Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Schwarz und schön
Rassismusstreit in Ulm: Warum der Mohrenkönig nicht ins Münster gehört
Eine Attraktion bei der KinderFasnet um 1950 in meinem südbadischen Heimatstädtchen waren Bänkelsänger, die bemalte Tafeln kommentierten. Ein Bild sehe ich heute noch vor mir: ein wüster Schwarzer mit Kraushaar, wulstigen Lippen und einem riesigen Ohrenring. Ein Sänger deutete mit dem Stock darauf und hob an: „Isch des nit e Negerschwulle?“Und wir johlten: „Doch, des isch e Negerschwulle.“Und weiter: „Het der nit e Kopf voll Wulle? – „Doch, der het e Kopf voll Wulle“. Wir dachten uns nichts dabei – damals. Bald darauf verschwand der alte Brauch allerdings, mitsamt den noch aus der NS-Zeit stammenden Tafeln.
Warum dieser persönliche Einstieg? Die Tatsache, dass eine solche Erinnerung auch nach langer Zeit noch sehr präsent ist, sagt viel aus über die Wirkmächtigkeit von Stereotypen im Umgang mit dunkelhäutigen Menschen. Und wie eine Diskussion um solche Stereotypen aus dem Ruder laufen kann, erleben wir derzeit in Ulm. Bekanntlich hat sich die evangelische Münstergemeinde entschieden, dieses Jahr die Weihnachtskrippe ohne die Dreikönige zu zeigen. Angesichts der derzeit laufenden Debatte um Rassismus hält man die „grotesk überzeichnete“Figur des dunkelhäutigen Melchior für nicht mehr vertretbar. Seither tobt ein erbitterter Streit. Die eine erheben den Vorwurf der Cancel Culture, also der Entfernung von Missliebigem aus politischer Korrektheit. Die anderen verweisen darauf, dass eine solche Karikatur in einem Gotteshaus schlichtweg nicht mehr vertretbar ist, wenn Menschen sich zunehmend abgestoßen fühlen.
Zur Einordnung ist ein Blick auf die Dreikönigstradition vonnöten. Der Evangelist Matthäus (2,1-12) schildert die Episode von den Magiern im Stall von Bethlehem, die bald darauf ein von Legenden verbrämtes Eigenleben führen sollte. Aus der Anzahl der Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe schlossen die frühen Kirchenlehrer auf drei Personen. Weil sie eine Stelle in Psalm 72 von Königen mit Geschenken auf den neugeborenen Messias bezogen, wurden aus den Magiern gekrönte Häupter. Im 6. Jahrhundert erstmals Kaspar, Melchior und Balthasar genannt, galten sie als Vertreter der drei Lebensalter – Jüngling, Erwachsener, Greis. Und vom 9. Jahrhundert an ordnete man sie den damals bekannten drei Erdteilen Europa, Asien und Afrika zu, um die Universalität des Christentums zu bezeugen. Damit stand fortan auch ein dunkelhäutiger König an der Krippe – ob nun eher mit nordafrikanischen Zügen oder mit subsaharischen.
Aber wie schillernd diese Überlieferung auch sein mag, sie hat einen Grundtenor: Die drei Weisen waren die ersten Heiden, die den Gottessohn anbeteten, und damit sehr wichtige Zeugen der Friedensbotschaft. Bald galten sie als Heilige, denen die Kirche mit größter Ehrfurcht begegnete, was man auch stets an ihrer Darstellung ablesen konnte, ob auf Altären oder später auch in Weihnachtskrippen. Bei der „Anbetung der Könige“ließen die Künstler ihrer Freude an der Noblesse freien Lauf.
Nun gab es im Mittelalter sehr wohl eine Ambivalenz bei der Darstellung von Schwarzen in der Kirche. Die
Farbe Schwarz war negativ belegt, als Symbol für das
Böse. So trieben schwarze Teufel ihr Unwesen, aber auch schwarze Schergen bei der Folterung Jesu. Ein Umdenken lässt sich unter anderem ablesen an der Verehrung des heiligen Mauritius, der als schwarzer
Anführer der 290 wegen ihres christlichen Glaubens hingerichteten Thebäischen Legion unter Kaiser Otto I. um 950 zum Reichsheiligen aufstieg.
Immer präsent war zudem die dunkelhäutige Geliebte aus dem Hohelied des Alten Testaments: „Schwarz bin ich, aber schön“. Der König aus Afrika – meist der jüngste der drei – steht nun genau in der Tradition dieses Zitats. Man muss sich nur die oft bildschönen, würdevollen, prächtig gewandeten Gestalten anschauen, die uns große Künstler seit der Gotik hinterlassen haben – Dürer, Cranach, Altdorfer, Bosch, Memling, El Greco, Rubens, Tiepolo oder – aus unserer Region – der Meister von Meßkirch. Es sind Menschen mit fremdländischem Aussehen, aber von Despektierlichkeit keine Spur.
Womit wir beim Ulmer Melchior wären. Zwischen 1923 und 1934 schnitzte der Neu-Ulmer Bildhauer Matthias Scheible für seinen Freund und Gönner Julius Mößmer eine Krippe – darunter auch die krasse Figur eines Königs mit übertrieben negroiden Zügen, wulstigen Lippen, riesigen Ohrringen, Sichelbeinen und einem Federschmuck wie eine Narrenkappe. Scheible war ein renommierter Künstler, der für Kirchen in Ulm und weit darüber hinaus arbeitete und später Kunstbeauftragter der evangelischen Landeskirche wurde. Und Scheible war Expressionist, geprägt wie Max Beckmann, George Grosz oder Otto Dix vom Zusammenbruch der alten Werteordnung nach 1918, dem sie dann künstlerisch Ausdruck verliehen – bis hin zur bösen Karikatur. Aus dieser Zeit heraus muss man Scheibles Fingerübung für den privaten Hausgebrauch verstehen. Inwieweit nun bei seinem Melchior noch koloniale Klischees nachebbten, lässt sich schwer sagen. Bernhard Rüth, Kulturchef des Landkreises Rottweil und anerkannter Krippenexperte, sieht Scheible als
„Künstler des Zeitstils, dem man jedoch keine rassistische Verunglimpfung unterstellen kann“. Aber er hält die Nutzung als Krippe im kirchlichen Umfeld für durchaus fraglich.
Das ist auch der springende Punkt. Für die größte evangelische Kirche Deutschlands hat Scheible sie nicht geschaffen – zu klein, zu ausgefallen und zu provokant. An Weihnachten gezeigt wird sie im Münster erst seit 1992. Damals hat die Familie Mößner sie der Münstergemeinde vermacht, damit sie als Gesamtkunstwerk der Öffentlichkeit zugänglich ist. Eingefädelt hatte die Aktion der frühere Münsterbaumeister Gerhard Lorenz, ein Freund der Familie, der auch dabei gewesen war, als man 1944 die Figuren aus dem Kellerschutt des zerbombten Mößnerschen Hauses barg – unbestritten eine anrührende Geschichte.
Als populärer Ulmer gilt der schwarze Melchior aber, weil er eine goldene Brezel in der Hand hält. Die Legende besagt, dass die Dreikönige auf dem Weg nach Jerusalem auch durch Ulm kamen, wo es verführerisch nach Brezeln duftete. Melchior habe dem Jesuskind eine solche Brezel mitbringen wollen, davon aber immer wieder gegessen, bis fast nichts mehr übrig war – und vor Ärger darüber sei er schwarz geworden. Manche mögen das für nette Folklore halten, aber im Grund demonstriert auch diese skurrile Marginalie die fehlende Tauglichkeit des Melchior für den liturgischen Gebrauch. In der FAZ betonte der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin zu Recht: „Die Krippe muss sich am Evangelium messen lassen.“
Aber um diesen kirchlichen Hintergrund geht es schon lange nicht mehr. Münsterdekan ErnstWilhelm Gohl hat die vorläufige Entfernung der Dreikönige nicht zuletzt mit dem zunehmenden Unbehagen an der heute als rassistisch interpretierbaren Darstellung begründet. In der Tat: Sieht man die Figur zum ersten Mal, so drängt sich einem die Frage auf, warum sie überhaupt noch so lange gezeigt wurde. Weil sie unter Ulmern so beliebt war? Weil ihre rassistische Note nicht gesehen wurde – oder nicht gesehen werden wollte? Viele Ulmer sind nun schlichtweg dankbar für diese Entscheidung. Die Fraktion der Eiferer hingegen frohlockt. Sie sieht eine neue Wegmarke gesetzt im Kampf für eine Welt ohne Mohren. Aber dazu sei nur so viel gesagt: Ihre Argumentation, wenn es um die Umbenennung von Mohrengassen, Mohrenapotheken oder Brauereien und Gasthöfen mit dem Mohren im Namen geht, war schon immer bedenklich, weil bewusst gezinkt wird. Das fängt bei der etymologischen Deutung von Mohr an. Es geht nachweislich auf griechisch mauros (braun, schwarz, Bewohner Mauritaniens) zurück, daher auch der Name Mauritius. Es auf ein griechisches moros (töricht, dumm) zu beziehen, wie oft zu hören, ist sehr fragwürdig und riecht nach Rechtfertigung für die gewünschte negative Konnotation. Außerdem ist den Verfechtern einer mohrenfreien Zone sehr wohl bewusst, dass die früheren Benennungen differenziert zu sehen sind – nicht nur negativ, gerade wegen des Bezugs zu den Dreikönigen. Aber das will man nicht hören.
Entscheidend in dieser MelchiorDiskussion ist vor allem, dass Menschen anderer Hautfarbe sich von dieser Zerrfigur – zumal noch in einer Kirche – beleidigt fühlen, und das muss man akzeptieren. Sie haben bislang eher stumm gelitten unter ihrer Sonderstellung. Aber je mehr die Diskussion über den vermeintlich für gebändigt gehaltenen Rassismus an Fahrt gewinnt, befeuert noch durch Vorgänge wie in den USA, umso mehr melden sie sich und mahnen Sensibilität an. Dekan Gohl berichtet von einer schwarzen Mutter, die sich ihm zögerlich anvertraute und von den täglichen, unerträglichen Erniedrigungen ihrer Kinder erzählte. Sie hat sich ausdrücklich für die Demarche in Sachen Melchior bedankt.
Aber Gohl berichtet auch von der gewaltigen Lawine von Protesten, die auf ihn niederdonnert. Manches lässt sich argumentativ ausräumen. Gegen die Hunderte von widerwärtigen Hass-Mails, vor allem aus dem rechtsradikalen Milieu, ist allerdings kaum etwas auszurichten. Das kann übrigens jeder im Netz nachprüfen. Was soll man noch sagen, wenn von „linksversifften Kirchendienern“die Rede ist, „die deutsches Kulturgut ausmerzen“. Man solle sich nicht so haben, heißt es da weiter, so wie dieser Melchior sähen Neger nun mal aus …
Über das künftige Schicksal der Krippe soll nun beraten werden. Sie wieder einmal vollständig im Münster zu zeigen und mit erklärenden Texten zu versehen, greift sicher zu kurz. Eine Kirche ist nun mal kein Museum. Aber apropos: Ein paar Meter vom Münster entfernt steht das Ulmer Museum, ein Haus voller sakraler Kunst – und für eine anregende Präsentation von diskussionsbedürftiger Kunst sicher zu haben. Muss man nur noch die Münstergemeinde überreden, die Krippe weiterzuschenken.
Parzinger spricht von Bedrohungslage für Museen
KÖLN (KNA) - Museen in Deutschland sind nach den Worten des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, mit einem neuen Bedrohungsszenario konfrontiert. „Man muss sich eben auch überlegen, kann man Großobjekte wirklich noch so frei dem Besucher anbieten“, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk mit Blick auf Kunstdiebstähle in Berlin und im Dresdner Grünen Gewölbe sowie auf die Beschädigung zahlreicher Kunstobjekte auf der Berliner Museumsinsel am 3. Oktober. Das gelte auch für archäologische Großobjekte. Parzinger sprach von einem schockierenden Ausmaß an Vandalismus. „Ich frage mich schon
Preise für das Ehepaar Hirschhäuser und Axel Ranisch
HOF (dpa/epd) - Bei den Hofer Filmtagen, die am Sonntag enden, wurden zwei Preise vergeben: Die Regisseurin und ihr Ehemann, der Kameramann
Sevgi Hirschhäuser
Chris Hirschhäuser
(Fotos: dpa), erhielten für ihr Debütwerk „Tobrak“den „Hofer Goldpreis“, einen Goldbarren im
Wert von 35 000 Euro. Der Film spielt im Heimatdorf von Sevgis Mutter in der Türkei. Ein Junge wächst dort als Waisenkind bei seiner Großmutter und seinem Onkel auf. Doch als er älter wird, muss er sich entscheiden: Wird er das traditionelle Landleben seines auch, was in unserer Gesellschaft eigentlich derzeit vorgeht. Wenn man sieht, wie vermüllt die Museumsinsel ist, nachts werden Partys gefeiert, seit der Corona-Krise nimmt das inzwischen Züge an, die schlimm sind.“Das Bewusstsein sei verloren gegangen, welchen Wert kulturelles Erbe, Kulturschätze, Museumssammlungen wirklich hätten. Zugleich warnte der Kulturmanager vor einer Einschränkung der Freiheit der Museen. Immer häufiger würden Ausstellungen angefeindet, etwa von extrem rechten Gruppen oder wenn sie Themen des Islam aufgriffen. „Das ist mindestens genauso schlimm wie die Beschädigung von Objekten, weil es sozusagen die Freiheit des Gedankens und des Denkens beschädigt.“
Onkels fortführen? Die spürbare Anteilnahme an der Geschichte des Jungen habe eine „innere Glaubwürdigkeit, wie sie im Kino eine seltene Ausnahme geworden ist“, betonten die Regisseure und Autoren Edgar Reitz und Bernhard Sinkel, die die Preisträger ausgewählt haben.
Der Filmpreis der Stadt Hof ging an den Berliner Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor Axel Ranisch. Die Hofer Oberbürgermeisterin Eva Döhla (SPD) würdigte den Preisträger bei der Übergabe am Donnerstagabend: „Ranisch legt sich nicht auf ein bestimmtes Genre fest, und das ist ganz wundervoll.“