regelrecht abschlürfen. Und das ist erst die Vorspeise. Als Hauptgang machen sie sich dann über Raupen von gefürchteteren Schädlingen wie Prozessionsspinner oder Buchsbaumzünsler her.
Wir können es uns nicht leisten, auf diese zu 100 Prozent natürliche Schädlingsregulierung zu verzichten. Unser Ziel sollte daher sein, all diese Helfer bei guter Laune zu halten, damit sie sich langfristig in unseren Gärten etablieren.
Tina Balke ist Pflanzenärztin. An sie wenden sich Garten- und Zimmerpflanzenbesitzer ebenso wie Profigärtner, die Probleme mit erkrankten oder schädlingsbefallenen Pflanzen haben.
Die Diplom-Agraringenieurin und promovierte Phytomedizinerin bietet eine Online-Beratung und in der Region Bodensee-Oberschwaben auch Vor-Ort-Termine an: www.die-pflanzenaerztin.de
Gerade einmal 2,8 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen gehen auf das Konto des Luftverkehrs. Und doch sind Flugzeuge ein entscheidender Knackpunkt bei den Maßnahmen gegen den Klimawandel. Schließlich werden die wenigsten Menschen bereit sein, für eine Reise nach Neuseeland, Südamerika oder Japan mehr als zwei Wochen für die Hin- und Rückreise auf einem Schiff zu verbringen. Selbst Urlaubsflüge auf die Kanaren, nach Tunesien und in die Türkei oder nach Mallorca dürften in der Nach-Covid-19-Zeit kaum durch tagelange Kombinationen von Zügen und Fähren ersetzt werden. Viel realistischer scheinen die Überlegungen von Johannes Hartmann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Hamburg, in einem Flugzeug der Zukunft verschiedene klimaschonende Antriebe zu kombinieren. Eine solche Möglichkeit könnten zum Beispiel mit Wasserstoff arbeitende Brennstoffzellen für den Reiseflug auf Strecken bis 2000 Kilometern sein, während ebenfalls mit Wasserstoff betriebene Gasturbinen den nötigen Schub für den Start liefern.
45 DLR-Forscher nehmen im Projekt EXACT of Electric
(Exploration Aircraft Concepts Technologies)
and aus einem triftigen Grund die Reichweite von 2000 Kilometern besonders ins Visier: „Lang- und Mittelstreckenflüge waren 2018 weltweit jeweils für etwa die Hälfte der Kohlendioxid-Emissionen des Flugverkehrs verantwortlich, bei einer Entfernung von knapp 2000 Kilometern gab es einen deutlichen Peak“, erklärt EXACT-Projektleiter Johannes Hartmann. Ein Flugzeug mit mindestens 70 Passagieren, das mit dieser Reichweite klassische Strecken wie von Berlin nach Mallorca, Rom oder Athen möglichst klimaneutral bedient, wäre also besonders wichtig und könnte die beiden mit Abstand wichtigsten derzeitigen Flugzeug-Familien um den Airbus A320 und die Boeing 737 ersetzen.
Bisher entwickelten die Hersteller solche Flugzeuge vor allem mit Blick auf die Kosten, erst danach schauten sie auf die Auswirkungen auf das Klima. Das DLR kehrt dieses Prinzip jetzt um: „In gerade einmal vier Jahren wollen wir Konzepte für Flugzeuge mit verschiedenen hybrid-elektrischen Antrieben untersuchen“, sagt Johannes Hartmann. Die Kombination von Brennstoffzellen und Gasturbinen, die beide mit Wasserstoff betrieben werden, ist dabei eine besonders erfolgversprechende. Brennstoffzellen haben einen sehr guten Wirkungsgrad und setzen etwa 50 bis 60 Prozent der im Wasserstoff steckenden Energie in Antrieb um. Das reicht nicht nur, um eine Maschine auf dem Rollfeld anzutreiben, sondern auch für den Reiseflug.
Beim Start und im Steigflug aber braucht ein Flugzeug erheblich mehr Schub, um erst einmal auf die angestrebte Reisehöhe zu kommen. Diesen wiederum könnten zwei Gasturbinen liefern, die heutigen Triebwerken stark ähneln, aber an den Betrieb mit Wasserstoff angepasst werden müssten. Im Vergleich mit Brennstoffzellen haben heutige Flugzeugturbinen zwar mit 30 bis 40 Prozent einen erheblich schlechteren Wirkungsgrad, der sich aber ein wenig verbessern lässt, wenn die Ingenieure die Triebwerke nicht als Allrounder, sondern speziell für die beim Start benötigte Leistung auslegen. „Solche Gasturbinen könnten auch bei der Landung mitlaufen, um zum
Beispiel ein Durchstarten zu ermöglichen, wenn auf der Landebahn unerwartet ein Hindernis auftauchen sollte“, erklärt DLR-Forscher Johannes Hartmann.
Eine weitere Komponente im Antriebsmix könnte ein Turboprop-Antrieb sein, bei dem eine mit Wasserstoff betriebene Gasturbine einen Propeller antreibt. Diese Flugzeuge fliegen allerdings mit vielleicht 800 Kilometern in der Stunde ein wenig langsamer. Dadurch dauert ein Flug über 1500 oder 2000 Kilometer dann vielleicht 15 oder 20 Minuten länger. Gleichzeitig aber sinkt der Treibstoffverbrauch erheblich. „Außerdem fliegen Turboprop-Maschinen in geringeren Flughöhen unter 29 000 Fuß, in denen keine Kondensstreifen entstehen, die ebenfalls das Klima ein wenig aufheizen können“, erklärt Johannes Hartmann weiter.
Der jeweils benötigte Wasserstoff kann zum Beispiel aus Windkraftoder Solarstrom ohne Kohlendioxidemissionen
mit einer altbekannten Technik aus Wasser hergestellt werden. Ein Flugzeugtank müsste allerdings noch entwickelt werden. Dafür gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten: Man könnte das extrem voluminöse Gas mit einem sehr hohen Druck von 700 bar zusammenpressen. Nur wäre ein solcher Drucktank zehn- bis zwanzigmal schwerer als der in ihm transportierte Wasserstoff und kommt daher für den Flugverkehr kaum infrage.
Erheblich leichter ist dagegen eine Isolierung, in der Wasserstoff bei extrem niedrigen Temperaturen von minus 252 Grad Celsius als Flüssigkeit schwimmt. Solche Tanks hätten zwar für Autos einen Riesennachteil, weil erhebliche Mengen des Wasserstoffs verdampfen, wenn das Fahrzeug ein paar Tage unbenutzt auf dem Parkplatz steht. Bei Flugzeugen spielt dieser Verlust kaum eine Rolle, weil sie ohnehin erst kurz vor dem Start betankt werden.
Allerdings steckt in einem Liter heutigen Kerosins die gleiche Energie wie in vier Litern flüssigen Wasserstoffs. Also müssten die Tanks und damit auch das Flugzeug erheblich größer werden. Dadurch steigt natürlich auch der Luftwiderstand. Das wiederum spielt auf Strecken bis zu 2000 Kilometern kaum eine Rolle. Auf Langstrecken aber müssen Flugzeuge viel mehr Treibstoff mitnehmen und das Volumen von Tanks und Jet steigt stark an. Dadurch steigt der Luftwiderstand und damit der Treibstoffverbrauch enorm – flüssiger Wasserstoff bringt auf der Langstrecke also einen deutlichen Nachteil. Als Alternative kommen für den Flug von Frankfurt nach New York oder nach Südamerika daher aus heutiger Sicht auch synthetische Treibstoffe infrage, die ähnlich wie Kerosin aussehen, aber klimaneutral aus Solarenergie, Wasser und Kohlendioxid aus der Luft hergestellt werden. Auch an diesem Kerosin der Zukunft arbeitet das DLR bereits in anderen Projekten.
Aus dem Rennen ist flüssiger Wasserstoff auf der Langstrecke aber keineswegs. So können Ingenieure den steigenden Luftwiderstand durch Änderungen im Design des Flugzeugs und weitere Maßnahmen erheblich verringern. Vor allem aber hat flüssiger Wasserstoff auch einen deutlichen Vorteil gegenüber Kerosin und wohl auch synthetischem Treibstoff: Ein Kilo enthält die gleiche Energie wie 2,8 Kilogramm heutigen Kerosins. Das aber ist gerade auf der Langstrecke besonders wichtig, weil heute allein der Treibstoff 40 Prozent des Startgewichts eines Jets stellt. Auch in der Gesamtbilanz hat Wasserstoff gegenüber synthetischen Treibstoffen die Nase klar vorn, weil deren Herstellung oft viel mehr Energie verschlingt als die Produktion von Wasserstoff.
Johannes Hartmann und seine Kollegen im Projekt EXACT prüfen aber auch noch weitere Alternativen und Kombinationen sowie deren Auswirkungen auf die Flughäfen der Zukunft und ihre Infrastruktur, auf die Wartung der Maschinen und nicht zuletzt auf die Kosten für Airlines und Passagiere auf der 2000-Kilometer-Strecke. Sollte sich auf der Kurz- und Mittelstrecke langfristig der aus heutiger Sicht besonders geeignete Wasserstoff durchsetzen, würde das auch die Langstrecke beeinflussen: Schließlich wollen die Betreiber daneben möglichst keine weitere Infrastruktur für synthetische Treibstoffe unterhalten und bezahlen, wenn Wasserstoff auch für Flüge nach Buenos Aires und Tokio gut abschneidet.