Schwäbische Zeitung (Laupheim)
In der Hand Gottes
Zum Tod der argentinischen Fußball-Legende Diego Armando Maradona
Auch wenn die meisten Argentinier seit Jahrzehnten wegen einer Vielzahl von Exzessen mit dieser Nachricht gerechnet haben – oder anders formuliert – rechnen mussten: Die Meldung vom Tod von Diego Armando Maradona schlug in Buenos Aires wie eine Bombe ein. Die Fernsehsender unterbrachen ihr Programm, die Corona-Pandemie war auf einmal ganz weit weg. Übereinstimmend berichteten die großen Zeitungen, dass das Idol von Millionen Lateinamerikanern unweit der argentinischen Hauptstadt auf einem Landsitz im Alter von 60 Jahren kollabiert sei.
Es gibt niemanden in Argentinien, der keine Meinung zu Maradona hat, ein paar wenige nörgelten herum oder verdammten ihn gar, jedoch für die ganz große Mehrheit war dieser Diego einfach ihr „Pibe de oro“, ihr Goldjunge. Vor wenigen Tagen hatte er noch eine Gehirnoperation überstanden, die meisten Beobachter munkelten da schon von Schwierigkeiten bei der Entgiftung seiner Drogenabhängigkeit. An was er letztendlich gestorben ist, bleibt zweitrangig. Südamerikas zweitgrößtes Land trägt Trauer, nicht für ein paar Tage, wahrscheinlich für Monate. Denn für den Großteil der Argentinier ist und bleibt Maradona der Weltallerbeste aller Zeiten. Weder Pelé noch Lionel Messi konnten ihm das Wasser reichen. Von deutschen Spielern erst gar nicht zu reden, wenn es um die fußballerischen Qualitäten der legendären Nummer 10 geht. 1986 flankte und schoss er fast im Alleingang Argentinien zur Weltmeisterschaft. Die berühmte „Hand Gottes“, mit der er bei der WM die Engländer mit einem Handspiel plus Tor demütigte, hatte er fußballerisch gar nicht nötig. Er machte mit seinen Gegenspielern, was er wollte. Für die Argentinier war das sportliche Foul hingegen Labsal für ihre patriotischen Seelen. Hatten doch die Briten die Argentinier 1982 von „ihren“Falklandinseln im Südatlantik verjagt, die zuvor auf Befehl der Militärjunta in Buenos Aires kriegerisch besetzt worden waren.
Schon Mitte der 1990er-Jahre hatte niemand mehr darauf gewettet, dass Maradona überhaupt 40 Jahre alt wird. Kokainsucht und alle möglichen Ausschweifungen überschatteten die Karriere eines Jungen aus den Slums, der dank seines spielerischen und technischen Genies ganz oben war und dann immer wieder scheiterte. Eine Zeitlang wurde er zum Clown eines ganzen Landes, da er nie den Mund halten konnte und sich mit jedermann anlegte. Eine Ausnahme gab es jedoch: Als Papst Johannes Paul II. ihm bei einer privaten Audienz einen Rosenkranz schenkte, soll er – so steht es in seiner Biografie – für einen klitzekleinen Moment geschwiegen haben. Ansonsten war niemand vor dem Mann sicher, der den legendären Guerillero und Landsmann Che Guevara auf dem rechten Oberarm tätowiert hatte. „Pensionierter Fußballpunk“hat ihn einmal die „taz“genannt. Einen, für den es nie Grenzen gab und dem seine eigenen Widersprüche
und Abstürze immer herzlich egal waren.
Ein Beispiel außerhalb des Spielfeldes? Ohne den Drogenentzug auf Kuba wäre Maradona mit Sicherheit viel früher zugrunde gegangen. Seitdem sei er bereit, „für Fidel Castro mein Leben zu geben“, unterstrich er anschließend mehrfach. Seine Bewunderung für den kommunistischen Diktator tat seiner engen Verbindung zum ehemaligen wirtschaftsfreundlichen Staatschef Carlos Menem keinen Abbruch. Genialer Spielmacher, Weltmeister, unter Vertrag bei Topvereinen in Argentinien und Europa, mal überragend, mal grottenschlecht, immer wieder gescheiterter Trainer inklusive der eigenen Nationalmannschaft. Drogensucht, Frauengeschichten und auch eine Magenverkleinerung gegen seine sprachlos machende Fettleibigkeit, all das machte ihn aus. Mag sein, dass er seinen eigenen Ruhm nicht verkraftet hatte, aber für jeden Fußballromantiker war er die Referenzgröße zu anderen Spielern, die gegen ihn auf dem Rasen doch eher wie die „geistigen Zwerge“wirkten, wie Ex-Staatschef Menem einmal die Kritiker Maradonas genannt hatte.
Argentinien liebt seine Helden über den Tod hinaus. Maradona liegt in einer Reihe mit Tangosänger Carlos Gardel, Präsidentenfrau Evita Perón oder dem fünffachen Formel-1-Weltmeister Juan-Manuel Fangio. Die Beisetzung Maradonas dürfte das emotionale Jahresereignis in einem Land werden, das schwer von Corona und einer Wirtschaftskrise gebeutelt ist.
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