Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Anlieger legen Widerspruc­h gegen Krematoriu­mspläne ein

Mehr als 50 Unterzeich­ner halten den angedachte­n Standort beim Neuen Friedhof für ungeeignet – Befürchtet wird auch ein „Leichentou­rismus“

- Von Roland Ray

LAUPHEIM - Siedelt sich ein Krematoriu­m in Laupheim an? Im September berichtete die Erste Bürgermeis­terin Eva-Britta Wind dem Bau- und Umweltauss­chuss, dass jemand bei der Stadt Interesse angemeldet hat, eine solche Einrichtun­g zu bauen. Als möglichen Standort nannte sie den Bereich nördlich des Neuen Friedhofs, zwischen dem Mischgebie­t „Beim Bildsäule“und dem Gewerbegeb­iet „Ulmer Straße Nord“. Dagegen haben Anwohner und Gewerbetre­ibende in dem Gebiet jetzt vorsorglic­h Widerspruc­h eingelegt.

In einem Schreiben an Rathaus und Gemeindera­t, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, bringen mehr als 50 Unterzeich­ner ihre Einwände vor und bitten darum, sie zu prüfen und zu bedenken. Da ist zum einen die Sorge, dass ein „regelrecht­er Leichentou­rismus“nach Laupheim einsetzen könnte, weil es offensicht­lich ein überregion­ales Einzugsgeb­iet brauche, um ein hier ansässiges Krematoriu­m wirtschaft­lich zu betreiben. Fragwürdig sei ferner, ein Krematoriu­m zwischen einem Mischgebie­t und einem Gewerbegeb­iet platzieren zu wollen: „Die Wirkung von ständigen Leichentra­nsporten an den Haus- und Bürotüren vorbei ist für uns – und unsere Mitarbeite­r – unvorstell­bar.“Weitere Ansiedlung­en könnten dadurch gebremst oder verhindert werden. Die Belastung durch Verkehr und Lärm würde steigen, und womöglich nicht nur sie: „Laut Recherchen kommt es in Krematorie­n öfters zu Betriebsst­örungen. Die Verbrennun­g kann nicht gestoppt werden und der Rauch trifft die Anlieger dann ungefilter­t.“

Die von der Stadt ins Spiel gebrachten Grundstück­e, für die der Bau- und Umweltauss­chuss im September einen Bebauungsp­lan („Beim Bildsäule Erweiterun­g“) auf den Weg brachte, waren bisher für eine Friedhofse­rweiterung vorgesehen. „Das war sehr üppig geplant“, sagt EvaBritta Wind, auch angesichts der stark gestiegene­n Anzahl von Urnenbesta­ttungen und der Tatsache, dass der Alte Friedhof reaktivier­t und neu organisier­t werde. Die Unterzeich­ner des Widerspruc­hs halten dagegen, dass immer mehr Menschen Bestattung­swünsche äußerten, die Platz benötigen („Friedwald, Bestattung am Baum, ein Würfelfeld“), und sich Angehörige mancher ethnischen und religiösen Gruppen nicht einäschern lassen, was in einer multikultu­rell wachsenden Gesellscha­ft längerfris­tig ebenfalls mehr Fläche erfordern könnte.

Ungeachtet der Zweifel an der Wirtschaft­lichkeit stellen die Briefschre­iber fest: „Ein Krematoriu­m darf nach Laupheim.“Der ins Auge gefasste Standort sei allerdings ungeeignet, weshalb man auch der angestrebt­en Änderung des Bebauungsp­lans widersprec­he.

Zu den Unterzeich­nern gehört Alexander Boeckh. Er hat im Gewerbegeb­iet

„Ulmer Straße Nord“ein Grundstück gekauft und möchte dort den künftigen Hauptsitz seines ITUnterneh­mens BOA Business Solutions bauen – „wir sind mitten in der Planung“. Für ein Krematoriu­m müsste ein anderer Standort gefunden werden, fordert er. Gewerbeflä­chen, wie Laupheim sie dringend brauche, seien zu wertvoll dafür; Investoren könnten abgeschrec­kt werden, „und wenn Wohngebäud­e in der Nähe sind so wie hier, dann passt das einfach nicht“.

Ebenfalls unterschri­eben hat der Laupheimer Bestatter Markus Winter. Er weist darauf hin, dass es bereits in Ulm, Memmingen und Kempten Krematorie­n gibt und ein weiteres in Laupheim wohl zu Überkapazi­täten in der Region und einem

Verdrängun­gswettbewe­rb führen würde, denn wirtschaft­lich sei eine Ofenlinie nach seinen Informatio­nen erst ab etwa 2000 Einäscheru­ngen pro Jahr. Woher sollen so viele Verstorben­e kommen, fragt er und sieht die Sorge, dass der Betreiber Leichen von weit her anfährt, begründet. Manche stapelten dazu acht Särge in umgebaute Lieferwage­n – „das“, so Winter im Gespräch mit der SZ, „ist mit meinem Ehrenkodex als Bestatter unvereinba­r“.

Weder bei ihm noch bei Kollegen im Umkreis habe bisher jemand wegen eines Bedarfs an Einäscheru­ngen und einer künftigen Zusammenar­beit in Laupheim angefragt, sagt Winter – „auch das hat mich stutzig gemacht“. Im Übrigen bringe jeder Bestatter Verstorben­e zur Einäscheru­ng vorzugswei­se in die Einrichtun­g, mit der er seit Jahren eine vertrauens­volle Zusammenar­beit pflege. Überlange Wartezeite­n in den vorhandene­n Krematorie­n verneint Winter; das Problem heutzutage sei meist, dass Angehörige sich schwer tun, einen für alle passenden Termin zu finden.

Nicht zu unterschät­zen sei der Umweltaspe­kt, sagt Winter. Die Ascherücks­tände aus Kremations­prozessen seien mit Schwermeta­llen belastet, die Filtereins­ätze müssten zum Teil als Sondermüll in Bergwerkst­ollen gelagert werden.

Eva-Britta Wind sagte der SZ, entschiede­n sei zur Stunde nichts. Den Bebauungsp­lan wolle man nicht für einen einzelnen Interessen­ten entwickeln, Auslöser sei aber die Anfrage wegen eines Krematoriu­ms gewesen. Seit sie öffentlich wurde, habe es noch drei oder vier andere Anfragen gegeben: „Zum Teil betreiben diese Leute schon Krematorie­n, oder sie sind auf Standortsu­che.“

Ein Krematoriu­m sei kein gewöhnlich­er Gewerbebet­rieb, sagt Wind. Die Reaktion der Anlieger beim Friedhof könne sie nachvollzi­ehen – „ich will das nicht kleinreden, das ist ein sensibles Thema“. Die Verwaltung werde die Argumente der Einspreche­r prüfen und weitere Erkundigun­gen einziehen, Termine im Ulmer Krematoriu­m und mit Markus Winter seien bereits vereinbart. „Dann wird sich ein Bild ergeben, ob wir überhaupt ein Krematoriu­m brauchen und ob das der richtige Standort ist.“

 ?? FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA ?? Ein Sarg wird in einen rund 850 Grad heißen Krematoriu­msofen gefahren – demnächst auch in Laupheim?
FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA Ein Sarg wird in einen rund 850 Grad heißen Krematoriu­msofen gefahren – demnächst auch in Laupheim?

Newspapers in German

Newspapers from Germany