Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Nichts ist schlimmer als die Unsicherheit
Die baden-württembergische Wirtschaft fürchtet einen wochenlangen Streit um das US-Wahlergebnis
RAVENSBURG - Es ist ja nicht so, dass die deutsche Wirtschaft, allen voran die verarbeitende Industrie, keine Probleme gehabt hätte. Nach dem Einbruch infolge der CoronaPandemie im Frühjahr sorgt nun ein neuer Teil-Lockdown für Verunsicherung. Dazu kommt, dass die Auftragsflaute im Maschinenbau schon lange vor dem Auftauchen des Virus in Europa eingesetzt hat. Während die Unternehmen der für BadenWürttemberg so wichtigen Branche an einer Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse arbeiten, kämpfen die Autobauer und ihre Zulieferer mit der Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektroantriebe.
Auf neues Ungemach – vor allem auf die Unruhe beim wichtigsten deutschen Handelspartner – hätten die Unternehmen also verzichten können. Doch mit der knappen Ausgang der Präsidentenwahl in den USA und der Gefahr, dass Amtsinhaber Donald Trump eine mögliche Niederlage nicht anerkennen und sich die Übernahme der Macht in Washington über Wochen und Monate hinziehen könnte, entsteht genau das: Unruhe und Ungewissheit. Eine Situation, die es den Unternehmen nicht einfacher macht, sich aus der Rezession zu kämpfen.
Genau die Gefahr sieht das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Eine längere Auseinandersetzung über die Legitimität der Wahl würde ein Führungsvakuum in den USA schaffen, das für die amerikanische und die Weltwirtschaft kritische Folgen hätte, sagt IW-Wissenschaftschef Hubertus Bardt. „Die Weltwirtschaft ist durch die CoronaPandemie bereits schwer angeschlagen. Vom wirtschaftlichen Zentrum USA und dessen Führungskraft muss Stabilität ausgehen, nicht weitere Unsicherheit.“Eine schnelle Klärung der Wahlergebnisse sei wichtig – nicht nur für die USA.
Genau diese für Unternehmen so entscheidende Planungssicherheit fordert auch der Motorenbauer Rolls-Royce Power Systems (RRPS) aus Friedrichshafen am Bodensee. „Für das amerikanische Volk und die Wirtschaft hoffe ich, dass ein Ergebnis zügig feststeht. Und dass der Unterlegene das Ergebnis akzeptiert, ohne eine längere juristische Hängepartie zu verursachen“, sagt Vorstandschef Andreas Schell. „Denn alle wünschen sich ein Mindestmaß an Planungssicherheit wie man sich in den nächsten vier Jahren auf die US-Administration einstellen kann. Wer immer das Rennen macht, es wäre gut, wenn die EU wieder ein relevanterer Partner wird.“
Der Friedrichshafener Autozulieferer ZF wünscht sich „als global tätiges Unternehmen, das seit mehr als 40 Jahren in den USA präsent ist und dort rund ein Viertel seines Umsatzes erwirtschaftet“, eine „verlässliche und kooperative US-Politik“, wie ein Sprecher auf Anfrage erklärte. „Wir hoffen, dass wir diese Beziehung aufrechterhalten können. Dazu gehört ein freier Welthandel ebenso wie ein klares Bekenntnis zu internationalen Abkommen und Institutionen.“
Aus diesen Worten spricht die Hoffnung, dass mit einer Abwahl von Amtsinhaber Trump auch die Politik der USA ein Ende haben könnte, die in den vergangenen Jahren vor allem darauf setzte, internationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation oder die Vereinten Nationen systematisch zu schwächen und multilaterale Verträge aufzukündigen. Aber auch die Gefahr von neuen Strafzöllen auf deutsche Autos, mit denen Trump zuletzt immer wieder gedroht hat.
Nicht zuletzt das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber Deutschland kritisiert US-Präsident Donald Trump seit Jahren. Während deutsche Unternehmen im Jahr 2019 Waren in einem Wert von rund 119 Milliarden – neben chemischen Produkten in der Hauptsache Maschinen, Autos und Fahrzeugteile – in die USA einführten, exportieren US-Unternehmen im gleichen Zeitraum nur Produkte mit einem Wert von 71,4 Milliarden Euro in die Bundesrepublik. „Die USA sind unser wichtigster Exportmarkt, viele unserer Unternehmen sind dort auch mit eigener Produktion engagiert. Deshalb sind sie auf stabile Verhältnisse angewiesen“, sagt ein Sprecher von Südwestmetall. Der Verband vertritt Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg. „Unsere Hoffnung ist, dass sobald ein Ergebnis feststeht, dies auch von der unterlegenen Seite anerkannt wird“, sagte der Sprecher weiter. „Wenn irgendwelche Bürgerwehren auf die Straße gingen, um einen Regierungswechsel zu verhindern, wäre dies der Worst Case.“
Thomas Burger, Präsident des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden, spricht sogar von einem „schlechten Tag für Wohlstand und Hoffnung“nach den wohl länger ungeklärten Machtverhältnissen in den USA. „Die Welt leidet. Heute politisch, bald wirtschaftlich“, sagt Burger weiter. „Ein eindeutiges Wahlergebnis hätte Klarheit geschaffen. Das knappe und umstrittene Ergebnis, das zudem quälend lange auf sich warten lassen wird, macht die mehrfache innere Spaltung der USA nach außen sichtbar wie nie zuvor.“
Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (ifw) in Kiel, befürchtet wegen des knappen Wahlausgangs, dass der spätere Sieger – egal ob es Trump oder sein demokratischer Herausforderer Joe Biden sein wird – mit einem schwachen Mandat ausgestattet sein wird. „Damit drohen viele wichtige Entscheidungen in der Schwebe zu bleiben. Auch das noch vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten kurzfristig geplante Stimuluspaket für die Konjunktur in der Corona-Krise könnte scheitern“, sagt Felbermayr. Der Schluss, der aus dieser Analyse zu ziehen wäre, liegt für den ifwChef allerdings auf der Hand. „Die Wahl führt Deutschland und Europa erneut vor Augen, dass wir uns darauf konzentrieren müssen, unsere eigenen Stärken auszubauen“, sagt Felbermayr. „Wesentlicher Baustein dafür ist der europäische Binnenmarkt, der möglichst groß und integriert sein sollte. Er ist das Pfund, mit dem Europa wuchern kann.“