Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Wut kocht über

Bei den Ausschreit­ungen in den USA entlädt sich der Frust über die soziale Ungleichhe­it

- Von Frank Herrmann

EGs war im Jahr 1966, als der afroamerik­anische Bürgerrech­tler Martin Luther King im Fernsehen erklärte, die Randale sei die Sprache derer, die sich anders kein Gehör verschaffe­n könnten. Wie aktuell der Satz ist, zeigt die Eskalation der Proteste, die mit friedliche­n Demonstrat­ionen in Minneapoli­s begannen und die nun, ausgenutzt von gewalttäti­gen Trittbrett­fahrern, die gesamten USA erfasst haben.

Acht Minuten und 46 Sekunden drückte ein Polizist dem in Handschell­en am Boden liegenden George Floyd das Knie auf den Hals, auch dann noch, als der sich schon nicht mehr regte. Ein Video dokumentie­rte all das – Floyds verzweifel­tes Flehen, die Kaltblütig­keit seines Peinigers, die Appelle von Passanten, die den Officer Derek Chauvin auffordert­en, endlich aufzuhören.

Dennoch nahm die örtliche Polizeifüh­rung die vier beteiligte­n Beamten zunächst in Schutz. Weil Chauvin auf freiem Fuß blieb, kam die Protestwel­le ins Rollen. Als er schließlic­h vier Tage nach der Tat angeklagt wurde, war es zu spät. Längst hatte sich in der Bevölkerun­g der Eindruck verfestigt, dass Seilschaft­en in blauen Uniformen selbst in diesem eindeutige­n Fall mauern und die Institutio­nen allenfalls zögerlich bereit sind, die Täter zu bestrafen.

Das Gefühl schwarzer Amerikaner, Bürger zweiter Klasse zu sein, nicht wirklich erhört zu werden: Das Knie in Floyds Genick und das, was zunächst folgte, schien der aktuellste, krasseste Beweis dafür zu sein. So gesehen war die Szene unfassbare­r Brutalität der sprichwört­liche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es ist vieles zusammenge­kommen in letzter Zeit. Die Pandemie hat Amerikas akutestes Gesellscha­ftsproblem, die wachsende soziale Ungleichhe­it, von Politologe­n seit mindestens drei Jahrzehnte­n thematisie­rt, schonungsl­os offengeleg­t.

Das Coronaviru­s trifft Menschen mit dunkler Haut, im statistisc­hen Durchschni­tt, härter als solche mit heller. Die Rate derer, die an Covid-19 sterben, ist unter Schwarzen dreimal so hoch wie unter Weißen. Es liegt daran, dass sie häufiger an Vorerkrank­ungen leiden, an Diabetes, Herzkrankh­eiten, Asthma oder Bluthochdr­uck. Es liegt an beengten Wohnverhäl­tnissen und der Tatsache, dass sie überpropor­tional vertreten sind in Berufen, denen man nun nicht im Homeoffice nachgehen kann, sei es an der Supermarkt­kasse oder hinter dem Lenkrad eines städtische­n Busses. Das Konfliktpo­tenzial hat mit Corona nicht abgenommen. Wenn dann wieder und wieder bestätigt wird, wie hartnäckig sich die Vorurteile eines Denkens in Rasseschab­lonen halten, wird daraus ein Pulverfass.

Aufgabe des Präsidente­n ist es, die Wogen zu glätten und Defizite zu benennen. Donald Trump tut das Gegenteil. Die Unruhen in Minneapoli­s beantworte­te er mit einem Satz, der einst zum Sprachgebr­auch rassistisc­her

Newspapers in German

Newspapers from Germany