Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Vorbild Bayern
Die Partei Freie Wähler regiert im Freistaat mit, im Südwesten gibt es jedoch Streit
STUTTGART - Hubert Aiwanger denkt gerne groß. „Wenn wir in Baden-Württemberg in den Landtag kommen, dann sind wir auch auf Bundesebene eine wahrnehmbare Größe. Und mittelfristig müssen die Freien Wähler dringend in den Bundestag“, sagt der Bundesvorsitzende der Freien Wähler. Die Südschiene soll den Weg ebnen nach Berlin. Deswegen kommt den Landtagswahlen im Südwesten eine Schlüsselrolle zu.
Doch einer wie er fehlt in BadenWürttemberg. 2008 kam Hubert Aiwanger, ein Agraringenieur aus Niederbayern, aus dem Nichts und schaffte es mit den Freien Wählern sensationell in den bayrischen Landtag. Seither erreichte seine Partei in Bayern immer zwischen neun und zwölf Prozent. Nach der letzten Wahl 2018 wurde Aiwanger schließlich sogar stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in Bayern. Aiwanger, dessen Aufstieg sich vor allem im Ärger über die Überheblichkeit der etablierten Politik begründete, ist nicht nur Bundesvorsitzender der Freien Wähler, er ist Gesicht und Motor der Partei. Und obwohl seine Partei in Bayern in Umfragen derzeit nicht mehr ganz so gut wegkommt: Für die baden-württembergische Landespartei ist er wohl auch eine Art Idol.
0,1 Prozent erreichte die Partei in Baden-Württemberg bei der letzten Landtagswahl. Das erklärte Ziel für die nächste Wahl im kommenden März ist der Einzug in den Landtag. In 62 von 70 Wahlkreisen gibt es bereits einen Kandidaten, die meisten Aufstellungsversammlungen haben inzwischen stattgefunden. Nach eigenen Angaben wurde die Mitgliederzahl in den vergangenen Monaten verdoppelt – auf jetzt 300.
Doch die Partei leidet, wie viele kleine Parteien, momentan unter erschwerten Bedingungen. Klassischer Straßenwahlkampf ist wegen der Corona-Pandemie kaum möglich, Bierfeste, Vereinsabende und Bürgerversammlungen – Termine, auf denen die Freien Wähler normalerweise punkten – finden sowieso nicht statt. Gemeinsam mit anderen kleinen Parteien klagen die Freien Wähler derzeit vor dem Verfassungsgerichtshof, weil sie trotz Kontaktbeschränkungen in jedem Wahlkreis Unterstützungsunterschriften sammeln sollen. Ein Unding, sagen sie und werfen den Landtagsfraktionen vor, die Pandemie zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.
Trotzdem will die Partei so bald wie möglich eine digitale Landesmitgliederversammlung abhalten, um den Landtagswahlkampf einzuleiten. Ein thematischer Schwerpunkt soll die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium sein, außerdem will die
Partei für mehr freie Kindergartenplätze und eine Dezentralisierung der Stromversorgung kämpfen.
Ein Erfolg bei der Landtagswahl im kommenden Frühjahr würde gut in Aiwangers Masterplan passen. Und im Südwesten gibt es Potenzial: In keinem Bundesland sind freie Wählervereinigungen bei Kommunalwahlen erfolgreicher. Sie sind die stärkste Kraft in den Gemeinderäten, in den Kreistagen stehen sie an Platz zwei. Das Problem: Der Landesverband der Freien Wähler, ein Verein, dem mehr als 9000 Gemeinde- und Kreisräte angehören, will mit der gleichnamigen Partei nichts zu tun haben.
„Wir bekämpfen diese Partei nicht, aber wir distanzieren uns deutlich von ihr“, sagt der Landesvorsitzende Wolfgang Faißt. „Die gehen mit unserem guten Namen hausieren. Das ist eine bewusste Irreführung der Wähler. Und dann ist diese Partei noch so dreist, zu behaupten, wir seien deren kommunalpolitischer Unterbau. Das sind Fake News à la Trump“, schimpft er. Als Landesverband mache man Lobbyarbeit, führe Gespräche mit den Landtagsfraktionen und versuche so zu erreichen, dass die kommunalen Interessen Eingang in die Parteiprogramme finden. Ambitionen in ein Parlament gewählt zu werden, gebe es nicht. Im Gegenteil: „Wir werden von der Landesregierung und den Fraktionen als Partner betrachtet. Sollte es der Freien-Wähler-Partei gelingen, in den Landtag einzuziehen, wird sie von der Politik weniger als Partner sondern eher als Gegner betrachtet. Und dann kann sie in meinen Augen viel weniger bewirken als wir.“
Ganz anders sieht man das bei der Partei. „Wir haben dem Landesverband die Zusammenarbeit angeboten“, sagt Klaus Wirthwein, Parteivorsitzender in Baden-Württemberg. Der Verband müsse einfach erkennen, dass man keine Konkurrenz sei, sondern versuche, die Stimme der Kommunen in den Landtag zu tragen. „Wir marschieren getrennt und kämpfen gemeinsam. Davon hätte doch jeder was.“
Doch auch der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith ist skeptisch. Für ihn fehlt es der Partei derzeit schlicht an den Inhalten. „Die Freien Wähler haben in Baden-Württemberg ein großes Renommee in der Kommunalpolitik. Sie haben sich dort den Ruf einer pragmatischen Politik
erarbeitet. Das versucht nun die Partei für sich zu nutzen“, sagt er. „Doch auf der Landesebene hat es die Partei Freie Wähler mit politischen Themen zu tun, für die sie eine normative Richtschnur brauchen. Sie muss den Wählern deutlich machen, was ihre zentralen Werte, ihr Markenkern, sein soll. Das sehe ich im Moment noch nicht.“
Auch der Erfolg der Partei im benachbarten Bayern ist für Eith kein Argument. Es sei schließlich auch dort nie so richtig klar gewesen, wofür die Partei inhaltlich eigentlich stehe. „Am Ende hat sie von der großen Unzufriedenheit vieler CSUWähler und von der Person Hubert Aiwanger profitiert.“Doch in BadenWürttemberg seien die Verhältnisse andere. „Hier gibt es keine dominierende Landespartei mehr, vergleichbar zur CSU in Bayern. Außerdem gibt es in Baden-Württemberg eine starke AfD, die Protestwähler anspricht und bündelt. Da bleibt für eine weitere Partei wenig Platz“, sagt er.
Es komme deshalb darauf an, mit welchen Themen die Partei Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, sagt der Parteienforscher. „Vor allem, weil es hier keine Persönlichkeit gibt, die der Partei ein Gesicht und eine Bekanntheit gibt, wie es Hubert Aiwanger in Bayern macht.“